# taz.de -- Debatte Kuba nach Obama-Besuch: Noch immer gelähmt | |
> Statt die Veränderungen zu gestalten, verharrt die Regierung in | |
> Schweigen. Vom anstehenden KP-Parteitag erfährt die Bevölkerung fast | |
> nichts. | |
Bild: Obama und Castro: Beide haben was zu sagen | |
BERLIN taz | Nicht einmal zwei Wochen sind es noch, dann beginnt in Kuba | |
der VII. Parteitag der Kommunistischen Partei. Sechs Dokumente, so erfuhren | |
die LeserInnen der Parteizeitung [1][Granma am 28. März], sollen dort | |
verabschiedet werden. Darunter eines, das sich der Weiterentwicklung des | |
kubanischen Sozialismus widmet, und eines über die soziale und ökonomische | |
Entwicklung Kubas bis 2030. | |
Beides würde schon den ein oder anderen Bürger interessieren, aber darüber, | |
was in diesen Dokumenten steht, wissen die KubanerInnen – nichts. Nicht | |
einmal die Parteimitglieder haben die Gelegenheit gehabt, die Unterlagen | |
einzusehen, lediglich die 1.000 Delegierten des Parteitages sollen sie | |
inzwischen zu Gesicht bekommen haben. | |
So viel Geheimniskrämerei war selten. Vor dem letzten Parteitag 2011 waren | |
die wirtschaftspolitischen Vorschläge auf der Insel breit diskutiert | |
worden, in Partei- und Betriebsversammlungen wurde debattiert, Zehntausende | |
von Eingaben wurden gemacht und editiert. Das war so demokratisch und | |
transparent, wie es ein Einparteienstaat ohne freie Presse eben sein kann. | |
Diesmal hingegen, in einer Zeit, in der mit der Öffnung zu den USA und dem | |
historischen Besuch Barack Obamas in Kuba mehr Veränderung in der Luft | |
liegt denn je: nichts. | |
## Debatte über Verschiebung des Parteitags | |
Prompt kamen [2][Kommentare auch aus den Reihen der Partei], man möge den | |
ganzen Parteitag doch auf Juli verschieben, um Zeit für eine Debatte zu | |
gewinnen. In einem verschwurbelten Editorial der Parteizeitung wurde das | |
abgelehnt: Die Kritik sei zwar in Ordnung. Aber man müsse doch sehen, dass | |
einerseits ja überhaupt erst ein Viertel der Beschlüsse vom letzten | |
Parteitag umgesetzt sei – und dass die Themen außerdem so kompliziert | |
seien, dass man das lieber den Experten überlassen habe. Auf solche | |
Argumente muss man auch erst einmal kommen. | |
Seither wiederum kein Wort in der Staatspresse, dafür aber jeden Tag ein | |
Fidel-Castro-Spruch auf der Titelseite der Granma, von [3][“Die Partei: die | |
beste Frucht der Revolution“] über [4][„Unsere Ideologie macht uns stärker | |
und unbesiegbarer“] und [5][“In der Partei vereinigen sich die Träume aller | |
Revolutionäre“] bis hin zu [6][“Zwei fundamentale Säulen: Die Einheit und | |
die Doktrin“]. Damit können diejenigen KubanerInnen, die sich fragen, wie | |
ihre Staatsführung sie durch diese Zeiten lenken will, mit Sicherheit wenig | |
anfangen. | |
Es ist, als ob die Regierung durch ein großes kommunikatives Nichts | |
unmissverständlich klarstellen wolle, dass alle aufkeimenden Hoffnungen auf | |
Veränderungen ins Leere laufen. | |
Zur Interpretation des Obama-Besuches selbst hatte ausgerechnet der | |
abgetretene Fidel Castro den Ton angegeben, als er vier Tage später in der | |
Granma unter dem Titel [7][“Bruder Obama“ einen Text] schrieb, in dem er | |
Obama vorwarf, dieser habe bei seiner Rede im Gran Teatro in Havanna dazu | |
aufgerufen, die Vergangenheit zu „vergessen“. Das war falsch wiedergegeben: | |
[8][Obama hatte gesagt], er kenne die Vergangenheit, weigere sich aber, in | |
ihr gefangen zu bleiben, und fordere auf, sie hinter sich zu lassen – von | |
„vergessen“ hatte er nicht gesprochen. | |
## Bequemes Verweisen auf den Feind im Norden | |
Genau das aber behaupten seither alle möglichen regierungsnahen Blogs und | |
Kommentatoren. Tenor: Die Imperialisten wollen, dass wir ihren Terror | |
vergessen. Obamas Rede war zwar live in Kuba ausgestrahlt worden, aber am | |
frühen Vormittag, wenn die meisten arbeiten. Wiederholt wurde sie nicht, | |
[9][veröffentlicht nur in Ausschnitten]. | |
Es ist das ewig alte Muster: Statt die eigenen Aufgaben anzugehen, wird auf | |
den Feind im Norden verwiesen. Dabei gäbe es für die kubanische Regierung | |
unglaublich viel zu tun. Jetzt, heute, laufen dem kubanischen | |
Bildungssystem die LehrerInnen und ProfessorInnen davon, gehen entweder | |
nach Ecuador an die Uni oder arbeiten als TaxifahrerInnen. | |
Immer mehr ÄrztInnen wollen ihren Beruf nicht mehr ausüben, weil sie als | |
Zimmervermieter mehr verdienen können, oder sie gehen ins Ausland, wie | |
überhaupt ein Großteil der an den kubanischen Universitäten noch gut | |
ausgebildeten Jungakademiker. | |
Die beiden zu Recht vielgerühmten größten Errungenschaften der Revolution, | |
kostenlose Bildung und Gesundheitsversorgung für alle, gehen genau jetzt | |
kaputt – aber Castro beschäftigt sich lieber mit der Invasion in der | |
Schweinebucht 1961. | |
## Der Staat ist gefragt | |
Der Parteitag muss auch eine der wichtigsten Personalfragen regeln: Wird | |
Raúl Castro, der als Präsident 2018 abtreten will, trotzdem noch einmal für | |
fünf Jahre Parteivorsitz kandidieren? Oder gibt es den Generationswechsel | |
an der Parteispitze schon jetzt? Und was passiert dann? Eine öffentliche | |
Debatte darüber gibt es nicht, nicht einmal mehr zwischen den Zeilen. | |
Gleichzeitig drängen die USA voran. Ab Mai werden auch US-Fährschiffe in | |
Kuba anlegen, von geplant 110 Direktflügen täglich zwischen den USA und | |
Kuba ist die Rede. Verwandte in den USA dürfen inzwischen schier unbegrenzt | |
Geld nach Kuba schicken, was direkt in den Aufbau des nach den | |
Parteitagsbeschlüssen von 2011 gewaltig gewachsenen Privatsektors fließt, | |
immer mehr internationale Firmen interessieren sich für Investitionen auf | |
der Insel. | |
In Folge geht die Schere zwischen den Verdienstmöglichkeiten im | |
Privatsektor – insbesondere im boomenden Tourismusbereich – und denen etwa | |
als Akademiker in einem staatlichen Betrieb oder Ministerium so weit | |
auseinander wie nie zuvor. | |
Da ist nun eigentlich wirklich der Staat gefragt. Eine neue Steuerpolitik, | |
um die neuen Wohlhabenden stärker am Gemeinwohl zu beteiligen? Abschaffung | |
der Lebensmittelsubventionen für jene, die sie nicht brauchen? Durchdachte | |
Freigabe weiterer Berufsfelder für die Arbeit auf eigene Rechnung? | |
Investitionsmöglichkeiten nicht nur für ausländische Firmen, sondern auch | |
für Kubaner? Alles Fehlanzeige. | |
Stattdessen glänzt kubanische Staatlichkeit wie gehabt durch lähmende | |
Bürokratie, rückwärtsgewandte Rhetorik und die Abwesenheit genau jener | |
letztlich sozialdemokratischen Steuerungsinstrumente, die es dringend | |
bräuchte, um das immer rascher voranschreitende Auseinanderklaffen sozialer | |
Wirklichkeiten zumindest abzufedern. | |
5 Apr 2016 | |
## LINKS | |
[1] http://www.granma.cu/septimo-congreso-del-pcc/2016-03-27/a-menos-de-un-mes-… | |
[2] https://paquitoeldecuba.com/2016/03/28/carta-abierta-a-raul-castro-o-aplaza… | |
[3] http://www.granma.cu/file/pdf/2016/04/04/G_2016040401.pdf | |
[4] http://www.granma.cu/file/pdf/2016/04/02/G_2016040201.pdf | |
[5] http://www.granma.cu/file/pdf/2016/04/01/G_2016040101.pdf | |
[6] http://www.granma.cu/file/pdf/2016/03/30/G_2016033001.pdf | |
[7] http://www.granma.cu/reflexiones-fidel/2016-03-28/el-hermano-obama-28-03-20… | |
[8] https://www.whitehouse.gov/the-press-office/2016/03/22/remarks-president-ob… | |
[9] http://www.granma.cu/obama-en-cuba/2016-03-23/barack-obama-el-embargo-es-un… | |
## AUTOREN | |
Bernd Pickert | |
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