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# taz.de -- Tages- statt Dauermieter: Gelegenheit für Miethaie
> In Bremen wird derzeit durchexerziert, was in vielen Städten zu
> beobachten ist: Hausbesitzer wollen MieterInnen los werden, um lukrative
> „Herbergen“ einzurichten.
Bild: Altbau-Idyll oder Miethai-Eldorado? Die Bremer Rückertsraße.
Bremen taz | Das Fax erreicht das Bremer Amtsgericht nur wenige Minuten vor
Verhandlungsbeginn: Herr S. zieht seine Räumungsklage zurück. Doch die
betroffenen MieterInnen freut das nicht wirklich: „Das ist lediglich ein
weiteres Mittel zum Druckaufbau“, sagt Ariane von Mach, die mit ihrer WG in
der Rückertstraße in der Bremer Neustadt wohnt. Noch: Denn der Vermieter,
Herr S., setzt alles dran, damit aus dem viergeschossigen Altbau eine
Herberge für Obdachlose und Geflüchtete wird. Was wie ein soziales Projekt
wirken könnte, ist in Wirklichkeit ein lukratives Geschäftsmodell, das sich
derzeit vielerorts ausbreitet.
Gründe nennt der Vermieter nicht für den kurzfristigen Rückzug seiner
Klage. System scheint dieses Vorgehen dennoch zu haben: Bereits im November
hatte S. eine andere WG aus dem Haus vor den Kadi zitiert, die Klage dann
aber ebenfalls in letzter Minute zurück gezogen.
Die Betroffenen nehmen das als eine Zermürbungstaktik wahr, der andere
Bewohner des Hauses bereits gewichen sind. Für Anwalt Anatol Anuschewski,
der die MieterInnen verteidigt, ist klar: „Die Räumungsklagen haben
juristisch weder Hand noch Fuß“, da sie nur im Falle einer unbilligen
wirtschaftlichen Härte für den Erfolg Aussicht auf Erfolg haben könnten.
Auch die Richter hätten bereits durchblicken lassen, dass sie die Klagen
ablehnen würden.
Klar ist: Wird der geräumige Altbau als Tagesherberge betrieben, wie das
Herr S. bereits unter fragwürdigen Umständen im Nachbarhaus und in einem
weiteren Objekt in der Bremer Neustadt tut, liegen die zu erzielenden
Erträge um ein Vielfaches über denen der ortsüblichen Mieteinnahmen –
besonders angesichts der aktuellen Geflüchteten-Situation. Pro Nacht zahlt
die Stadt Bremen 20 und bis zu 30 Euro für die Unterbringung einer
wohnungslosen Person.
Setzt die Stadt also falsche Anreize, indem sie solche Geschäftsmodelle
finanziell fördert? In Zeiten des verstärkten Zuzugs von Geflüchteten sei
die Stadt Bremen auf die Zusammenarbeit mit Privaten angewiesen, sagt David
Lukaßen vom Bremer Sozialressort. Für die Unterbringung von Wohnungs- und
Obdachlosen arbeitet die Behörde schon seit Jahren mit circa 15 privaten
Betreibern zusammen.
Eine explizite Profitorientiertheit der Betreiber lasse sich nicht immer
erkennen, sagt Lukaßen, es sei denn, deren Angebote gingen von sehr hohen
Kosten für die Unterbringung aus. Die Stadt verhandle jedoch nur über
„marktübliche Preise“. Feste Zahlen oder Deckelungen nennt Lukaßen nicht:
„Die Kosten werden anhand verschiedener Kriterien und stadtteilspezifisch
verhandelt.“
Der Fall Rückertstraße sei jedoch besonders gravierend. Weitere Wohnungen
von Herrn M. werde die Stadt daher nicht anmieten, wenn sie durch Zwang
geräumt worden würden, verspricht Lukaßen. Neue Verträge würden nun
generell strenger geprüft: „In Zukunft“, sagt Lukaßen, „werden wir
konkreter nachfragen“.
Lukaßens Kollege Bernd Schneider hatte schon [1][anlässlich der ersten
Räumungsklage] in der Rückertstraße klar gestellt: „Das Gebaren des
Eigentümers nehmen wir mit Befremden zur Kenntnis.“ Es dürfe nicht sein,
dass Eigentümer ihre Mieter aus den Wohnungen herausklagten, in der
Erwartung, mit der Unterbringung von Obdachlosen höhere Profite zu
erwirtschaften. „Da dürfen wir“, betont Schneider, „nicht die treibende
Kraft sein“.
Die Innere Mission ihrerseits beobachtet eine Zunahme der privaten
Beherbungsbetriebe für Geflüchtete. Bertold Reetz von der Bereichsleitung
Wohnungslosenhilfe betont: „Es ist natürlich nicht hinzunehmen, wenn dafür
Menschen aus ihren Wohnungen vertrieben werden.“
Die MieterInnen der Rückertstraße sind trotz des gestrigen Rückziehers
ihres Vermieters keineswegs zuversichtlich: Neben den Klagen macht ihnen
auch der extreme Lärm von wandernden Baustellen im Treppenhaus, im
Dachgeschoss und an der Fassade zu schaffen: „Dabei geht es nicht um
normale Sanierungsarbeiten“, sagt von Mach, „sondern darum, uns das Leben
schwer zu machen“. Eine Familie mit einjährigen Zwillingen sei schon Anfang
letzten Jahres ausgezogen, weil ihnen der Druck und Lärm zu viel geworden
seien.
Kommende Woche soll die nächste Räumungsklage in Sachen Rückertstraße vor
dem Bremer Amtsgericht verhandelt werden – wenn nicht wieder in letzter
Sekunde ein Fax eintrifft.
27 Jan 2016
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## AUTOREN
Eva Przybyla
Henning Bleyl
## TAGS
Wohnungsnot
Wohnungsbaugesellschaften
Bremen
Flüchtlinge
Obdachlosigkeit
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