| # taz.de -- Damals bei uns daheim, Teil 10: Die Ostzone | |
| > Sachen packen für die drüben: Alles rein, was nichts wert war, und ab | |
| > damit in die Zone. Im Gegenzug bekamen wir Geschnitztes aus dem | |
| > Arschgebirge. | |
| Bild: „Ich seh den Mauerfall schon kommen“, sagt Helmut Schmidt. Erich Hone… | |
| Besonders in der Vorweihnachtszeit wurden wir ermahnt, an die Menschen in | |
| Afrika und vor allem der Ostzone zu denken. Stiefmutter ließ uns Pakete | |
| packen mit Sachen, die wir nicht mehr brauchten, doch die „drüben“ | |
| sehnlichst erwartet wurden: Bananenschalen, zerschlissene Kleidung und | |
| leere Kosmetiktuben, an denen man noch den Duft der Freiheit erschnuppern | |
| konnte. Die schickten wir an Stiefonkel René und Stieftante Yvonne in | |
| Butzlau. Von ihnen bekamen wir handgeschnitzte Wichtel aus dem | |
| Arschgebirge, die Stiefmutter unter Tränen der Rührung in den Klappeimer | |
| warf. | |
| In der Ostzone gab es keine Freiheit wie bei uns. Die Schüler lernten | |
| Russisch und lautloses Töten. Zu essen gab es nur Klumpen aus Knorpeln. | |
| Alle Frauen arbeiteten „in der Produktion“, wie sie die Herstellung von | |
| Müll aus Schrott bezeichneten. Die Säure zerfraß ihre Hände, die doch Liebe | |
| schenken, und ihre Gesichter, die doch Anmut ausstrahlen sollten. Die | |
| meisten waren danach nur noch für den Hochleistungssport zu gebrauchen. So | |
| nannte das Ost-Regime die Turnübungen, die selbst unsere gut trainierten | |
| Sportler nicht schafften. | |
| Aber die waren ja auch ganz normale Menschen und keine Maschinen aus Chemie | |
| und Kunststoff, denen man Augen, Mund und Nase aufgemalt hatte. | |
| Bei uns mussten Frauen nicht arbeiten. Sie mussten einfach nur schön sein, | |
| kochen und die Stiefkinder betreuen. Dafür hatten die Männer das Recht, | |
| sexuell säumige Gattinnen mit starker Hand den ehelichen Pflichten | |
| zuzuführen – „sie unter dem Segen von Kirche und Justiz zu vergewaltigen�… | |
| wie heute manch Zyniker tönt, aber was weiß der schon: Das war doch eine | |
| völlig andere Zeit. | |
| Im Stiefkindergarten brachte man uns bei, dass auf einer Art Insel inmitten | |
| der Ostzone Leute von uns, also aus Deutschland, wohnten. Die Insel hieß | |
| Berlin, genauer gesagt nur der Westen davon, denn der Osten gehörte dem | |
| Russen, der die Ostzone mit eiserner Hand regierte. Die Westberliner | |
| kämpften tapfer gegen die rote Welle an, die wie Fäkalien aus einem | |
| geborstenen Fallrohr über sie hereinzuschwappen drohte. So war die Mauer | |
| sogar lange Zeit ein Schutz. Das zeigte sich, als dieser Wall später | |
| brechen sollte. | |
| Doch zuvor ballerten die Ostgrenzer auf alles, was sich bewegte: | |
| Westberliner Schulkinder, die Freiheitslieder singend in Mauernähe | |
| vorüberzogen. Putzige Spatzen. Klitzekleine Mäuslein, die sich und ihren | |
| Lieben an der Grenzanlage doch nur ein kleines Nest hatten bauen wollen. | |
| Vor allem aber Zonenbürger, die ihr Leben riskierten, um zu uns in die | |
| Freiheit zu gelangen, in die BRD, eine Bezeichnung, die die Stiefeltern | |
| wenig schätzten, da sie das Elsass, Schlesien und andere liebgewonnene | |
| Gemarkungen unseres tausendjährigen Weltreichs quasi ausschloss. | |
| Spatzen, Mäuslein und Republikflüchtlinge wurden von den Grenzschützern auf | |
| einen vorsintflutlichen Plastiklaster geworfen und in die Zonenhauptstadt | |
| Bautzen transportiert, wo man Senf aus ihnen machte. Denn nur damit bekam | |
| man die Knorpelklumpen irgendwie herunter. | |
| 18 Jan 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Uli Hannemann | |
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