# taz.de -- Rolling Stones in Havanna: Penetration durch den Klassenfeind | |
> Jahrzehnte lang waren die Rolling Stones auf Kuba verboten. Am Karfreitag | |
> darf die britische Rockband erstmals in Havanna auftreten. | |
Bild: Sind schon ganz heiß auf den Auftritt in Havanna: die Rolling Stones bei… | |
Für Michel Matos gibt es keinen Zweifel. „Das ist ein echtes Ereignis. Die | |
Rolling Stones in Havanna werde ich mir nicht entgehen lassen“, erklärt der | |
36-jährige Musiker und Filmemacher. Zwar reitet er musikalisch auf einer | |
ganz anderen Wellenlänge, hat Elektro aufgelegt und das erste unabhängige | |
Festival für elektronische Musik am Strand von Jibacoa aus der Taufe | |
gehoben, aber das Konzert am 25. März hat auch für ihn Symbolcharakter. | |
Noch symbolträchtiger ist der erste Auftritt der Rocklegenden hingegen für | |
die Älteren, die sich noch gut daran erinnern können, wie sie Songs von den | |
Beatles, Led Zeppelin, den Eagels oder eben den Stones heimlich gehört und | |
mitgesummt haben. | |
Leonardo Padura ist so einer. Der bekannte Schriftsteller ist erklärter | |
Beatles-Fan und musste wie viele andere aus seiner Generation Jahrzehnte | |
auf die Songs der Pilzköpfe im Radio und Fernsehen verzichten. An Konzerte | |
auf der Insel war schon gar nicht zu denken, denn sie standen für | |
„Penetración ideológica del enemigo“. Die „ideologische Penetration dur… | |
den Klassenfeind“ war ein Etikett, das einer ganzen Reihe von Bands | |
anhaftete: Die Eagles, Creedence Clearwater Revival und auch Chicago hatten | |
in Kuba nichts zu suchen – weder on Stage noch auf dem Plattenteller. | |
## Mit Argusaugen bewacht | |
Folgerichtig seien die wenigen Alben der Rolling Stones, die es in | |
Zeitungspapier eingehüllt auf die Insel geschafft hatten, mit Argusaugen | |
bewacht und nur im kleinen Kreis mit der Nadel in Kontakt gebracht worden, | |
so der nunmehr 60-Jährige. „Hätte mir damals jemand erzählt, dass diese | |
britische Band in meinem Land jemals spielen würde, hätte ich eine geistige | |
Erkrankung ohne jede Chance auf Genesung attestiert“. | |
Doch genau das wird nun eintreten. Die Kräne sind bereits im Einsatz, | |
Metallteile und Stahlträger schweben über das Gelände der Ciudad Deportiva, | |
wo die Bühne für das Konzertevent des Jahres in Havanna langsam wächst. Die | |
Sportstadt liegt außerhalb des Stadtzentrums auf dem Weg zum Flughafen von | |
Havanna, und dort geben normalerweise Kubas Volleyballer und die Peloteros, | |
dieBaseball-Cracks, den Ton an. | |
Das ist seit einigen Tagen anders, denn Reporter von der Havana Times wie | |
vom staatlichen Fernsehsender Cubavisión berichten, wie die Bühne wächst. | |
Selbst die Granma, die Zeitung der Kommunistischen Partei, berichtete | |
mehrfach über den „Mythos einer Legende“. | |
## Ende einer Ära? | |
Für viele ist das Konzert das Ende der Ära der kontrollierten Musik, wie es | |
die Schriftstellerin Wendy Guerra formuliert. Deren Mutter hat beim Radio | |
gearbeitet, und sie kann sich noch recht gut erinnern, dass viele Bands auf | |
den Index gesetzt wurden. Ein Name steht für das rigide Kontrollsystem: | |
Luis Pavón Tamayo. Er galt in den 1970er und 1980er Jahren als der Zar der | |
Zensur, und Kubas berühmte Bloggerin Yoani Sánchez hat nach dem | |
Wiederauftauchen von Pavón in einer Diskussionsveranstaltung begonnen ihren | |
Blog zu schreiben. | |
Das war 1997. Für sie bedeutet der Auftritt von Mick Jagger und den Stones | |
mehr als der von Politikern oder dem Papst: „Aber ja, Kuba wird sich | |
verändern, wenn Persönlichkeiten wie dieser britische Rockstar, eine Ikone | |
der guten Musik und der vollkommenen Respektlosigkeit, in Havanna landen“, | |
schreibt sie. | |
Ob das so sein wird, bleibt abzuwarten, denn auch die einst verpönten | |
Beatles sind ja schließlich rehabilitiert worden, ohne dass sich viel auf | |
der Insel geändert hat. Am 8. Dezember 2000 wurde in einem Park im | |
Stadtteil Vedado eine Bank mit einem bronzenen John Lennon aufgestellt – in | |
Anwesenheit von Comandante Fidel Castro. Der sprach auch ein paar Worte. | |
## Eine Revolution | |
Allerdings hat so ein Mammutkonzert, rund 200.000 Kubaner werden erwartet, | |
vielleicht einen anderen Effekt. Zumal es nur drei Tage nach der Visite von | |
Barack Obama stattfindet und fünf Wochen, bevor Chanel die neue Kollektion | |
in Kuba vorstellt. Für Leonardo Padura ist es eine Revolution, dass durch | |
die Tür, durch die Barack Obama Kuba verlässt, Mick Jagger und später | |
Chanel eintreten. | |
Raúl Paz sieht das etwas nüchterner. Für den kubanischen Sänger, der lange | |
in Frankreich lebte, ist es schlicht kurios, dass die Rolling Stones nun in | |
Havanna spielen. „Es ist positiv, dass ihr Konzert nun kein Politikum mehr | |
ist, und für uns kommt es vollkommen unerwartet. Es ist Teil des Zirkus, | |
der sich hier in Havanna abspielt.“ Damit ist der Kuba-Hype gemeint, der | |
Touristen, Wirtschaftsdelegationen und Prominente aus aller Welt nach Kuba | |
spült, aber auch die Visite von US-Präsident Barack Obama. Die Rolling | |
Stones spielen dabei eher eine untergeordnete Rolle. | |
„Es werden zwar viele Konzertbesucher erwartet, aber die allermeisten | |
werden die Band kaum kennen, jedoch das Ereignis als Ereignis mitnehmen“, | |
glaubt der 47-jährige Paz. Neugierde, Lust, sich der Welt zu öffnen und | |
mitzukriegen, was sich dort abspielt, sei sehr ausgeprägt in Kuba. Deshalb | |
werden viele kommen, die mit Rock eher wenig anfangen können – so wie | |
Elektro-Fan Michel Matos. | |
25 Mar 2016 | |
## AUTOREN | |
Knut Henkel | |
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