| # taz.de -- Flüchtlinge im Kloster Altötting: Ein Bruder kämpft für seine J… | |
| > In einem oberbayerischen Kloster kümmern sich Kapuzinerbrüder um vier | |
| > muslimische Flüchtlingsjungen. Das tut beiden Seiten gut. | |
| Bild: Die Bruder-Konrad-Kirche in Altötting in 2011 | |
| Altötting taz | Ahmed* wirft den Gebetsteppich auf das Parkett zwischen | |
| seinem Bett und dem Schreibtisch. Es ist früh am Morgen, kurz nach sechs. | |
| Der 17-Jährige blickt flüchtig aus dem Fenster seines Zimmers in Sankt | |
| Konrad und schiebt den gemusterten Flecken Stoff etwas weiter nach links, | |
| Richtung Mekka. Dass der Sunnit in einem katholischen Kloster betet, stört | |
| ihn nicht: „Christen und Muslime sind alles Brüder. Wenn das Herz und der | |
| Verstand sauber sind, ist alles gut.“ | |
| Ein Stockwerk darunter bereitet sein Pflegevater Bruder Jeremias im | |
| nussbraunen Habit das Frühstück vor, stellt Baguette, Honig, Wurst und Käse | |
| auf den dunklen Eichentisch. Die Salami, die Hassan so gerne isst, kommt | |
| vom Rind, nicht mehr vom Schwein. Ein Kruzifix wacht über den Speisesaal | |
| des gut 350 Jahre alten Klosters. Nur das Ticken der massiven Pendeluhr | |
| durchbricht die Stille. Halb sieben. In einer Stunde werden auch die Brüder | |
| ihr erstes Gebet, das Laudes, sprechen. | |
| Seit Ende November leben vier afghanische Flüchtlinge im Kapuzinerkloster | |
| Sankt Konrad, mitten im katholischen Wallfahrtsort Altötting, im Südosten | |
| Oberbayerns. Ahmed, Jamil, Hassan und Mustafa sind im Sommer nach | |
| Deutschland gekommen, zunächst in eine Turnhalle, später mit 33 anderen in | |
| eine Jugendherberge. Nun wohnen die 16- bis 17-jährigen Muslime mit sechs | |
| katholischen Brüdern, die zum Teil fünfmal so alt sind, unter einem Dach | |
| und führen ihren Alltag zu deren religiösen Rhythmus: Mittagsgebet um 12.15 | |
| Uhr, Vesper um 18 Uhr, danach Essen. | |
| „Erste Straße links“, ruft Jamil am Kickertisch, als er ein Tor geschossen | |
| hat. Triumphierend lacht er in Mustafas Richtung. Der ignoriert den | |
| kryptischen Jubel seines Freundes und rollt den Ball flink auf das grüne | |
| Plastikfeld zurück. Der Betonboden im karg eingerichteten Kellerraum des | |
| Klosters ist kühl. Die Jungen schwitzen. Sie spannen jeden Muskel unter den | |
| engen, bunt bedruckten T-Shirts an, beugen sich fiebrig über den Kasten und | |
| drehen so hektisch an den Stangen, dass sie den Tisch hochheben. Bei jedem | |
| Tor fällt die Spannung kurz ab, sie lachen viel. Auf dem Holztisch hinter | |
| ihnen stapeln sich Kisten mit Brettspielen. | |
| Hierher lädt Bruder Jeremias mit dem Verein „Von Mensch zu Mensch“ junge | |
| Geflüchtete regelmäßig zu Spielenachmittagen und Filmvorführungen ein. Er | |
| organisiert Fußballturniere und gibt Deutschunterricht. In der | |
| Notunterkunft hat er Frühstück ausgeteilt. Seit August packt der resolute | |
| 47-Jährige mit den dichten grauen Haaren an. In Jeans und mit offener | |
| Sweatshirt-Jacke haben ihn Ahmed, Jamil, Hassan und Mustafa kennengelernt | |
| und schließlich gefragt: „Bruder Jeremias, können wir bei dir wohnen?“ Sie | |
| haben im Kloster ihre Chance gesehen: auf bessere Betreuung – als in der | |
| lauten Jugendherberge – und auf eine Familie. | |
| ## Offizielle Pflegeeltern | |
| Auch das Landratsamt Altötting suchte nach neuen Wegen. In dem Kreis mit | |
| knapp 107.000 Einwohnern leben aktuell 1.081 AsylbewerberInnen – 15 Prozent | |
| mehr als nach dem oberbayerischen Verteilungsschlüssel. Auch 109 | |
| „unbegleitete minderjährige Flüchtlinge“ sind in Jugendhilfeeinrichtungen | |
| und in Pflegefamilien untergebracht – eine davon im Kloster Sankt Konrad. | |
| Einstimmig haben die Brüder das beschlossen. Die Deutsche Kapuzinerprovinz | |
| hatte den Klöstern des Ordens freie Hand gewährt. | |
| Nach einer Prüfung mit Fragebögen, Führungszeugnis, ärztlichen | |
| Bescheinigungen, Hausbesuchen und Gesprächen können Bruder Jeremias und | |
| Hausober Bruder Berthold als erziehungsberechtigte Pflegeeltern alltägliche | |
| Entscheidungen treffen. Die anderen helfen bei Hausaufgaben oder stellen | |
| einen Mann beim Kickern. Vormund ist weiterhin das Jugendamt. | |
| „Herr segne diese Gaben“, betet Bruder Fabian vor dem Mittagessen. Seine | |
| Mitbrüder falten andächtig die Hände. Er liest einen Abschnitt aus der | |
| Enzyklika von Papst Franziskus. Ruhig warten die jungen Muslime. Nach der | |
| Mahlzeit werden sie still für sich beten. Jamil steht auf, um das | |
| Metallwägelchen mit der Tomatensuppe aus der Küche hereinzufahren. Hassans | |
| Platz ist leer, er ist noch beim Fußball in der Mittelschule, auf die er | |
| und Mustafa gehen. „Wie war es heute in der Schule?“, fragt Bruder Jeremias | |
| die anderen. „Gut“, sagt Ahmed. „Anstrengend“, erwidert Jamil. | |
| ## Vorbereitung auf die Ausbildung | |
| Seit Mitte Februar besuchen die beiden die 10 e der Berufsschule Altötting. | |
| Es ist das erste von zwei Vorbereitungsjahren, das sie fit für eine | |
| Ausbildung machen soll. | |
| Ahmed und Jamil sitzen nebeneinander in der ersten Reihe. Schon nach einer | |
| halben Stunde steht Schweißgeruch im Raum. Jamil wippt unruhig, streckt | |
| sich auf seinem Stuhl. Vorsichtig zieht Ahmed Linien, die schwarzen | |
| gescheitelten Haare fallen ihm leicht ins Gesicht. Langsam schreibt er „das | |
| Fest“, „die Torte“. Mit seinem iPhone übersetzt er in Farsi und malt | |
| konzentriert Buchstabe für Buchstabe. In Afghanistan hat er nie eine Schule | |
| besucht, erst in Deutschland die lateinische Schrift gelernt. | |
| Jetzt übt er nicht nur mit Helene Fischer und Silbermond Deutsch, sondern | |
| spricht viel mit den Kapuzinern, begleitet Bruder Jeremias zu Terminen. | |
| „Hier ist mein Zuhause“, sagt Ahmed. Zu zweit teilen sie sich Zimmer, | |
| Computer und Bad. Keiner wollte alleine in das dritte der ursprünglichen | |
| Gästezimmer. In Afghanistan dürfen nur wenige von ihrem christlichen Heim | |
| wissen. Alles andere wäre zu gefährlich. | |
| Schwarz und hässlich klebten SS-Runen und der Schriftzug „1 Aa Moschee“ an | |
| den Klostermauern. Die Schmierereien Ende Januar waren gut einen halben | |
| Meter hoch und zwei Meter lang. Anfang Oktober glotzten pfeilbespickte | |
| Augen vom Sockel des Klosters. Der Schaden war schnell übermalt, die | |
| Kapuziner waren nachhaltig erschüttert. | |
| Nichts davon will Bruder Jeremias an seine Schützlinge heranlassen. Auch | |
| nicht, dass er manchmal auf der Straße „blöd angemacht“ wird. Die | |
| aufgeheizte Asyldebatte blendet er aus. „Das würde mich nur aufregen.“ | |
| Stattdessen kämpft er für seine Jungs. Auch gegen Bürokratie, die gerecht | |
| sein will und ihm viel zu langsam spielt. Schuldirektor Carlo Dirschedl | |
| spricht ungehalten davon, wie der Geistliche im November in sein Büro | |
| gerauscht sei und einen Platz für die Afghanen gefordert habe. | |
| Am Nachmittag kauft Bruder Jeremias mit Ahmed und Jamil Schulsachen, | |
| Mustafa begleitet er zu einem Arzttermin. In seinem weißen Transporter mit | |
| dem Sticker „Kein Mensch ist illegal“ fährt er sie zu C & A. Mustafa | |
| braucht T-Shirts, Jamil eine Jeans. Alle sind nur etwa 1,60 Meter groß, | |
| doch Jamil ist besonders schmächtig. Weder Männer- noch Kindergrößen passen | |
| richtig. Er hält sich den Bund um den Hals, um die Größe zu prüfen. Eine | |
| probiert er an. Die Jeans wirft hohe Falten am Saum. Bruder Jeremias bückt | |
| sich, krempelt die Hosenbeine um. „Immer das Gleiche, das müssen wir kürzen | |
| lassen.“ | |
| ## Familie oder Kloster? | |
| Mitten zwischen Lederjacken und Strickpullovern zwitschert Mustafas Handy. | |
| Schnell hebt er ab. Es ist sein Vater. Vor zwei Monaten hat der es endlich | |
| nach Deutschland geschafft. Jetzt will der 16-Jährige zu ihm nach Köln. | |
| Inmitten der Hosenstapel wiegelt Bruder Jeremias knapp ab: „Da werden wir | |
| morgen mit dem Jugendamt reden.“ Dann kramt er weiter in den | |
| Sonderangeboten. Das Amt rät von der Familienzusammenführung ab, auch die | |
| Schule, in der es gerade sehr gut läuft. Mustafa sagt nur: „Familie ist | |
| wichtig.“ | |
| Bruder Jeremias kann verstehen, dass er sich die Nähe des Vaters wünscht, | |
| nachdem der Bruder die Flucht nicht überlebt hat. Doch es schmerzt ihn, | |
| dass er „die riesig große Unterstützung“ in Altötting aufs Spiel setzt. | |
| „Hier wäre er schnell integriert und hätte gute Voraussetzungen, eine | |
| Ausbildung zu finden.“ Als Seelsorger ringt er sich Verständnis ab, als | |
| Ziehvater fällt ihm das schwer. „Er muss selbst den Weg gehen, den er für | |
| den richtigen hält. Ich werde das unterstützen, was er will.“ | |
| Vor einer Abschiebung haben sie alle Angst. Ahmed klingt eindringlich, fast | |
| atemlos, wenn er sagt: „In Afghanistan ist alles Krieg. Wir kennen nur | |
| Krieg, sind im Krieg geboren. In Deutschland sind alle freundlich, es ist | |
| schön.“ Hier gehen sie zum Kickboxen und zum Krafttraining. Hassan ist bei | |
| der Wasserwacht, Ahmed will zur Freiwilligen Feuerwehr, „um Deutsch zu | |
| sprechen. Ich mag Feuerwehr und Polizei, ich mag anderen Menschen helfen.“ | |
| ## „In Deutschland? Mit 17 heiraten?“ | |
| Vor vier Jahren ist der 17-Jährige aus Afghanistan geflohen, hat sich | |
| zwischenzeitlich in der Türkei durchgeschlagen. Dort hat er Nesrin | |
| kennengelernt. Wenn Ahmed von seiner Freundin erzählt, johlt Jamil und | |
| Mustafa grinst breit. Teenager halt. Dass Jamil dann aber mit seiner | |
| rechten Hand einen Schuss auf seinen Kopf imitiert, ist nur teilweise ein | |
| Scherz. | |
| Denn Ahmed und Nesrin darf es nicht geben. Während er in Bayern gelandet | |
| ist, hat es sie nach Hamburg verschlagen, wo mittlerweile auch ihre Mutter | |
| und ihre Schwester leben. Wenn die beiden von Ahmed wüssten, hätten sie ein | |
| Problem. Also tippt er seine Gefühle ins iPhone und wartet. Ob er Nesrin | |
| bald heiraten wird? Ahmed lacht. „In Deutschland? Mit 17 heiraten? In der | |
| Türkei und in Afghanistan ist das kein Problem.“ Pragmatisch stellt er | |
| fest: „Ich will zuerst eine Ausbildung machen, als Maurer.“ Sein Traum: | |
| Polizist. „Aber das ist schwer.“ | |
| Gerade hat ihm Bruder Jeremias eröffnet, dass er einen Ausbildungsplatz als | |
| Trockenbauer für ihn gefunden hat. „Danach könntest du immer noch | |
| versuchen, Polizist zu werden. Wie wäre das? Kein Problem, oder?“ Ahmed | |
| sieht seinen Pflegevater kurz an und sagt: „Ist okay.“ | |
| * Namen der Minderjährigen geändert | |
| 16 Mar 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Astrid Ehrenhauser | |
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