# taz.de -- Kommentar Soziale Proteste in Bolivien: Opfer der Entfremdung | |
> Menschen mit Behinderung wollen eine bescheidene Monatsrente. Von der | |
> Regierung Morales wird sie verweigert – wegen eines gescheiterten | |
> Referendums. | |
Bild: Am vergangenen Donnerstag in La Paz | |
Seit zwei Monaten belagern jetzt über hundert Menschen mit Behinderung zwei | |
Ecken von Boliviens Präsidentenpalast. Ihre Forderung nach ursprünglich | |
500, inzwischen nur mehr 250 Bolivianos als Monatsrente erscheint | |
bescheiden. Das sind knapp über 30 Euro für ein etwas würdigeres Leben | |
einer ohnehin weitgehend ausgegrenzten Minderheit. | |
Unzureichende medizinische Versorgung schon bei der Geburt, Verkehrsunfälle | |
und gefährliche Arbeitsplätze sind die häufigsten Ursachen für bleibende | |
körperliche oder geistige Schäden. Warum also stellt sich die Regierung so | |
stur? Sie argumentiert mit einer guten Gesetzgebung, die auf Inklusion | |
setzt, statt auf Mildtätigkeit. | |
Kinder sollen nach einem Gesetz aus dem Jahr 2010 – soweit möglich – in | |
Regelklassen unterrichtet werden. Lehrer müssen die Gebärdensprache lernen, | |
staatliche Stellen und Unternehmen müssen einen kleinen Prozentsatz | |
Behinderter beschäftigen. Doch das Gesetz ist zahnlos und wird kaum | |
befolgt. Nur 3 Prozent der behinderten Kinder besuchen tatsächlich reguläre | |
Schulen, weitere 4 Prozent besuchen Sonderschulen. | |
Der Staat hat also eine Bringschuld. Und die kleine Monatsrente hätte | |
nichts Karitatives. Sie helfe nur, die täglich durch höhere | |
Transportkosten, geringeres Einkommen oder entgangene | |
Verdienstmöglichkeiten entstehenden Nachteile gegenüber der | |
Mehrheitsbevölkerung zu verringern, wie die Behindertenverbände | |
argumentieren. | |
In Bolivien beobachtet man eine zunehmende Verhärtung der Regierung, seit | |
Präsident Evo Morales im Februar ein Referendum verlor, das eine neuerliche | |
Wiederwahl ermöglichen sollte. Bewegungen, die ihn früher unterstützten und | |
jetzt wegen Korruption und gebrochener Versprechen auf Distanz gegangen | |
sind, werden bestraft. Gut möglich, dass die Behinderten ein Opfer dieser | |
Entfremdung der einst populären Regierung sind. | |
22 Jun 2016 | |
## AUTOREN | |
Ralf Leonhard | |
## TAGS | |
Inklusion | |
Gesundheitspolitik | |
Bolivien | |
Evo Morales | |
Menschen mit Behinderung | |
Leben mit Behinderung | |
Bolivien | |
katholisch | |
Bolivien | |
Bolivien | |
Gouverneur | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Bergarbeiterproteste in Boliven: Verhaftungen nach Gewalttat | |
Mehrere Todesopfer, darunter der Vize-Innenminister, forderte der Konflikt | |
zwischen Bergleuten und Regierung. Die reagiert jetzt mit | |
Massenverhaftungen. | |
Katholische Heime für Behinderte: Gewalt war alltäglich | |
Behinderte Kinder und Jugendliche in der frühen Bundesrepublik litten unter | |
erniedrigender und grausamer Behandlung. Das ergibt eine aktuelle Studie. | |
Bolivianer gegen Verfassungsänderung: Keine vierte Amtszeit für Morales | |
Die Gegner der Verfassungsreform gewinnen die Volksabstimmung. Präsident | |
Evo Morales hatte sich zuletzt mit diversen Affären unbeliebt gemacht. | |
Referendum über Verfassungsänderung: Rückschlag für Boliviens Präsident | |
Keine dritte Amtszeit für Evo Morales: Hochrechnungen in Bolivien sagen | |
keine Mehrheit für eine Verfassungsreform voraus. | |
Regionalwahlen in Bolivien: Die Linke abgewatscht | |
Bei den Wahlen hat sich die Opposition in wichtigen Städten gegen Präsident | |
Evo Morales durchgesetzt. Sie sicherte sich zudem drei von neun | |
Gouverneursposten. |