Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Filmisches Denkmal: Der Bob Marley von Simbabwe
> Andreas Höhn ist Punker und betreibt ein Plattenlabel. Nun drehte er
> einen Film über sein Idol John Chibadura, dem Helden des simbabwischen
> Sungura-Genres.
Bild: Auf Spurensuche: Andreas Höhne.
Mit großem Hallo wird Alick Macheso auf der Bühne empfangen. Lachend
klatscht der Sänger die Fans an der Bühne ab als er sich zu seiner Band
gesellt, dem Orchestra Mberikwazvko. Macheso, ein mittelgroßer, drahtiger
Mann, ist ein Dauergast in den Charts – hier in Simbabwe. Lächelnd greift
er zur Gitarre und entlockt ihr die ersten Akkorde eines seiner
Sungura-Hits. Das wird im Publikum mit einem Johlen quittiert und sogleich
beginnen die ersten zu tanzen.
Sungura heißt der nationale Beat Simbabwes, und entstanden ist der
melodiöse, von einfachen Gitarrenakkorden und mehrstimmigem Gesang
getragene Sound Anfang der 1980er-Jahre. Aber er ist auch 35 Jahre später
noch überaus populär. Gut besucht ist so auch das Konzert Mechesos im Club
„Plaza de Castilla“ in Greencroft, ein paar Kilometer außerhalb der
Hauptstadt Harare.
Im Publikum steht ein einzelner weißer Mann, eine beige Baseballkappe auf
dem Kopf, der sich lächelnd im eingängigen Sungura-Beat wiegt: Andreas
Höhn, 50, aus dem niedersächsischen Neustadt am Rübenberge. Zusammen mit
seinem Kumpel und Kameramann Christoph Butenschön ist Höhn nach Harare
gefahren, um sich auf die Fährte von John Chibadura zu heften. „Er war der
Mastermind des Sungura“, sagt Höhn, „und ich wollte herausfinden, ob er
noch populär ist und seine Musik lebt“ – eine filmische Entdeckungsreise in
die Musikgeschichte von Simbabwe.
## Geburtshelfer war die DJ-Legende John Peel
Auf die ist Höhn, der normalerweise im Hannöverschen Umland sein
Punk-Plattenlabel betreibt, durch John Peel gekommen: Den britischen
Kult-DJ hat er Anfang der achtziger Jahre über den Soldatensender BFBS
gehört, und neben Punk, Independent und New Wave legte Peel damals eben
auch Sungura-Singles auf. So wurde der Sound der Unabhängigkeit des
vormaligen Südrhodesien nicht nur im einstigen kolonialen „Mutterland“
bekannt, sondern auch in der norddeutschen Provinz. Höhn fand Gefallen an
den melodiösen Beats, die verblüffend gut zum Sound von Punk-Kapellen wie
The Buzzcocks oder The Boys passen, aber beispielsweise auch zu einem
Rock-Steady-Mastermind wie Ken Booth; auch den bekam der junge Höhn einst
durch John Peels Sendungen nahegebracht.
Bei John Chibadura – eigentlich John Nyamukokoko, geboren 1957 als Sohn
einfacher Leute – war alles anders. „Den habe ich erst viel später
entdeckt“, erzählt Höhn, „und gerade der ist das Nonplusultra der
Sungura-Szene!“ Er rührt in seinem Kaffee. „Mindestens 27 Gold-Alben hat er
in Simbabwe veröffentlicht und unzählige Singles.“ Weil es in Deutschland,
anders als etwa in England und den Niederlanden, kein Vinyl aus Simbabwe zu
kaufen gab, wurde Höhn erst Ende der 2010er-Jahre von einem Punk-Kunden mit
den ersten Songs von Chibadura und dessen „Tembo Brothers“ bekannt gemacht.
Höhn kam auf den Geschmack, graste später Plattenläden in Amsterdam und
Delft ab. Einige Alben hat Höhn auch erst auf seiner Simbabwe-Reise kaufen
können, secondhand in und um Harare, dazu auch einen ganzen Schwung
Singles.
Ein bisschen ist das auch im Dokumentarfilm „Sungura“ zu sehen, der während
dieser Reise auf Chibaduras Spuren entstand. Die Idee dazu entwickelte Höhn
gemeinsam mit Kameramann Butenschön. Der stammt genauso wie Höhn aus dem
Umland von Hannover, ist aber irgendwann nach Essen „ausgewandert“, um dort
Film zu studieren. Inzwischen lebt er als Kameramann am Rhein. Und war
sofort Feuer und Flamme, als ihm Höhn, sein alter Kumpel aus Punker-Tagen,
von einem Traum erzählte: dem Traum, auf eine Sungura-Entdeckungsfahrt zu
gehen – und alles festzuhalten.
Dabei wird der Filmemacher immer mal zum Protagonisten, denn Butenschön
hält drauf, wenn „Höhnie“ vor Musikclubs Interviews führt oder bei „Ga…
Records“ dem Produzenten Tymon Mabaleka mit staunenden Augen an alten
Revox-Tonbandmaschinen und Mischpulten vorbei ins Studio folgt. Mabaleka,
ehemaliger Fußballstar, der in seiner zweiten Karriere zum erfolgreichen
Musikproduzenten wurde, ist so etwas wie der Vater des Erfolges von
Chibadura. Dieser nämlich war anfangs Tänzer bei den „Sungura Boys“, der
Band, die damals in Harare den Ton angab. „Er war etwas schüchtern, kam
eines Tages mit einem eigenen Song zu mir und da hörte man schon, was ihn
ihm steckte“, erinnert sich Mabaleka im Film. Drei Tage später war bereits
die Single auf dem Markt – und wurde zum Hit. Das aber gefiel den Sungura
Boys gar nicht: Sie boykottierten ihren aufstrebenden Background-Tänzer und
kamen nicht zum verabredeten Studio-Termin. Auf Mabalekas Rat hin gründete
Chibadura kurzerhand seine eigene Band „Tembo Brothers“. Und die wurden
schnell zur größten Nummer der Sungura-Musikszene.
Der begnadete Komponist, der laut Produzent Mabaleka täglich oft mehrere
Songs schrieb, lieferte Hits am Fließband, darunter Nummer-eins-Titel wie
„Hosana“ oder das groovende Liebeslied „Mudiwa Janet“, das mit seiner
quäkenden Orgel an die ersten Gehversuche des Reggae-Organisten Junior
Murvin erinnert. Überhaupt: Der Weg vom Sungura zur jamaikanischen Musik
ist gar kein so langer: Schließlich hat Bob Marley zur Unabhängigkeit
Simbabwes im Fußballstadion von Harare gespielt.
## Die Söhne pflegen das Erbe
Das Gros der Alben des Sungura-Masterminds erschien beim Label Gramma
Records, und fast alle hat Tymon Mabaleka produziert, der im vergangenen
Jahr verstarb. Den rief Höhn zehn Tage vor seiner Reise Ende 2011 an,
woraufhin der Produzent den Hannoverschen Punks den Weg zu heutigen
Musikern wie auch zu Chibaduras Familie ebnete. „Die haben wir besucht,
interviewt und gestaunt als wir feststellten, dass die Söhne das Erbe ihres
Vaters pflegen“, sagt Höhn und zeigt auf das DVD-Cover seines Films: Darauf
sind die „Chibadura Brothers“ und die Söhne der „Tembo Brothers“ gemei…
bei einer Probe im Studio zu sehen.
Herausgekommen ist die 100-Minuten-Doku im Dezember vergangenen Jahres.
Zerschlagen haben sich Höhns Träume, seinen Film auf einem der großen
Dokumentarfilm-Festivals in Amsterdam, Leipzig oder gar dem legendären
Sundance Festival zu zeigen. „Wir landeten zwar mehrfach in der letzten
Runde –aber die haben wir eben nicht überstanden.“ Woran das lag, weiß H�…
nicht, auch wenn ihm ein paar Kritiker gesteckt haben, dass er zu oft im
Bild sei. Nun vertreibt er halt eine DVD. Zum einen, um einen Teil der
Drehkosten in Harare wieder einzuspielen, zum anderen, um einem
beeindruckenden Musiker und seinem pulsierenden Beat, dem Sungura, ein
Denkmal zu setzen. Und das ist dem Punker mit Sinn für melodiöse Beats
gelungen.
„Sungura – Story of John Chibadura and Zimbabwean Music“ ist bei Hoehnie
Films erschienen (Vertrieb: Broken Silence)
12 Feb 2016
## AUTOREN
Knut Henkel
## TAGS
Simbabwe
Debütfilm
Reggae
Rolling Stones
## ARTIKEL ZUM THEMA
Happy Birthday, Bob Marley: Der unvollkommene Motivator
Er stand für Liebe, Frieden und Widerstand, aber auch für
Rastafari-Orthodoxie. Heute wäre Bob Marley 75 Jahre alt geworden.
„Casa Refugio Citlaltépetl“ in Mexiko-Stadt: Bulawayo, Hannover, Citlalté…
Ein Asyl für verfolgte Intellektuelle: der Schriftsteller Christopher
Mlalazi aus Simbabwe und die „Casa Refugio Citlaltépetl“ in Mexiko-Stadt.
Rolling Stones in Havanna: Penetration durch den Klassenfeind
Jahrzehnte lang waren die Rolling Stones auf Kuba verboten. Am Karfreitag
darf die britische Rockband erstmals in Havanna auftreten.
Jahrestagung der Diamantenindustrie: Streit um Simbabwes schmutzige Steine
Auf seiner Jahrestagung muss der "Kimberley-Prozess" zur Selbstregulierung
des Diamantenhandels klären, ob Simbabwes Regime trotz Armeeterror
exportieren darf.
Angebliche Affäre der First Lady: Sexskandal erschüttert Simbabwe
Simbabwes First Lady Grace Mugabe soll angeblich seit Jahren ein Verhältnis
mit dem Zentralbankchef haben. Dieser verwaltet die Finanzen des Landes und
der Präsidentenfamilie.
Tsvangirai boykottiert Kabinett: Kleinkrieg in Simbabwes Regierung
Weil der designierte Vize-Agrarminister der demokratischen Bewegung gleich
zweimal verhaftet wird, boykottiert Premier Tsvangirai nun die gemeinsamen
Kabinettssitzungen mit Präsident Mugabes Leuten.
Brüchiger Friede im südlichen Afrika: Simbabwe hofft
Die Übergangsregierung unter Premierminister Morgan Tsvangirai amtiert seit
Februar neben Präsident Robert Mugabe. Politisch bleibt die Lage im Land
angespannt.
Reportage aus einem Krisengebiet: Simbabwe in Zeiten der Cholera
Mehr als 2.000 Menschen gestorben, fast 40.000 erkrankt: Simbabwe leidet
unter der Cholera. Dabei hätte die Epidemie leicht vermieden werden können,
glaubt Ärztin Barbara Nakaseke.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.