# taz.de -- taz-Serie Damals bei uns daheim, Teil 11: High Society | |
> Kaum war der Krieg vorbei, kam auch schon der Geldadel, beschäftigte | |
> Gastarbeiter und ließ sich die Arschpickel ausdrücken. | |
Bild: So sah das Wirtschaftswunder von oben aus. | |
Kurz nach dem knapp und unglücklich verlorenen Krieg schwammen sie schon | |
wieder oben wie Fettaugen auf der Suppe: die Großindustriellen, die nun den | |
neuen Politikern die schmalen Einkünfte aufpimpten. | |
Ein Bundesminister bekam vier Mark und fünfzig Pfennig Stundenlohn, ein | |
Drittel davon als Bausparvertrag, dazu ein Röhrenradio und das Recht der | |
ersten Nacht in jeder neu eröffneten Jugendherberge. Da war ein Zubrot | |
stets willkommen, ob ein Brathähnchen, ein Fahrrad oder ein Pfund echter | |
Bohnenkaffee. | |
So ökonomisch er eben noch Kriegsgefangene zu Tode geschunden hatte, so | |
schnell erlernte der Industrieadel jetzt den feinen Unterschied zwischen | |
„Zwangsarbeitern“ und „Gastarbeitern“, wie dass man Letztere nicht schl… | |
durfte und sogar bezahlen musste – aber kein Problem, genug Geld war | |
schließlich da. Die Alliierten benötigten die alten Eliten zum Aufbau eines | |
neuen Deutschlands. | |
Also sprachen alle mit Hochachtung von ihnen: Siegfried Siemens. Karl | |
Karstadt. Volker und Veronika Volkswagen. Nicht zu vergessen der ehemalige | |
Zahnarzt Dr. Oetker, der seine alten Kollegen über den Verkauf zuckersüßer | |
Puddingspeisen zu ewiger Dankbarkeit verpflichtete. | |
## „Blut & Boden“, „Heim & Reich“ | |
Mit ihrem glamourösen Leben beherrschten sie die Klatschspalten der bunten | |
Blätter, die gerade erstmals in Farbe herauskamen. Die „Frau & Herd“, die | |
„Blut & Boden“, die „Heim & Reich“, und wie sie alle hießen, lagen bei | |
jedem Friseur, jedem Arzt und auch im Bundestag und bestimmten sämtliche | |
Gespräche dort: dass die 25-jährige Karstadt-Tochter Sabine Sinn-Leffers in | |
der Öffentlichkeit mit einer Zigarette im Mund gesehen worden war. | |
Dass Adolf Audi sich im Karneval – welch formidabler Jux! – als Fußgänger | |
verkleidete. Dass der Sekterbe Dieter Deinhardt mit sechzig noch bei seiner | |
Stiefmutti wohnte, aber viele junge Freunde und auch eine kleine Katze | |
besaß. Merkwürdig, doch zum Glück gab es in der BRD keine Homosexualität. | |
Nur im Osten und zunehmend leider auch in Amerika, eine fatale Folge der | |
Dekadenz. | |
## Stiefmutter weint | |
Wie wollten die uns so eigentlich beschützen? Abends, wenn sie uns | |
Stiefkinder schlafend glaubten, berieten die Stiefeltern in der Küche | |
darüber. Manchmal weinte Stiefmutter sogar, was mich sehr erschreckte. Sie | |
war sonst nicht so. Einmal hatte sie sich bei der Küchenarbeit zwei Finger | |
abgeschnitten und danach nur ganz kurz wegen der Sauerei geflucht. Jetzt | |
heulte sie aus Angst vor den Menschenfressern aus Sibirien. | |
Doch noch waren wir am Leben und nahmen Anteil an der Welt, die uns die | |
Illustrierten zeigten. Man munkelte, dass die Oberschicht eigene | |
Bedienstete nur zum Arschpickelausdrücken hatte, in ihren Villen auf Sylt | |
und am Starnberger See. Wer über Arschpickelausdrücker verfügte, hatte es | |
geschafft. | |
Arschpickellosigkeit galt als das körperliche Attribut der Reichen, Schönen | |
und Berühmten, nach dem alle strebten. James Dean, Marilyn Monroe, auch die | |
Beatles: Dass man im Zusammenhang mit ihnen von Arschpickeln nie auch nur | |
gehört hatte, spricht eine mehr als deutliche Sprache. | |
4 Mar 2016 | |
## AUTOREN | |
Uli Hannemann | |
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