# taz.de -- Debatte NPD-Verbotsverfahren: Befangen oder nicht? | |
> Zwei Verfassungsrichter belasten den Prozess um ein Verbot der | |
> Rechtspartei. Beide haben eine politische Vergangenheit. | |
Bild: Verfassungswidrig oder nicht? Mitglieder der NPD auf einer Demonstration … | |
Eine politische Vergangenheit muss das Richteramt nicht belasten, doch | |
Verbotsprozesse sind besonders anfällig. Im Zweiten Senat des | |
Bundesverfassungsgerichts sitzen Richter, deren Vergangenheit jetzt zum | |
Problem wird. Da ist zunächst Peter M. Huber, seit November 2010 im Amt. Er | |
ist angesehener Rechtswissenschaftler, Mitglied der Union sowie engagierter | |
Verfechter direkter Demokratie. 2009/2010 gab er in Thüringen ein Gastspiel | |
als Innenminister. Und schrieb im Mai 2010 in der FAZ, der Staat müsse | |
„extremistische Parteien“, die „seine Grundordnung bekämpfen“, keinesw… | |
alimentieren: „NPD-Verbot? Kein Staatsgeld für Extremisten“. | |
Zu Hubers Aufgaben gehörte auch die Extremistenbuchhaltung: „Die gesunkene | |
Mitgliederzahl der NPD ...“, [1][erklärte er] am 19. Mai 2010, dürfe „nic… | |
darüber hinwegtäuschen, dass der Kampf gegen den Rechtsextremismus | |
weiterhin mit großem Nachdruck betrieben werden muss“. Am 9. Juli 2010 hieß | |
es in einer anderen Pressemitteilung: „Thüringens Innenminister Prof. Dr. | |
Peter M. Huber begrüßt den breiten gesellschaftlichen Protest gegen die | |
NPD-Veranstaltung am kommenden Samstag in Gera, ruft aber zu strikter | |
Friedfertigkeit auf.“ | |
Deutsche Innenminister sehen, mal links, mal rechts, allerlei Extremisten. | |
Das wird zum Problem, wenn ein Exminister jetzt über die Existenz jener | |
Partei zu urteilen hat, der er bescheinigte, sie wolle die „Grundordnung | |
bekämpfen“; der er den Geldhahn zudrehen wollte. Und die er als | |
„extremistisch“ einstufte und von seinem Geheimdienst beobachten ließ – | |
Bespitzelung durch V-Leute inklusive. | |
Aber warum sollte sich Richter Huber all das heute zurechnen lassen müssen? | |
Weil es den Kern des Verbotsprozesses betrifft! Die politische Frage | |
„extremistisch?“ ist, rechtlich formuliert, die nach der | |
Verfassungswidrigkeit im Sinne des Art. 21 II Grundgesetz. Beide Fragen | |
sind untrennbar miteinander verbunden. Denn nach der gesetzlichen | |
Extremismusformel beobachtet der Verfassungsschutz „Bestrebungen, die gegen | |
die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet“ sind. Was aber | |
unter dieser fdGO zu verstehen ist, wurde 1952 im Verbotsurteil gegen die | |
Sozialistische Reichspartei (SRP) definiert. | |
## Identifizierung mit den Gegnern | |
Das ist der springende Punkt: Ob die „Ziele“ der NPD „verfassungswidrig“ | |
sind oder nicht, steht, so die herrschende Meinung, im Zentrum der | |
Beweisaufnahme. Wie aber könnte sich Richter Huber von dem „Vor-Urteil“, | |
das er einst über die „extremistische“ NPD fällte, im Verbotsprozess | |
freimachen? Und wenn er es öffentlich begrüßte, dass andere gegen die | |
Partei, über die er nun zu Gericht sitzt, auf die Straße gehen – dann mahnt | |
er nicht allein zum Gewaltverzicht, er identifiziert sich zugleich mit den | |
Gegnern der NPD. | |
Kurz: Das politische Vorleben von Richter Huber nährt bei der „angeklagten“ | |
Partei die Besorgnis, er stehe ihr nicht unvoreingenommen gegenüber. | |
Die „Besorgnis“, wohlgemerkt. „Es kommt nicht darauf an“, erklärt das | |
Gericht in einer Pressemitteilung in 2014, „ob der Richter tatsächlich | |
‚parteilich‘ oder ‚befangen‘ ist ... Entscheidend ist ausschließlich, … | |
ein am Verfahren Beteiligter bei vernünftiger Würdigung aller Umstände | |
Anlass hat, an der Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln“. | |
Solche Zweifel gelten auch dem Richter Peter Müller, seit Dezember 2011 im | |
Amt. Müller, angesehener Politiker der CDU, war Ministerpräsident des | |
Saarlandes. Bei ihm zeigt sich eine Langzeitwirkung der Verbotsdebatte, die | |
verblüffend ist. Er hatte damals im Bundesrat gegen einen Verbotsantrag | |
gestimmt – was ihn aus Sicht des heutigen Bundesrats als befangen | |
erscheinen ließe. | |
Doch so einfach ist die Sache nicht, wie sich die FAS in 2015 von der | |
Pressestelle des Gerichts sagen lassen musste: „Herr BVR Müller betrachtet | |
sich im NPD-Verbotsverfahren nicht als voreingenommen. Während die | |
Willensbildung über eine Antragstellung auch von politischen Erwägungen | |
geleitet ist“, habe das Gericht im Verbotsverfahren „ausschließlich anhand | |
eines rechtlichen Maßstabes zu entscheiden“. | |
## Ekliges Gedankengut | |
Stimmt, verfehlt aber das eigentliche Problem. Denn Müller erklärte damals, | |
Ende 2000 in der Berliner Zeitung: „Es ist unstreitig, dass die NPD | |
verfassungsfeindliche Ziele verfolgt und rassistische Inhalte vertritt. Das | |
Gedankengut der NPD finde ich Ekel erregend“. Auch hier, wie bei Huber, | |
schlägt das politische Urteil „verfassungsfeindlich“ auf die rechtliche | |
Frage der „verfassungswidrigen“ Ziele durch. | |
Und mit dem emotional aufgeladenen „Ekel erregend“ gab Müller seine | |
Anti-NPD-Affekte preis. Eine sympathische Haltung, gewiss! Dass diese nun, | |
nach dem Rollenwechsel von der Staatskanzlei ins Verfassungsgericht, die | |
Besorgnis seiner Befangenheit begründet, hat eine gewisse Tragik. | |
Aus Sicht des Gerichts „ist es sinnvoll, dass die Berichterstattung im | |
Parteienrecht von einem Senatsmitglied wahrgenommen wird, das auch im | |
Bereich der Politik über Erfahrung verfügt,“ erklärte die Pressestelle in | |
besagter Antwort auf die Anfrage der FAS. Was vordergründig plausibel | |
klingt, könnte sich jetzt rächen. | |
In Fragen der Befangenheit, also in eigener Sache, verfährt das Gericht | |
zwar überaus großzügig. Hier aber geht es nicht um bloße Meinungen | |
allgemeinen Inhalts; hier geht es um eine persönlich und amtlich geprägte | |
Beziehung zum konkreten Rechtsstreit. Also um jene „besonderen Umstände“, | |
die das Gericht fordert. Denn sie kommen einer Festlegung gleich und | |
beziehen sich auf den Kern des Prozesses, die „Frage der | |
Verfassungswidrigkeit“. | |
Einerlei, wie man zum Prozess gegen die NPD steht: Er darf nicht ins | |
rechtsstaatliche Zwielicht geraten. Das Gericht tut gut daran, jeden | |
Anschein von Parteilichkeit zu vermeiden. Denn nichts ist fragwürdiger als | |
ein Verbotsurteil, an dem Richter mitwirken, deren Befangenheit zu besorgen | |
ist. | |
20 Jan 2016 | |
## LINKS | |
[1] http://www.jenapolis.de/2010/05/19/verfassungsschutzbericht-09-linke-gewalt… | |
## AUTOREN | |
Horst Meier | |
Johannes Lichdi | |
## TAGS | |
NPD-Verbot | |
Verbotsverfahren | |
Richter | |
NPD-Verbot | |
NPD-Verbot | |
Schwerpunkt Holger Apfel | |
NPD | |
NPD-Verbot | |
Rechtsparteien | |
Verfassungsschutz | |
Schwerpunkt Rassismus | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
NPD-Verbotsverfahren in Karlsruhe: Der Geistesgegenwärtige | |
Der Berliner Rechtsprofessor Christoph Möllers will in Karlsruhe das | |
NPD-Verbot für den Bundesrat durchfechten. Ein Porträt. | |
NPD vor Verhandlung in Karlsruhe: Verboten gut vorbereitet | |
In Kürze wird in Karlsruhe über das NPD-Verbot verhandelt. In | |
Mecklenburg-Vorpommern kann man sehen, was es bewirken würde: wenig. | |
Holger Apfel beim NPD-Verbotsverfahren: Vom Ballermann nach Karlsruhe | |
Wenn nächste Woche über die NPD verhandelt wird, ist ein illustrer Zeuge | |
geladen: Holger Apfel. Der frühere Parteichef lebt heute auf Mallorca. | |
Reaktionen auf NPD-Verbotsverfahren: „Sieg für den Rechtsstaat“ | |
VertreterInnen von CDU und SPD befürworten die Verfahrenseröffnung. | |
Ex-Innenminister Baum fordert, die Verbindungen zwischen NPD und Pegida zu | |
prüfen. | |
Kommentar NPD-Verbotsverfahren: Nützt vor allem der AfD | |
Anfang März verhandelt das Bundesverfassungsgericht über ein Verbot der | |
NPD. Aber die Demokratie schützt man nicht mit Verboten. | |
Vor dem Bundesparteitag der NPD: Das Original, das keiner braucht | |
Die NPD fühlt sich wegen der aktuellen Flüchtlings- und Asylsituation | |
bestätigt. Doch gegen die neue Konkurrenz hat sie keine Strategie. | |
Neuer Chef für Thüringer VS: Der maximale Reformer | |
Thüringens Verfassungsschutz wird jetzt von Stephan Kramer, einst | |
Generalsekretär des Zentralrats der Juden, geführt. | |
Die Hetze rechter Parteien in Deutschland: CSU, AfD und NPD machen Stimmung | |
Die CSU bedient Ressentiments, die AfD pflegt Vaterlandsliebe, die NPD | |
hetzt gegen Flüchtlinge. Deutschland 2015. |