| # taz.de -- Kolumne „Habibitus“: Stupsnase aus Protest | |
| > Findeste Europa scheiße, gehste halt dahin „wo de herkommst“. Aber da ist | |
| > auch Europa. Zum Beispiel im Iran. | |
| Bild: Hyperfeminine Frauen im Iran. | |
| Jedes Mal, wenn ich über Europa meckere, raten mir rassistische | |
| Kackbratzen, dorthin zu gehen, wo ich herkomme. Ein bisschen redundant ist | |
| dieser Tipp schon, schließlich bin ich ab und zu in Kiel, nur wem bringt | |
| das was? | |
| Aber ich bin ja mit der Scheiße sozialisiert worden und weiß, wie der | |
| Schäferhund läuft, und dass Herkunft im Zweifel dort ist, wo es exotisch | |
| ist und wo Eltern- oder Großelternteile geboren sind. Dieses Land liegt | |
| tatsächlich nicht in Europa. | |
| Aus Neugierde, schlechtem Gewissen und einem Hauch #Yolo fasste ich | |
| kürzlich den Beschluss, mal wieder im Iran vorbeizuschauen. Verwandte | |
| besuchen, gefälschte Trainingshosen kaufen, überprüfen, was es mit diesem | |
| Hipster-Hype um die Kultur des Landes auf sich hat. | |
| Gerade dieser schien mir besonders kurios: Einerseits werden die Leute aus | |
| diesem Land dämonisiert, andererseits werden Fotografen oder Filme von dort | |
| fetischisiert, weil sie so herrlich edgy sind. | |
| ## Hype der Almanis | |
| Dem Hype der Almanis zufolge müssten sich in jeder vierten Seitenstraße | |
| Teherans prall gefüllte Bohemian-Cafés, Avantgardegraffitis und pro | |
| Stadtteil dreißig Filmteams befinden. | |
| Was dort wirklich war: ziemlich viel Europa. Ich wollte eine Auszeit vom | |
| Abendland und bin einfach wieder dort gelandet. Die Regierung mag gegen den | |
| Westen wettern, doch aus den Gesichtern der Großstädterinnen dringt er | |
| penetrant hervor. | |
| Nicht nur in der Diaspora, auch in den eigenen Herkunftsländern bestimmen | |
| eurozentrische Schönheitsnormen die Ansprüche im Nahen Osten. Es ist keine | |
| neue Erkenntnis, dass Kopftuchpflichten das Gesicht zu dem Bereich machen, | |
| bei dem kosmetisch so richtig Gas gegeben wird. | |
| Wie die Comedian Enissa Amani sagte: Anstatt Silikon in die Brüste zu | |
| pumpen, die eh meistens bedeckt sind, einfach in die Fresse damit. | |
| ## Nasen-OPs | |
| Und ganz viele Nasen-OPs. Genauer gesagt 200.000 pro Jahr, damit macht sich | |
| das Land zum Spitzenreiter in dieser Praxis. Auch die Schlankheitsnorm ist | |
| hier viel präsenter als in Schland: Ich habe sehr wenige dicke Frauen und | |
| noch weniger Plus-Size-Mode gesehen. | |
| Dafür wurde ich bei jeder Begegnung mit Verwandten auf meine Figur | |
| angesprochen. Und auf meine kurzen Haare. (In Berlins queerer Szene gilt | |
| mein Bob schon als Langhaarfrisur, nur zum Vergleich.) | |
| In der Metro begegneten mir hyperfeminine Frauen mit blondierten Haaren, | |
| blauen Kontaktlinsen und gebleichter Haut. Ironischerweise fühlte ich mich | |
| im Vergleich viel provinzieller und schlechter gekleidet. | |
| Vielleicht ist es der Imperialismus, vielleicht aber auch nur Rebellion | |
| gegen einen Staat, der den Westen am liebsten ausblenden würde. Wo | |
| Internetfilter und „Tod den USA!“-Schriftzüge pseudomäßig gegen seine | |
| Einflüsse abschirmen sollen, wächst die Faszination und Romantisierung | |
| einer Welt, die sich selbst als frei und demokratisch darstellt. | |
| Jetzt weiß ich auch nicht mehr weiter. Was ist mehr Punk: | |
| Sexy-Tussi-Deluxeness gegen die islamische Republik? Oder große Nasen gegen | |
| rassistische Schönheitsnormen? Fest steht jedenfalls nach wie vor: Jede | |
| soll mit ihrem Körper anstellen dürfen, was immer sie will. | |
| 1 Apr 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Hengameh Yaghoobifarah | |
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