# taz.de -- Vorwahlen in den USA: Und dann kam Sanders | |
> Hillary Clinton wollte wenig Kraft in den Vorwahlkampf stecken. Sanders | |
> vermiest ihr die Tour. Gibt es jetzt einen „echten Wettbewerb der Ideen“? | |
Bild: Die Parteistrategen und sie hatten sich das so schön ausgemalt: den zerm… | |
WASHINGTON taz | Hillary Clinton ließ sich zu einer ambitionierten Aussage | |
hinreißen an diesem Abend in Iowa, an dem sie mit ansehen musste, wie | |
Bernie Sanders ihr wirklich lästig wurde. „[1][Ich bin eine Progressive, | |
die für die Menschen Dinge erledigt].“ Clinton, die Progressive. So stellte | |
sie sich dar nach der ersten Vorwahl zur US-Präsidentschaftswahl – in einer | |
Rede, die bei einem Vorsprung gegenüber ihrem demokratischen Konkurrenten | |
von nur 0,3 Prozentpunkten alles war, nur keine Siegesfeier. | |
Und diese Selbstbeschwörung versuchte sie am Donnerstagabend beim | |
[2][TV-Duell] mit Sanders vor der zweiten Vorwahl in New Hampshire unter | |
Beweis zu stellen. Sie spielte die Frauenkarte, sie referierte ihre Arbeit | |
als Senatorin und Außenministerin und warf Sanders vor, sich zum Wächter | |
darüber gemacht zu haben, was „progressiv“ ist. | |
Es sind schon viele Attribute für die Frau gefunden worden, die so gerne | |
zur ersten Präsidentin der USA gewählt werden würde – als progressiv aber | |
gilt sie eher nicht. Pragmatisch ist Clinton und steht natürlich für | |
Feminismus, Gleichstellung und andere linke Selbstverständlichkeiten ein. | |
Aber sie nimmt auch Geld von Superreichen, wenn es sie zum Ziel führt. | |
Nun führt das Ziel Präsidentschaft auf einmal über Sanders, der ihr am | |
Donnerstag wiederholt ihre Nähe zum Establishment vorwarf und Clinton | |
zwingt, sehr viel aggressiver zu agieren als bisher. Das ist lästig, weil | |
sie nicht viel Kraft auf den Vorwahlkampf verschwenden wollte, galt sie | |
doch als sichere Kandidatin bei den Demokraten. Die Parteistrategen und sie | |
hatten sich das so schön ausgemalt: den zermürbenden Vorwahlkampf der | |
Republikaner, die lockere PR-Tour von Clinton und den Durchmarsch ins Weiße | |
Haus. Alle starken innerparteilichen Gegner – die linke Senatorin Elizabeth | |
Warren, Vizepräsident Joe Biden – verzichteten auf eine Kandidatur. | |
Und dann kommt der 74-jährige Sanders und schnappt ihr bei der [3][ersten | |
Vorwahl] in diesem langen Wahljahr gefühlt den Sieg weg. Clinton formuliert | |
darauf – gezwungenermaßen –, dass es nun die seltene Möglichkeit für die | |
Partei gebe, einen „echten Wettbewerb der Ideen“ auszutragen. | |
Ideen, die in diesem Vorwahlkampf links wie rechts eher am Rand der | |
jeweiligen Ideologien entstehen. Sanders nennt sich selbst einen | |
„demokratischen Sozialisten“; mit seinen Ideen von sozialer Gerechtigkeit | |
und dem Kampf gegen den Kapitalismus firmiert er in den USA schlicht als | |
Sozialist. | |
Aus europäischer Sicht ist sein Wahlprogramm nicht sehr links, Konzepte wie | |
Erziehungsurlaub und erschwingliche Kinderbetreuung sind | |
sozialdemokratische Standards. Doch in den USA ist so etwas fast radikal. | |
Und Sanders hat damit etwas mit Donald Trump und Ted Cruz, den Führenden im | |
Vorwahlkampf der Republikaner, gemein. Auch sie sind in ihrer Programmatik | |
radikal, noch dazu populistisch und binden im rechten Spektrum Fans an sich | |
so wie Sanders auf linker Seite. | |
Trump und Sanders kommen in ihren Wahlkämpfen dabei immer wieder auf ein | |
klassisches Motiv zurück: den amerikanischen Traum. Als Trump seine | |
Kandidatur verkündete, sagte er: „[4][Der amerikanische Traum ist tot].“ | |
Und Bernie Sanders formulierte schon vor Jahren: „Der amerikanische Traum | |
ist zu einem Albtraum geworden.“ | |
Das so wichtige Leitmotiv, aus dem die Menschen stets Hoffnung gezogen | |
haben, selbst wenn es keine mehr zu geben schien, steht aus linker wie | |
rechter Perspektive auf dem Spiel. Tatsächlich ist der Traum für viele | |
verblasst, und die Popularität von Trump und Sanders zeigt, dass auf der | |
Suche nach Lösungen kontroversere Antworten als die des politischen | |
Mainstreams attraktiv werden. | |
Der Traum verschwindet gemeinsam mit der sich auflösenden Mittelschicht. | |
Vierzig Jahre lang gehörte die Mehrheit der Bevölkerung der Mittelklasse | |
an, sie war stets der Kern dieses Traums, es schaffen zu können: das eigene | |
Haus, das eigene Auto, die Finanzierung der College-Ausbildung der Kinder. | |
Im vergangenen Jahr kippten die Verhältnisse, wie eine Analyse des [5][Pew | |
Research Center] zeigt. | |
## Einkommen der Mittelschicht stagniert | |
Erstmals gehören mehr Menschen der Unter- und Oberschicht an. Dazu kommt, | |
dass das Einkommen derer, die noch zur Mittelschicht gehören, stagniert. | |
Und die sogenannte [6][Gig-Economy] prägt sich weiter aus. Der Job als Gig, | |
als kurzfristiges Engagement, ständig wechselnd, flexibel auf der einen, | |
unsicher auf der anderen Seite. Arbeitnehmer in den USA waren schon immer | |
anpassungsfähig, stets beflügelt durch die kulturell propagierten | |
unbegrenzten Möglichkeiten. Nun arbeiten 40 Prozent der Arbeitnehmer in | |
mehr oder weniger prekären, weil [7][unsicheren | |
Beschäftigungsverhältnissen]. | |
Die „Blue-collar“-Jobs, die in den Industrien des Landes die Grundlage der | |
Mittelklasse bildeten, sind nicht mehr da. Die Menschen, die an dieses | |
Leben geglaubt haben, schon. Sie fühlen sich abgehängt. Und die Jüngeren, | |
die in drei bis vier Jobs gleichzeitig arbeiten und sich den 99 Prozent | |
verbunden fühlen, blicken auf die ein Prozent, die den Reichtum anhäufen | |
und für die soziale Gerechtigkeit ein Fremdwort zu sein scheint. | |
Den Zahlen des Niedergangs zum Trotz hat sich die US-Wirtschaft in den | |
letzten Jahren erholt, die [8][Arbeitslosigkeit ist niedrig]. Es ist so | |
auch eine gefühlte Wahrheit, die mitschwingt. Eine Lebensrealität, die sich | |
nicht allein in Fakten bemisst und der Trump und Sanders begegnen, jeder | |
auf seine Art. | |
Nach den Vorwahlen in Iowa belegt eine Umfrage der Washington Post und | |
anderer Medien, aus welchen Gründen Trump respektive Sanders unterstützt | |
wurden: „Sagt es, wie es ist“, fanden 56 Prozent bei Trump. Bei Sanders | |
stimmten 73 Prozent der Aussage zu: „Macht sich Gedanken über Menschen wie | |
mich.“ | |
## Slogan von Ronald Reagan geklaut | |
Beide Politiker weben ihre Auftritte geschickt um diese Unterstützung | |
herum. Trump wirbt mit dem Slogan „Make America Great Again“, geklaut von | |
Ronald Reagans erfolgreichem Wahlkampf 1980. Die Verheißung ist: Jeder kann | |
es schaffen, jeder kann werden wie ich und aus einem Penthouse über New | |
York blicken. | |
Natürlich hat Trump rein gar nichts mit der unglücklichen, weißen, | |
konservativen Mittelschicht zu tun. Wie er der Nation zu neuer Größe | |
verhelfen will, bleibt nach Monaten der Reden und Auftritte weiter im | |
Ungefähren. Außer seinem Rassismus, den er gegenüber Latinos und Muslimen | |
gleichermaßen hegt, verspricht er lediglich, dass er seine Versprechen | |
halten wird. Und wenn es am Ende mit Geld ist. Das ist die Trumpfkarte in | |
einer Geschäftswelt, die er beherrscht. Warum also nicht auch in der | |
Politik? | |
Sanders wiederum baut seinen Wahlkampf allein auf der | |
„Anti-Establishment“-Karte auf. Wir gegen die – das ist sein Motto, und | |
natürlich zählt er sich zur Masse, nicht zur Elite. Sein Plan, die Wall | |
Street zu besteuern, ist dabei – wenn auch sehr viel charmanter – in den | |
USA ebenso realitätsfern wie Trumps Idee, eine Mauer an der Grenze zu | |
Mexiko zu bauen. Donald Trump und Ted Cruz sind mit ihrem rechten | |
Populismus bei Weitem gefährlicher, sie nähren den Frust ihrer Unterstützer | |
mit großem Kalkül. | |
Auch Sanders hängt mit seinen Anti-Establishment-Ideen von der Wut seiner | |
Anhänger „auf die anderen“ ab. Seine Pläne für die Wiedererweckung des | |
amerikanischen Traums haben nichts Gefährliches, sie sind authentisch statt | |
kalkuliert. Aber auch kompromisslos. | |
## Die Worthülse „progressiv“ | |
In New Hampshire finden am Dienstag die zweiten Vorwahlen statt. Sanders | |
führt die Umfragen vor Clinton an. Siegt er, zwingt er Clinton dazu, der | |
Worthülse „progressiv“ tatsächlich Inhalte folgen zu lassen. Der | |
Demokratischen Partei wird das mit Hinblick auf das eigentliche Rennen um | |
die Präsidentschaft Sorgen bereiten. Doch einem Land, im dem linke Ideen | |
schon so lange in einer Nische stattfinden, würde es guttun. | |
So wie es den Republikanern guttun würde, wenn weder Trump noch Cruz – in | |
den Umfragen führt der Immobilienmogul – in New Hampshire siegten. Es würde | |
der Partei Raum schaffen, endlich konservative Ideen für die Zukunft des | |
Landes zu diskutieren und nicht immer nur radikale und schrille. Dann | |
hätten die USA auf beiden Seiten des politischen Spektrums einen Wahlkampf | |
der Inhalte. Und der amerikanische Traum womöglich eine Zukunft. | |
8 Feb 2016 | |
## LINKS | |
[1] https://www.youtube.com/watch?v=4J7bmSyQIso | |
[2] /US-TV-Duell-Clinton/Sanders/!5275321/ | |
[3] /US-Praesidentschaftswahl-2016/!5270984/ | |
[4] https://www.youtube.com/watch?v=a5pYa5cxLEo | |
[5] http://www.pewsocialtrends.org/2015/12/09/the-american-middle-class-is-losi… | |
[6] http://www.nytimes.com/2015/07/13/business/rising-economic-insecurity-tied-… | |
[7] http://www.forbes.com/sites/elainepofeldt/2015/05/25/shocker-40-of-workers-… | |
[8] http://data.bls.gov/timeseries/LNS14000000 | |
## AUTOREN | |
Rieke Havertz | |
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