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# taz.de -- Ben Becker über Berlin und den Glauben: „Geht mir doch nicht auf…
> Am Ende eines langen Tages sitzt Schauspieler Ben Becker vor einem
> Weißbier. Er plaudert über Gott und die Welt – und was ihm nicht passt.
Bild: „Wer Berlin nicht mag, muss nach Wolfsburg oder Braunschweig ziehen.“
taz: Guten Tag, Herr Becker.
Ben Becker: Guten Tag. (Aus dem Handschlag wird eindringliches
Händeschütteln). Machst du Sport? Boxen?
Ne, eher Fußball.
Es folgt ein kurzes Geplänkel über die Leber als wichtiges Knock-out-Organ
beim Boxen. Dann setzen wir uns.
Herr Becker, Berlin wird gerade mächtig runtergemacht, weil hier nichts
klappt.
Von wem? Von Wolfsburg?
Von den Medien aus dem ganzen Land, weil hier nichts funktioniert.
Hat hier schon jemals was funktioniert? Es war immer eine Stadt im Umbruch,
ein Moloch, immer ein bisschen kaputt. Entweder man mag das oder nicht.
Wenn nicht, dann muss man nach Wolfsburg oder Braunschweig ziehen. Für mich
gibt es nur Berlin, nicht mal Hamburg.
Sie stammen aus Bremen. Haben Sie noch eine Erinnerung daran, wie es war,
als Sie das erste Mal in Berlin ankamen?
Ja. Da war ich noch ein kleiner Junge, und mein Vater hat mich mit
hergenommen, denn: „Da wird gutes Theater gemacht.“ Damals fing Peter Stein
hier an. Der war mal bei uns zu Hause in Bremen, da hat der eine Dose
Hundefutter mit der Eisensäge aufgemacht. Das war 1969, die große Zeit des
Bremer Theaters. Dann ist Stein nach Berlin und hat das Theater am
Halleschen Ufer übernommen [das heutige HAU 2, d. R.]. Mein Vater hat
gesagt, das müssen wir uns angucken. Da habe ich gedacht: „Huhuhu, was ist
hier denn los!?“ Als sich meine Mutter dann von meinem Vater getrennt hat,
ist die hierher nach Berlin gegangen. Und dann hieß es: „Wo wollt ihr
Kinder hin?“ Ich habe gesagt: „Ich will zu meiner Mutter nach Berlin.“
Fanden Sie die Stadt gleich toll?
Man musste ja damals mit British Airways einfliegen, und da hat man eine
Kordel mit Plastikschild um den Hals gekriegt. Da stand drauf:
„Juniorreisender Ben Becker“. Die Stewardess nahm mich an die Hand, und so
kam ich in Tempelhof an. Otto [der Stiefvater Otto Sander, d. R.] hat mich
abgeholt und versucht, mich anzugewöhnen. Wir waren immer Doppeldeckerbus
fahren und im Kino am Ku’damm Bud Spencer gucken. So habe ich die Stadt
lieben gelernt, bis heute. Ich bin hier zu Hause, bin Berliner, kein Bremer
mehr. Was mir auf die Eier geht: Da oben in Prenzlauer Berg sitzen die
ganzen Schwaben, die Zugezogenen, und sagen: „Der Becker ist ’ne dumme Sau
und behauptet, er hätte Berlin erfunden.“ Und da bin ich bisschen sauer.
Haben Sie zu denen persönlich Kontakt?
Nö. Will ich auch nicht.
Das wurde Ihnen zugetragen?
Ich lese das in Ihrer Zeitung.
Aha.
(Kleine Pause.)
Sie wirken genervt. Hat das auch mit der Stadt zu tun oder . . .
Am furchtbarsten war es immer, wenn ich raus war aus der Stadt. Das
Schlimmste ist mir in Stuttgart passiert, in der Pause von Kresniks „Die
Verfolgung und Ermordung Jean Paul Marats“. – „Ben, die Mauer ist
gefallen“, sagte Otto zu mir am Telefon. Ich: „Was? Ich komm hier nicht
weg.“ Das war hart. Noch so eine schlimme Sache, da war ich gerade in
Weißensee und habe eine Boxveranstaltung moderiert, wieder rief Otto in der
Pause an: „Ben, wo bist du gerade?“ Ich: „In Weißensee.“ Er: „Halt d…
fest, Marlon Brando ist gerade gestorben.“ Da fing ich an zu weinen, bin
ich rein in die Veranstaltung zu den ganzen Friseusen und Rockern und habe
gesagt: „Bitte erheben Sie sich von ihren Plätzen, der Mann, der mich zur
Schauspielerei und zum Boxen gebracht hat, ist heute verstorben. Marlon
Brando ist tot, ich bitte um eine Schweigeminute.“
Haben alle gehorcht?
Na logo.
Was war das für eine Veranstaltung?
Weiß nicht mehr, war im Boxtempel in Weißensee.
Ist Ihre „Judas“-Show im Dom körperlich so anstrengend wie Boxen?
Mehr. Es ist sehr heftig. Die Show dauert – wie man mir gesagt hat –
anderthalb Stunden, aber gefühlt sind es über drei.
Wie bereiten Sie sich darauf vor?
Arbeiten und Text lernen. Das sind ja immerhin 27 Seiten in 14 Punkt
[Schriftgröße, d. R.], da sitzt man schon lange. Und dann ist es von einem
Rhetoriker, Walter Jens. Man hat es also nicht mit einem in sich
geschlossenen, gängig dramaturgisch verständlichen Text zu tun wie im
Theater. Also nichts mit: Ich gehe jetzt Maria töten, so tötööötö, was man
nachvollziehen kann, sondern es ist ein rein rhetorischer Text. Und das zu
lernen ist unheimlich schwer, und das zu behaupten. In dem Moment, wo ich
mich da hinstelle, muss ich das ja auch irgendwie behaupten oder
dahinterstehen in irgendeiner Art und Weise. Das ist schwer und wirklich
Arbeit, aber die macht Spaß.
Was ist das für ein Gefühl, wenn man im Dom steht und zum Publikum spricht?
Da sitzen Leute, die möchten den Text hören, und dann gibt es einige, die
haben sich über die scheiß Akustik beschwert. Die ist auch schwierig. Ich
bin Schauspieler und sage einen Text und versuche dem Leben einzuflößen. Da
gibt’s Leute, die interessiert das, und andere, die sagen, der Typ ist
sowieso ein Arschloch, und dann gibt es welche, die finden das spannend,
wie ich mich damit auseinandersetze. Dass es überhaupt jemanden gibt, der
sich mit einem Text von Walter Jens auseinandersetzt. Weil, man kann auch
einen Kack machen, verstehst du?
Klar.
Das tu ich nun mal nicht. Sondern ich hab Spaß an schöner Literatur.
Raucherpause
Ist es ein Unterschied, ob man so was in der Kirche macht oder im
Tempodrom, wie Ihre Bibel-Lesung vor einigen Jahren?
Ja, ist ein großer Unterschied. Weil: Akustik in der Kirche ist schwierig.
Ansonsten ist für mich eine Kirche eine Kathedrale und ein Theater
ebenfalls. Es sind beides heilige Orte. Ob Christ oder Kommunist.
Sind Sie noch Kommunist?
Wenn sie es genau wissen wollen, Anhänger von August Thalheimer.
Muss ich passen.
Hab ich mir fast gedacht. Dialektischer Materialismus. Ein Tisch ist ein
Tisch und ist kein Tisch. Ja, ich bin letztlich immer noch Kommunist. Aber
nie Anhänger gewesen des ehemals angeblich real existierenden Sozialismus.
Interessiert mich nicht, war immer scheiße.
Sind Sie früher öfter mal rüber nach Ostberlin?
Nur weil die Sportkleidung da so billig war. Turnhosen kaufen und so. Wenn
die in der Schule gesagt haben, wir machen mal einen Kulturausflug nach
Ostberlin, war ich total genervt, was soll ich da. Schön war, ich habe in
einer Stadt gelebt, von der ich die andere Seite nicht kannte, und die
wollte ich damals auch nicht kennenlernen.
Es gab ja ein paar Leute aus der Westberliner Subkultur, die das
interessierte.
Wer?
Mark Reeder zum Beispiel.
Ja, vielleicht, das behauptet der auch.
Er hat immerhin mit „B-Movie“ einen ganzen Film darüber gemacht.
Das hat mich nicht interessiert, ich war mir selbst genug. Ich fand das
nicht so spannend. Na ja, wobei, war schon spannend.
Was?
Die Zeit, total geil.
Vermissen Sie die?
Manchmal würde ich schon sagen: Danke schön, das war’s. Geht mir doch nicht
auf die Eier, ihr ganzen Pfeifenköppe.
Was nervt Sie so sehr heute?
An Berlin gar nichts. Ich finde, dass die ganze Zeit heute sehr
unübersichtlich geworden ist. Ich blicke kaum noch durch, es gibt so viel
Scheiße, ob mit dem Klima, oder nimm das mit dem Reis. In Indien gibt es so
viel Reis und so viele hungernde Kinder, das stimmt nicht. Der Reis wird zu
uns verfrachtet für irgendwelches Tierfutter, damit wir bei McDonald’s
futtern können. Oder in Syrien flippen die Freaks aus und bringen den Koran
völlig durcheinander, und dann gibt es Skinheads aus Spandau, die wollen da
unten aufräumen . . . Und wir verkaufen Heckler- &-Koch-mäßig über drei
Ecken die Waffen da runter und reden über Klimaschutz, und VW hat ein ganz
großes Problem wegen der Abgasverteiler. Das ist euer Kapitalismus. Und
deshalb setze ich mich mit der Bibel auseinander und mit Judas Ischariot.
Raucherpause
Wie haben Sie es sonst so mit der Kirche?
Na, so wie Sie, ha, ha, ha.
Ich hab’s gar nicht mit der Kirche.
Ich gehe ab und zu mal hinein. Das kann ich jedem empfehlen. Das hat nichts
damit zu tun, ob man wahnsinnig gläubig ist. Man geht einfach rein und hat
einen Moment Ruhe für sich. Und einen Moment für Kommunikation mit dem
Typen, der da oben hängt, wenn man ihn angucken will.
Sie meinen . . .
. . . Jesus Christus. Mit dem kann man sich in aller Stille unterhalten.
Kirche ist durchaus ein Ort, wo man mal in Ruhe reflektieren kann.
Waren Sie schon im Kloster?
Des Öfteren, und ich gehe immer wieder gern hin. Einfach so, um
runterzukommen.
Haben Sie sich vor der „Judas“-Show mit Kirchenleuten zusammengesetzt und
sich beraten oder den Text einfach nur auf sich wirken lassen?
Ich habe mich mit intelligenten Leuten auseinandergesetzt, mit dem
Dramaturgen John von Düffel vom Deutschen Theater. Und ich habe natürlich
auch Kirchenfreaks angerufen, wenn ich eine Frage hatte. Wenn ich mich aus
dem Fenster lehne, mache ich mich vorher halt kundig und frage Leute, die
ein bisschen Ahnung haben, ob das so geht, wie ich es mache. Auf Glatteis
bewege ich mich eh.
Ohne Angst?
Ich hab keine Angst, überhaupt nicht, nein, vor niemandem: Du kannst
aufstehen, ich sehe deine großen Hände, aber ich habe keine Angst. Die
Leber ist rechts unten, schwer ranzukommen, aber wenn man trifft, dann
knallt’s.
Ist die „Judas“-Geschichte interessant, weil Sie auch eine
Sündenbockgeschichte ist?
Nee, es ist einfach ein toller Text. Er hat mir der heutigen Zeit zu tun:
Wer verrät wen? Die Flüchtlingsströme, die Völkerwanderung, wer hat die
Leute verraten. Wer hat Griechenland verraten? Schröder? Das Thema Verrat
ist ein spannendes Thema, das mich sehr interessiert, gerade in dieser
Zeit. Deshalb habe ich gesagt, ich mache das jetzt. Und da ich weiß, wie
man das Komma vom Semikolon unterscheidet, bin ich angetreten. Und glaube,
es ist ganz gut geworden.
Haben Sie gravierende persönliche Erfahrungen mit Verrat?
Ja! Ja!
Wollen Sie darüber etwas erzählen?
Nein! Es hat sehr wehgetan. Das muss ich aber nicht in der Öffentlichkeit
erzählen.
Okay.
Wie hat mein verstorbener Vater Otto immer gesagt: „Du kannst machen, was
du willst, aber verarsch mich nicht, sonst werde ich sauer beziehungsweise
traurig.“ Das habe ich mir gemerkt.
Das eine ist, ob dem Publikum Ihre Vortragskunst gefällt – das andere, ob
es auch darüber nachdenkt.
Entweder man hat Spaß an Literatur und ernsthaften Sachen, oder man lässt
es und guckt sich „Alarm für Cobra 11“ an! Ich versuche mir Mühe zu geben,
Kunst rüberzutransportieren und Leuten irgendwas zu vermitteln und
ernsthafte Fragen zu stellen. Und die häng ich auch an die große Glocke!
Raucherpause
Meine Frage zielte dahin: Es gibt heute einen großen Teil Publikum, ganz
generell, der sucht vor allem das Spektakuläre, den Event mit
Berühmtheiten.
Na, dann sollen sie doch kommen, ist doch schön. Bin ich doch dabei. Das
ist doch mal eine Antwort. Ich kann diese Anpisserei nicht mehr ab.
Ich habe Sie nicht angepisst.
Nein, ist okay, ich weiß es doch auch nicht. Da überlegt man sich was mit
einer Arbeit, und die Leute denken, ich mache Kasperletheater. Und dann
sagen noch welche, das Krokodil ist scheiße, weil es so nachdenklich ist.
Geht’s noch?!
Fühlt sich nicht gut an?
Nicht gut? Da geht der Arsch auf Grundeis! Trotzdem finde ich, das Stück
von Walter Jens gehört dahin. Den Rhetoriker in die Kirche zu bringen, ist
heavy und mutig. Dass die mich da überhaupt reinlassen! Aber
christlich-gläubige Menschen, egal welcher Konfession, sind unheimlich
offen für Fragen. Fragen stellen ist erlaubt: Fliegen wir demnächst zum
Mars und gucken, ob wir Wasser finden und bauen dann da die nächste Scheiße
auf? Als Künstler muss ich auf der Bühne Fragen stellen, die ich mir
manchmal selber ausdenke und manchmal aus der Literatur hole. Deshalb bin
ich nicht bei „Alarm 11“ dabei, sondern gucke im Buchregal, was hat Joseph
Roth geschrieben oder Walter Jens oder Joseph Brodsky. Da wird’s
interessant.
Sind Fragen wichtiger als Antworten?
Ich habe keine Antworten, und sie interessieren mich nicht. Ich weiß auch
nicht, wer welche hat: die KPD oder Horst Mahler? Fritz Teufel war gut –
„wenn es der Wahrheitsfindung dient“. Das steht auf seinem Grabstein hier
um die Ecke. Da bin ich dabei. Antworten gibt’s nicht, aber Fragen stellen
wird ja wohl erlaubt sein. Was können wir anderes machen, als Sachen
infrage zu stellen? Ist das richtig, was ihr macht, oder liegen wir falsch?
Sie haben mir vor Jahren gesagt, Sie würden gern mal mit dem Papst ein
Duett singen.
Der Papst muss aufpassen, dass sie ihn nicht um die Ecke bringen.
Ist der ihnen sympathisch?
Ja. Ich finde den gut, aber die Frage ist ja: Was ist der Papst, brauchen
wir einen Papst?
Brauchen wir überhaupt eine Kirche?
Das ist mir zu privat.
Jut.
28 Feb 2016
## AUTOREN
Gunnar Leue
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