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# taz.de -- taz-Serie Damals bei uns daheim, Teil 12: Ernährung und Gesundheit
> In der BRD gab es ausschließlich folgendes zu essen: Pellkartoffeln,
> Graubrot und Schwein. Genuss? Das war nur was für Franzosen.
Bild: Die Kartoffel. Jeder in Deutschland aß damals kiloweise diese Knolle.
Grundnahrungsmittel war die Pellkartoffel. Nur der Name und die DNS wiesen
noch vage auf eine Verwandtschaft der faulig keimenden, vom Bauern
verschmähten Schrumpelknolle mit ihrer schönen Schwester, der
Salzkartoffel, hin. Durch stundenlanges Kochen verschwanden immerhin die
meisten Giftstoffe, die gummiartige Konsistenz blieb.
Daneben gab es das sogenannte Graubrot, das in Geschmack und Grauton exakt
in die Epoche passte. Darauf strich man „Margarine“, eine aus Unkraut
gewonnene Fettschmiere, die entfernt die Farbe von Butter aufwies.
Freudlosigkeit hieß die Devise. Genuss hatte den Ruch des Französischen,
das waren wir ja zum Glück nicht.
Beliebtestes Gericht, Objekt der erotischen Begierde und häufigstes
Schimpfwort war jedoch das Schwein. Das gab es gesotten oder gebraten,
gegrillt oder gekocht, tot oder lebendig. Dazu Pellkartoffeln und eine
stinkende Hilfspflanze namens „Kohl“.
Oft war das Schwein sehr klein und reichte nicht für alle. Dann schrie mich
Stiefmutter in den Schlaf, der mich den Hunger vergessen ließ. Die Melodie
war karg, die Lyrics formten sich aus Drohungen und Vorwürfen. Meine
Trommelfelle mussten derart hart arbeiten, um unter der Belastung nicht zu
platzen, dass erst das Ohr, dann das Gehirn und schließlich der ganze
Körper so erschöpft war, dass nur noch die Optionen Schlaf oder Tod
blieben. Und da behielt eben doch der Schlaf die Oberhand.
Wir hatten alle das Karma eines Karnivoren, wie man heute sagen würde, da
alle Welt verrückt spielt. Ein Glück, dass Stiefvater das nicht mehr
erleben muss. Wer nur ein gutes deutsches Schwein vertilgt, wird bereits
scheel angesehen, während die Esser von Unkraut, Wurzeln und Strünken für
ihre Torheit mit Lob überhäuft werden.
## Kein Schwein? Sehr suspekt
Damals aber war alles noch in Ordnung. Leute, die kein Fleisch aßen, galten
bestenfalls als schrullige Schrate, eher noch als Verbrecher, die unsere
Kultur zerstörten. Stiefvater meinte rundheraus, man solle „das Pack auf
Müllhalden verbrennen, nachdem man ihm Pfähle aus Kruppstahl ins Herz
geschlagen hat“. Stiefmutter ging das zu weit: „Die Leute finden so was
heute nicht mehr schön, Stiefvati“, sagte sie, woraufhin er entgegnete, es
gehe nicht um Schönheit, sondern um bittere Notwendigkeit.
Das Schwein zu schlachten sowie den Russen und den Fahrradfahrer zu
erschlagen sei ja auch nicht im ästhetischen Sinne schön. Und doch brauche
man fleißige und tapfere Menschen, die diese undankbaren Arbeiten beherzt
erledigten, damit wir nicht an Hunger, Kälte oder Werteverlust sterben.
10 Mar 2016
## AUTOREN
Uli Hannemann
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