# taz.de -- Kolumne Knapp überm Boulevard: Der populistische Moment | |
> Wenn gesellschaftliche Einbindungen brüchig werden, werden Teile der | |
> Bevölkerung emotional obdachlos. Und es wächst der Populismus. | |
Bild: Der Populismus macht etwa die „Lügenpresse“ zum emotionalen Ort. | |
Nun hat er also auch Deutschland erreicht – der populistische Moment. Das | |
ist jener Moment, wo das gesellschaftliche Gleichgewicht in Bewegung gerät. | |
Wo die ökonomische, politische und kulturelle Integration der Massen | |
brüchig wird. | |
In Ländern, wo rechter Populismus schon längst etabliert ist – wie etwa in | |
Österreich seit rund dreißig Jahren –, hat sich gezeigt, dass es so etwas | |
wie eine populistische Lektion gibt. Man muss die eigene emotionale | |
Barriere überwinden, um zu sehen, dass der populistische Moment auch | |
„Erkenntnisse“ bereithält. Unter Anführungszeichen. | |
Die populistische Lektion ist eine doppelte. Zum einen zeigt sie: Wenn | |
bisherige gesellschaftliche Einbindungen brüchig werden, dann werden | |
bislang eingebundene Emotionen freigesetzt. Die Emotionen, die dann | |
losgelöst zu zirkulieren beginnen, sind vor allem negative Gefühle: | |
Enttäuschungen oder Kränkungen. Umgekehrt bedeutet das: Eine | |
funktionierende Gesellschaft bietet einen Enttäuschungsschutz, sie bietet | |
ein Enttäuschungsnetz, das unerfüllte Erwartungen auffangen und Kränkungen | |
entlasten kann. | |
Die erste Lektion zeigt also, dass die intakte Einbindung in Großgruppen | |
eine Gefühlsregulierung bedeutet. In einem populistischen Moment wird genau | |
dies fraglich. Da werden ganze Teile der Bevölkerung gesellschaftlich | |
obdachlos, also emotional obdachlos. Diese freigesetzten Emotionen, diese | |
ungebunden, deregulierten Enttäuschungen und Kränkungen werden zu einem | |
„vagabundierendes Potential“ (Helmut Dubiel). Ein Potential, das | |
unterschiedlichen Re-Integrationen zugänglich ist. | |
## Rechter Populismus | |
Hier hakt nun der rechte Populismus ein. Er nimmt diesen Moment der | |
Kränkung auf und verwandelt diesen in einen „Überschuss an Antagonismus“, | |
(Ernesto Laclau). Einen Überschuss „über den institutionell-demokratischen | |
Rahmen regulierter agonistischer Kämpfe“. Mit diesem Überschuss handelt der | |
Populismus. Er ist sein Kapital. | |
Wie geht er damit um? Er besetzt damit zentrale, strategische | |
gesellschaftliche Orte. Diese Formulierung ist doppelt irreführend. Zum | |
einen sind Orte nur metaphorisch gemeint. Es sind dies nicht nur physische | |
Orte wie Straßen. Es können auch Bilder, Begriffe oder Diskurse zu solchen | |
gesellschaftlichen Orten werden. Etwa „Lügenpresse“. Zum anderen sind diese | |
nicht unbedingt schon vorher strategisch, zentral. Sie werden vielmehr dazu | |
erst gemacht. Um das zu erreichen, müssen sie aufgeladen werden – mit | |
Emotionen. | |
Das heißt, erst wenn es gelingt, Emotionen an solche „Orte“ zu binden, | |
werden diese gesellschaftlich zentral. Dann werden sie zu einer Bühne. Der | |
rechte Populismus eröffnet also eine Bühne, eine Arena, auf der der | |
Überschuss, auf der die vagabundierenden Gefühle auftreten können. In | |
diesem Sinne sind diese Arenen Emotionsräume. Begriffe, Bilder, Straßen – | |
sie alle können zum Emotionsraum werden, zur Bühne für politische | |
Emotionen. | |
## Zahlen und Fakten greifen nicht | |
Es ist wichtig, das festzuhalten – um dem fatalen strategischen Irrtum zu | |
begegnen, man könne dem populistischen Moment mit rationaler Aufklärung | |
beikommen. Es brauche nur vernünftige Argumente, Zahlen, Fakten. Aber diese | |
greifen nicht, denn sie erreichen nicht den Kern, der hier verhandelt wird. | |
Das ist also die zweite populistische Lektion: Jede politische | |
Auseinandersetzung verhandelt auch politische Identitäten. Den Überschuss, | |
die vagabundieren Emotionen „einfangen“ kann nur gelingen, indem man ein | |
politisches Identitätsangebot macht. Genau das bedeutet symbolische | |
Politik. | |
Und genau hier endet die populistische Lektion auch wieder. Denn die | |
populistische Rechte behält die so eröffneten Emotionsräume den Ängsten und | |
Ressentiments vor. Ihr Identitätsangebot ist nur eines des Ausschlusses, | |
der Feinderklärung. Aber sie zeigt: Identität ist das Terrain, auf dem sich | |
in nächster Zukunft die Geschichte der Demokratie abspielen wird. Deren | |
Aporie aber lautet: Will sie demokratische Politik sein, dann muss sie die | |
Feindkonstruktionen des rechten Populismus aufs Schärfste zurückweisen. | |
Aber was anderes ist diese Zurückweisung als selbst eine Feinderklärung? | |
25 Feb 2016 | |
## AUTOREN | |
Isolde Charim | |
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