# taz.de -- Kolumne Immer bereit: Der Witz und seine Beziehung zur Bahn | |
> Ein paar Schneeflocken auf den Schienen – und schon bricht das Chaos aus. | |
> Denn es ist wie früher in der DDR: die hatte auch vier Feinde. | |
Bild: Eine S-Bahn soll kommen, aber die wird in Berlin ja auch von der Deutsche… | |
Es gibt diesen alten DDR-Witz: „Was sind die vier Hauptfeinde des | |
Sozialismus? Ganz klar: Frühling, Sommer, Herbst und Winter.“ | |
Diesen Text widme ich meiner Mutter, die gerade jetzt, da ich diese Kolumne | |
schreibe, in einem Intercity-Zug sitzt, der am Berliner Hauptbahnhof auf | |
Gleis 13 steht, von wo er vor 40 Minuten eigentlich hätte abfahren sollen. | |
Es ist der IC von Berlin-Ostbahnhof nach Amsterdam. Der Zug ist erst eine | |
Station gefahren und hat schon 40 Minuten Verspätung. | |
Gestern Abend saßen wir noch beisammen, meine Mutter und ich, tranken | |
Rotwein und aßen die von Weihnachten übrig gebliebenen Pfefferkuchen. „Wenn | |
bloß keine Schneeflocke auf die Schienen fällt!“, sagte meine Mutter und | |
schaute besorgt zum Fenster raus, wo ganz langsam ein paar einzelne weiße | |
Flöckchen sich auf die immer noch in voller Blüte stehenden Margeriten auf | |
dem Balkon niedersenkten. „Gestern war der Klempner da“, erzählte meine | |
Mutter, „mit dem hab ich mir die ganze Zeit DDR-Witze erzählt.“ | |
Zum Beispiel den: „Treffen sich zwei Schneeflocken im Himmel. Sagt die eine | |
zur anderen: ‚Wo fliegst du denn hin?‘ – ‚Nach Österreich. Da lege ich… | |
auf die Berge und mache, dass die Menschen Skifahren können. Und wo fliegst | |
du hin?‘ – ‚Ich fliege in die DDR und stürze das Land ins Chaos.‘ “ | |
## Vier Feinde hat die Bahn | |
Seit 15 Jahren fährt meine Mutter jede Woche mit dem IC, außer sie ist | |
krank oder hat Urlaub. Intercity ist die schlimmste Sorte Zug, die man sich | |
vorstellen kann. Im Sommer funktioniert die Kühlung nicht, im Winter fällt | |
die Heizung aus, es gibt weder Ruheabteile noch Speisewagen; und es riecht | |
in allen Abteilen nach Bahnhofskneipe. | |
Manchmal denke ich, dass die DDR doch überlebt hat. In Form der | |
Intercity-Züge der Deutschen Bahn. Zumindest haben sie beide dieselben vier | |
Hauptfeinde: Frühling, Sommer, Herbst und Winter. | |
Heute Morgen war die Welt in Watte gepackt. Gleich nach dem Aufstehen | |
schrieb ich eine SMS an meine Mutter: „Hast du genug zu essen eingepackt?“ | |
– „Zwei Stullen und ein hartgekochtes Ei“, schrieb sie zurück. Für fünf | |
Stunden Bahnfahrt würde das genügen. | |
Aber es weiß ja keiner, wie lange so ein Zug heute braucht. Letztes | |
Wochenende saßen 600 Reisende 22 Stunden in einem IC, der eigentlich fünf | |
Stunden unterwegs sein sollte. Die Lok kam wegen vereister Oberleitungen | |
und Weichen nicht mehr von der Stelle. | |
## Auch Freud kannte Witze | |
Ich habe ein Buch mit DDR-Witzen in meinem Bücherregal gefunden, da sind | |
einige drin, die man aktualisieren kann. | |
Zum Beispiel diesen: Transsibirische Eisenbahn. Der Zug hält auf freier | |
Strecke. „Was ist los?“ – „Sie tauschen die Lok.“– „Gegen eine ne… | |
„Nein, gegen Wodka.“ | |
Schon Sigmund Freud beschrieb vor über 100 Jahren in seiner Witzesammlung | |
„Der Witz und seine Beziehung zum Unbewussten“, die Aufgabe des Witzes wie | |
folgt: „Er ermöglicht die Befriedigung eines Triebes (eines lüsternen und | |
feindseligen) gegen ein im Weg stehendes Hindernis, er umgeht dieses | |
Hindernis und schöpft somit Lust aus einer durch das Hindernis unumgänglich | |
gewordenen Lustquelle.“ | |
Drei Mal „Hindernis“ in einem Satz, dazu noch das Gerede von Umgehung und | |
„Trieb“. Wie in An-Trieb. Nachtigall, ick hör dir trapsen! Wer will da noch | |
behaupten, dem Erfinder der Psychoanalyse wäre es jemals um Sex gegangen?! | |
Zug gefahren ist er! Und zwar regelmäßig. Berlin – Wien – Leipzig – Tri… | |
und zurück. Der arme Mann hat gelitten! Und gewartet. Und Witze | |
aufgeschrieben. Wie zum Beispiel den: „Zwei Juden treffen sich im | |
Eisenbahnwagen einer galizischen Station. ‚Wohin fahrst (Sic!) du?’ fragt | |
der eine. ‚Nach Krakau’, ist die Antwort. ‚Sieh her, was du für ein Lüg… | |
bist’, braust der andere auf, ‚Wenn du sagst, du fahrst nach Krakau, willst | |
du doch, dass ich glauben soll, du fahrst nach Lemberg. Nun weiß ich aber, | |
dass du wirklich fahrst nach Krakau. Warum also lügst du?’“ | |
Es lebe die Deutsche Bahn! Sie hält den Witz lebendig. | |
10 Jan 2016 | |
## AUTOREN | |
Lea Streisand | |
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