Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Bedrohte Kunstfreiheit in Spanien: Hexenjagd auf Andersdenkende
> In Spanien häufen sich Fälle, in denen Künstler aufgrund des
> Antiterrorgesetzes verfolgt und mit einer hohen Haftstrafe bedroht
> werden.
Bild: Bandleader César Strawberry wird vom Staatsanwalt mit einer Strafe von 2…
Madrid taz | Anwälte, ein Richterverband und selbst Amnesty International
(AI) schlagen Alarm. Puppenspieler werden für ihre Satire der
„Verherrlichung des Terrorismus“ beschuldigt, und ein Aktionskünstler wird
der „Verletzung religiöser Gefühle“ beschuldigt, weil er gegen die
Amtskirche protestierte.
Amnesty ist empört über den jüngsten und wohl bekanntesten Fall der
Repressionswelle gegen unliebsame Künstler. Am Fastnachtsfreitag wurden in
Madrid zwei Puppenspieler mitten in der Aufführung festgenommen und
aufgrund des Antiterrorgesetzes fünf Tage lang in Untersuchungshaft
gehalten.
Ihr satirisches Stück „Die Hexe und Herr Cristóbal“ kritisiert
Hausbesitzer, Richter und Polizei. Am Ende schiebt ein Polizist der Hexe
ein Transparent unter, auf dem „Hoch lebe Alka-ETA“ zu lesen steht, um sie
als Terroristin beschuldigen zu können.
Wer gegen Sparpolitik demonstriert, wird von Politikern der regierenden
Partido Popular (PP) gern als ETA-Freund beschimpft; die linke Podemos wird
oft in diese Ecke gerückt. Als am 11. März 2004 Bomben in Nahverkehrszügen
von Madrid explodierten, wurde der islamistische Anschlag von dem damaligen
PP-Premier José María Aznar als ETA-Anschlag verkauft, um so Kapital aus
der Tragödie bei den wenige Tage später stattfindenden Wahlen zu schlagen.
Ebendiese Szene sei „Verherrlichung des Terrorismus“, erklärt der
zuständige Ermittlungsrichter jetzt.
Die rechte Presse greift den Fall auf, um gegen die Madrider
Bürgermeisterin Manuela Carmena vom Bürgerbündnis „Ahora Madrid“ Stimmung
zu machen. „Es ist mehr als fragwürdig, ob hier ein Rechtsvergehen
vorliegt“, erklärt Joaquim Bosch, Sprecher des einflussreichen Verbandes
„Richter für Demokratie“.
## Meinungsfreiheit eingeschränkt
Nicht nur der Richterverband kritisiert die Strafrechtsreform aus dem Jahr
2015, die auf den „Pakt gegen den Dschihadismus“ der beiden großen Parteien
PP und der sozialistischen PSOE zurückgeht. „Das Gesetz enthält eine so
offene und weite Definition dessen, was Terrorismus ist, dass es die
Meinungsfreiheit einschränkt“, urteilt auch AI. „Es ist verrückt. ETA hat
vor über vier Jahren die Waffen niedergelegt. Doch werden mittlerweile mehr
Menschen wegen ‚Verherrlichung des Terrorismus‘ verfolgt denn je“,
beschwert sich auch César Strawberry.
Der 52-jährige Chef der spanischen HipHop-Band Def con Dos weiß, wovon er
spricht. Die Staatsanwalt fordert für den Sänger 20 Monate Haft, 8 Jahre
Aberkennung der Rechte auf Ausführung eines öffentlichen Amtes und 2 Jahre
richterliche Überwachung.
Die der Regierung unterstellte Strafbehörde hält damit ein Verfahren am
Laufen, dass vom Ermittlungsrichter mangels Indizien längst eingestellt
worden war. Strawberry hatte sich bei Twitter auf seine sarkastische Art
ausgelassen. Als ein bekanntes ETA-Entführungsopfer eine rechtsradikale
Partei gründete, kommentierte der Sänger: „Jetzt müsste man ihn entführen…
In einer anderen Kurznachricht zählte er eine Reihe von Namen bekannter,
spanischer Faschisten auf, die alle im hohen Alter verstarben, und schrieb:
„Wenn du ihnen nicht das gibst, was Carrero Blanco zuteil wurde, ist die
Langlebigkeit immer auf ihrer Seite.“
## Scharfe Satire
Admiral Carrero Blanco, die rechte Hand des Diktators Franco, wurde 1973
von ETA auf dem Weg zur Messe in die Luft gesprengt. Das Regime verlor den
Nachfolger für den alten Diktator. Der Weg zur Demokratie wurde so
beschleunigt.
Doch nicht nur, wer mit dem Terror Satire betreibt, lebt gefährlich. Auch
die Religion ist eine rote Linie. Das musste Aktionskünstler Abel Azcona
erfahren. Er hatte bei Messebesuchen 242 geweihte Hostien gesammelt und mit
ihnen auf einer Ausstellung in Pamplona das Wort „Päderastie“ gelegt. Jetzt
wird gegen ihn wegen „Verletzung religiöser Gefühle“ ermittelt.
„Es geht darum, Angst zu verbreiten“, ist sich Strawberry sicher. Er selbst
wurde fünf Tage vor den Kommunalwahlen vergangenen Mai festgenommen. Die PP
verlor damals mehrere Großstädte an Podemos-nahe Bürgerbündnisse,
darunterStrawberry’sHeimatstadt Madrid.
Der Innenminister verfolge gezielt Künstler, die den politischen Wandel
unterstützt, sagt Strawberry. Minister Fernandez Díaz sei ultrareligiös und
gehöre zum katholischen Geheimbund Opus Dei.
22 Feb 2016
## AUTOREN
Reiner Wandler
## TAGS
Spanien
Regierung
Konservative
Religion
Kunst
Spanien
Menschenrechte
Spanien
Spanien
Spanien
Katalonien
Podemos
## ARTIKEL ZUM THEMA
Wegen Tweets in den Knast: Spanischer Humor
Wegen satirischer Äußerungen im Netz: Das Oberste Gericht in Spanien
verurteilt den Sänger César Strawberry zu einem Jahr Haft.
Jahresbericht von Amnesty International: Kritik an deutscher Flüchtlingspolitik
„Härte“ und „Abschottung“ hätten die anfängliche Offenheit ersetzt, …
Amnesty. Die Bundesregierung muss sich harte Vorwürfe anhören.
Prozess gegen spanische Gewerkschafter: Die acht Streikposten von Airbus
Mehrere Arbeitervertreter sollen bestraft werden – mit einer halbseidenen
Anklage. Sie waren beim Generalstreik 2010 Streikposten.
Regierungsbildung in Spanien: Keiner will regieren
Nach der Parlamentswahl ist die Bildung einer Koalition weiter offen. Weder
Konservative noch Sozialisten greifen nach der Macht.
Verfahren in Mallorca: Historischer Prozess gegen Königshaus
Die Schwester des Königs und ihr Ehemann sollen sich schamlos bereichert
und Steuern hinterzogen haben.
Porträt Carles Puigdemont: Ein Nationalist für Katalonien
Seine Freunde nennen ihn Puigdi: Der katalanische Journalist hat 18 Monate,
um den Separatistentraum der Republik Katolonien wahrzumachen.
Nach der Wahl in Spanien: Jubel und Ratlosigkeit
Podemos wird wohl nicht regieren, doch die Newcomer sind die eigentlichen
Sieger der Wahl. Noch in der Nacht schnürten sie ein ehrgeiziges
Reformpaket.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.