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# taz.de -- Hans-Werner Meyer über Schauspieler: „Keine Klassengesellschaft�…
> Aus einer Studie geht hervor, dass nur wenige britische Schauspieler aus
> dem Arbeitermilieu stammen. Wie sieht es in Deutschland aus?
Bild: Schauspieler auf der Bühne des Deutschen Nationaltheaters in Weimar
taz: Herr Meyer, gibt es in Deutschland eine vergleichbare Entwicklung wie
in Großbritannien?
Hans-Werner Meyer: So eine Situation sehe ich für Deutschland grundsätzlich
nicht, denn wir haben hier keine Klassengesellschaft im herkömmlichen Sinn
mehr, mithin andere Strukturen und Voraussetzungen. Klassendenken und
Klassendünkel wie in Großbritannien, gibt es hier so nicht. Für einen
Schauspieler ist jeder gesellschaftliche Hintergrund zunächst ein
Erfahrungsschatz, auf den er für seine Rollen zurückgreifen kann.
Sie würden also sagen, dass in Deutschland jeder, der Schauspieler werden
möchte, gleiche Chancen besitzt, egal welchen sozialen Hintergrund er hat?
Ich wüsste nicht, warum nicht. Aus der Zeit meiner Ausbildung kann ich
sagen, dass damals sogar explizit nach Schauspielern aus dem sogenannten
Proletariat gesucht wurde. Die 70er und 80er Jahre waren in Westdeutschland
schließlich die Zeit der revolutionären Hoffnung. Die zukünftigen Helden
sollten Proletarier sein, daher galt ein solcher Hintergrund eher als
schick. Und in der DDR war es definitiv von Vorteil, eine solche Biographie
zu haben.
Heute haben wir eine vollkommen andere gesellschaftliche Situation.
Sozialrevolutionäre Gedanken spielen kaum noch eine Rolle.
Gesellschaftliche Utopien von Gleichheit und Brüderlichkeit haben keine
Strahlkraft mehr, und der Begriff „Proletariat“ ist inzwischen ohnehin
klärungsbedürftig.
Welche Barrieren sehen Sie in Deutschland bei der Ausbildung zum
Schauspieler?
Bei der Ausbildung sehe ich keinerlei Barrieren. Wenn Du beim Vorsprechen
überzeugst, wirst Du in der Schauspielschule aufgenommen. Da spielt der
gesellschaftliche Hintergrund überhaupt keine Rolle. Hinzu kommt, dass es
im Film- und Fernsehbereich inzwischen immer mehr Schauspieler gibt, die
nicht auf einer Schauspielschule waren, sondern schon als Kinder gedreht
haben und so in den Beruf gewachsen sind.
Die Barrieren betreffen eher den generellen Zugang zu Bildung. Da werden
die Unterschiede bekanntermaßen immer größer. Aber, auch wenn das
vielleicht etwas seltsam klingt, Bildung ist keine notwendige
Voraussetzung, um Schauspieler zu werden. Talent fragt nicht nach Herkunft.
Ich kenne auch Schauspieler aus kleinen und aus großen Verhältnissen. Viele
mögen aus der Mittelschicht stammen aber das liegt wohl auch daran, dass
sie die größte Schicht ist. Und auch wenn vielleicht grundsätzlich weniger
Schauspieler aus dem Prekariat stammen, landen die meisten
bedauerlicherweise doch am Ende dort.
Wie wichtig ist hierbei der familiäre Hintergrund in der deutschen
Schauspielbranche?
Um einen Fuß in die Tür zu bekommen, mag es hilfreich sein, aus einer
Schauspielerfamilie zu stammen. Allerdings leben ja gemäß der vom BFFS in
Auftrag gegebenen BEMA-Studie 70% der Schauspieler von unter 30.000€ im
Jahr, sind somit also eher der unteren Mittelschicht zuzurechnen, falls man
es überhaupt noch „Mittelschicht“ nennen kann.
Sie sehen, die Bezeichnung „Proletariat“ hat keine wirkliche Trennschärfe
mehr. Viele Arbeiter dürften mehr verdienen als die Mehrzahl der
Schauspieler.
Möglicherweise kommen Kinder aus bildungsnahen Familien eher auf die Idee,
diesen Beruf zu ergreifen. Wie wohlhabend eine solche Familie ist, spielt
dabei meines Wissens allerdings keine Rolle. Aber langfristig bleiben
ohnehin nur jene in diesem Beruf, die es unbedingt wollen und die nötige
Hingabe und Disziplin lernen.
Finden Sie, dass in der deutschen Film- und Theaterlandschaft Themen, die
sozial schwache Menschen betreffen, ausreichend aufgegriffen werden?
Da ich es zurzeit als zweifacher Vater eher selten ins Theater schaffe,
kann ich für das Theater nur eine Einschätzung geben, die auf
Zeitungslektüre beruht. Bei den staatlichen Theatern in Berlin, also dem
Maxim Gorki Theater, der Volksbühne, der Schauspielbühne und dem Deutschen
Theater habe ich schon den Eindruck, dass eine Auseinandersetzung mit der
sozialen Realität in diesem Land stattfindet. Das Gorki hat sich in der
gegenwärtigen Ära zwar explizit dem Thema Migration und Integration
verschrieben. Allerdings ist dieses Thema ja auch Teil unserer sozialen
Realität und in Berlin zumindest nicht mehr davon zu trennen.
Im Film und Fernsehen finden solche Themen seltener statt. Hier gibt es oft
einen Mangel an sozialem Realismus. Ich finde das schade. Es ist wichtig,
die Realität abzubilden und näher an der Lebensrealität der Menschen zu
sein. Aber damit geraten wir in die Diskussion, mit welchen wie erzählten
Themen man ein Massenpublikum erreicht, und das ist wieder ein ganz anderes
Thema, für das wir deutlich mehr Platz bräuchten.
6 Mar 2016
## AUTOREN
Johanna Braun
## TAGS
Filmbranche
Theater
Schauspieler
Filmindustrie
Arbeit
Migration
Lesung
Schwerpunkt Berlinale
Fernsehserie
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