# taz.de -- Referendum über Verfassungsänderung: Rückschlag für Boliviens P… | |
> Keine dritte Amtszeit für Evo Morales: Hochrechnungen in Bolivien sagen | |
> keine Mehrheit für eine Verfassungsreform voraus. | |
Bild: Nochmal Morales? Rund sechseinhalb Millionen BolivianerInnen stimmen am S… | |
BUENOS AIRES taz | Deftige Abfuhr für Boliviens Präsidenten Evo Morales: | |
Nach privaten Hochrechnungen sprach sich die Mehrheit der BolivianerInnen | |
am Sonntag gegen eine Kandidatur des 56-Jährigen bei der nächsten | |
Präsidentschaftswahl aus. Rund 51 Prozent votierten bei dem Referendum | |
gegen die Änderung des Paragraphen 168 der Verfassung. Dieser schreibt | |
maximal zwei Amtsperioden eines Präsidenten und seines Vizes vor. Und | |
während die Gegner den Sieg bereits feiern, sprach Vizepräsident Álvaro | |
García von einem technischen Patt. Das Ergebnis könne sich noch drehen. | |
Wie auch immer das Ergebnis lauten wird, das Image des unschlagbaren | |
Morales hat schon jetzt schwere Kratzer erlitten. Lange Zeit hatte es nach | |
einem klaren Sieg der Befürworter der Verfassungsänderung ausgesehen. Nach | |
einer Reihe von Korruptions- und Vetternwirtschaftsskandalen drehte sich | |
der Wind. In den letzten Umfragen lagen Befürworter und Gegner mit jeweils | |
40 Prozent gleichauf. Das Zünglein waren die 20 Prozent der | |
Unentschlossenen. | |
Als ginge es um seine Wiederwahl hatte Morales seine Landsleute gewarnt: | |
„Die, die für das Ja sind, sind auf der Seite des Volkes. Die, die für das | |
Nein sind, sind auf der Seite des nordamerikanischen Imperium. Ja bedeutet | |
Nationalisierung und Industrialisierung. Nein bedeutet Privatisierung und | |
die Auslieferung der natürlichen Ressourcen an die transnationalen | |
Unternehmen,“ sagte er zum Abschluss seiner Kampagne und machte die | |
Abstimmung damit ebenfalls zu einer über seine Politik. | |
Dabei hatte sich Evo Morales die Sache sicher einfach vorgestellt. Noch bei | |
der letzten Präsidentschaftswahl am 12. Oktober 2014 hatte er mit über 61 | |
Prozent der Stimmen seine dritte Präsidentschaftswahl in Folge gewonnen. | |
Nicht zuletzt die brummende Wirtschaft hatte im zum Sieg verholfen. | |
Und während nahezu alle Nachbarstaaten in der Region mit wirtschaftlichen | |
Problemen kämpfen, schreibt Bolivien seit Jahren schwarze Zahlen, wächst | |
das Bruttoinlandsprodukt jährlich an die fünf Prozent. Bisher hat das Gas- | |
und Erzexportland den Einbruch der Rohstoffpreise gut verkraftet. | |
Zuvor war Morales 2005 und 2009 ebenfalls mit großem Vorsprung siegreich. | |
Dass er bereits zum dritten Mal in Folge das Präsidentenamt innehat, | |
verdankt er der neuen Verfassung von 2009. Mit ihr, so die juristische | |
Interpretation, gründete sich die Republik Bolivien als plurinationaler | |
Staat neu und Morales zweite Amtszeit wurde als seine erste eingestuft. | |
## Skandale und Skandälchen | |
Morales Erfolgsgeschichte und seiner Fortsetzung über das Jahr 2020 hinaus | |
steht eigentlich nur die Verfassung im Weg und die sollte geändert werden, | |
solange der Rückenwind anhielt. „Sind sie mit der Reform des Artikels 168 | |
der politischen Verfassung des Staates dahingehend einverstanden, dass die | |
Präsidentin oder Präsident und die Vizepräsidentin oder Vizepräsident des | |
Staates zwei Mal in unmittelbarer Folge wiedergewählt werden können?,“ | |
lautete die Frage, über die am Sonntag 6,5 Millionen BolivianerInnen | |
abstimmten. | |
Auch wenn seine Person nicht zur Abstimmung stand, drehte sich das ganze | |
Referendum doch ausschließlich um ihn. Und weil dem wahlkampferprobten | |
Morales ein konkreter Gegner fehlte, richteten sich alle Skandale und | |
Skandälchen gegen ihn und seine Partei. So warfen in den letzten Wochen die | |
Berichte über verschwundene staatliche Gelder und Unregelmäßigkeiten bei | |
einem indigenen Entwicklungsfonds immer wieder das Licht auf die | |
mutmaßliche Korruption in der Regierungspartei Movimiento Al Socialismo | |
(MAS). | |
So wurde bekannt, dass der Junggeselle Evo Morales 2007 Vater eines | |
gemeinsamen Sohnes mit der damals unbekannten Gabriela Zapata hatte. Diese | |
wurde wenig später, ohne die notwendige berufliche Qualifikation, die | |
leitende Angestellte der bolivianischen Filiale der chinesischen Firma CAMC | |
Engineering. Diese erhielt wiederum Aufträge im dreistelligen | |
Millionendollarbereich vom bolivianischen Staat. Evo hatte Beziehung und | |
Vaterschaft eingeräumt, jedoch habe er Gabriela Zapata seit Jahren nicht | |
gesehen. Prompt tauchte ein Foto auf, das die beiden beim Karnevalfeiern im | |
vergangenen Jahr zeigt. | |
Dass Morales und seine MAS ihren Zenit in der WählerInnengunst jedoch nicht | |
erst seit Sonntag überschritten haben, zeichnete sich bereits bei den | |
Gouverneurs- und Kommunalwahlen im März 2015 ab. Damals setzten sich in | |
acht der zehn größten Städte die KandidatInnen der Opposition durch. Die | |
empfindlichsten Schlappen gab es ausgerechnet in den MAS-Hochburgen La Paz | |
und El Alto. | |
Doch gerade El Alto, die zweitgrößte Stadt des Landes war wenige Tage vor | |
dem Referendum ein sprichwörtlicher Brennpunkt. Bei einer Demonstration, | |
angeblich aufgebrachter Eltern, gegen die katastrophalen Zustände an den | |
örtlichen Schulen, kam es im Rathaus von El Alto zu schweren | |
Ausschreitungen. Feuer wurde gelegt; sechs Menschen kamen ums Leben. | |
Inzwischen deutet vieles darauf hin, dass sich frühere Angestellte der | |
Ratsverwaltung unter die ahnungslosen Eltern gemischt hatten, brutal ins | |
Rathaus eindrangen, es verwüsteten und in Brand steckten. | |
Vermutet wird, dass Unterlagen und Dokumente vernichtet wurden, die die | |
mutmaßlichen korrupten Machenschaften des vorherigen MAS-Bürgermeisters | |
hätten belegen können. Einer von inzwischen sechs verhafteten Verdächtigen | |
steht auch mit dem MAS eng in Verbindung. Wie viele „Ja“-Stimmen das alles | |
gekostet haben könnte, bleibt der Spekulation überlassen. Es hat jedoch | |
sicher dazu beigetragen, dass zahlreiche, der bis zuletzt Unentschlossen, | |
ihr Kreuz beim „Nein“ machten. | |
22 Feb 2016 | |
## AUTOREN | |
Jürgen Vogt | |
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