# taz.de -- Solidarische Landwirtschaft in Oldendorf: Der Preis des Porrees | |
> Eine Hofgemeinschaft bei Bremen hat sich vom Handel emanzipiert und gibt | |
> den Lebensmitteln ihren Wert zurück. | |
Bild: Auch eine leckeres Gemüse, solidarisch gepflanzt: Mangold | |
BREMEN taz | Vergessen Sie bitte einmal kurz, was Sie über Marktwirtschaft | |
wissen. Ganz egal, ob Sie Ihr Obst und Gemüse, und, je nachdem, auch das | |
Fleisch, nun im Super- oder auf dem Wochenmarkt kaufen. Nehmen wir zum | |
Beispiel den Porree. Ein Gemüse, das man in Norddeutschland auch jetzt im | |
Winter gut ernten kann: Hier im Laden des Gärtnerhofs in Oldendorf ist | |
grade die ganze Kiste voll damit. | |
„Ich kann nicht sagen, was der Porree kostet“, sagt Jan Bera, der Pächter | |
des Hofes. Und es kann ihm auch egal sein. | |
Die Leute, die seinen Porree essen, bezahlen nicht für das Kilo. Oder weil | |
sein Lauch besonders lecker oder politisch korrekt ist. Sie bezahlen dafür, | |
dass er überhaupt produziert wird. Und dafür dürfen sie ihn dann jetzt | |
essen. Der Porree hier hat keinen Preis. Aber einen Wert. „Solidarische | |
Landwirtschaft“ nennt sich das. Es ist ein bisschen so wie bei den Lehrern: | |
Die werden ja, selbstverständlich, auch nicht pro unterrichtetem Schüler | |
entlohnt. | |
## Nahrung für 200 Menschen | |
Gut 200 Leute ernährt die [1][“Hofgemeinschaft Oldendorf“], ein | |
Zusammenschluss zweier Höfe, die zwischen Bremen, Bremerhaven und | |
Bremervörde liegen. Alle Mitglieder finanzieren, zusammen, die | |
Landwirtschaft hier. Sie teilen also die ganze Saison über das | |
wirtschaftliche Risiko mit dem Bauern. | |
Und bekommen dafür allwöchentlich seinen Ertrag. Und zwar immer genau das, | |
was eben gerade hier wächst. Egal, wie viel es ist. „Die Idee, dass | |
Profiterwartung in Verbindung mit Wettbewerb auf dem Markt | |
Qualitätsprodukte erzeugt, hat sich in der Landwirtschaft nie bestätigt“, | |
sagt Wolfgang Stränz, hierzulande einer der Vorkämpfer der solidarischen | |
Landwirtschaft. | |
Das Konzept entstand in den Sechzigern, in Japan, wo heute schon gut ein | |
Viertel der Haushalte an einem „Teikei“ beteiligt ist. Auch in den USA, wo | |
diese Art des Wirtschaftens „community supported agriculture“ heißt, gibt | |
es das schon seit den Achtzigern. | |
In Deutschland machte die Idee erst 2005 die Runde, mit der Doku „Farmer | |
John – Mit Mistgabel und Federboa“. Hierzulande zählt das [2][Netzwerk | |
solidarische Landwirtschaft] gerade mal 92 Höfe. Zum Vergleich: Insgesamt | |
gibt es in Deutschland nach den letzten Zahlen des Statistischen | |
Bundesamtes rund 285.000 landwirtschaftliche Betriebe. Etwa 18.000 davon | |
produzieren nach den EU-Vorschriften für ökologischen Landbau. | |
„Unter herkömmlichen Vermarktungsbedingungen“, sagt Jan Bera, „würde es | |
hier im Sommer nur Tomaten und im Winter nur Feldsalat geben“. Auch wenn | |
der Gärtnerhof ein konventioneller Biohof wäre. Mit seinen langen, etwas | |
strubbeligen Haaren, dem Bart, seinem Kapuzenpulli sieht der | |
Thirtysomething wie ein typischer Linksalternativer aus. | |
Zusammen mit drei anderen bewirtschaftet er seit 2012 drei Hektar Acker, | |
dazu 1.600 Quadratmeter in Gewächshäusern. Aber der Boden ist schlecht hier | |
im „nassen Dreieck“ zwischen Elbe und Weser. Trotzdem wachsen auf dem | |
Gärtnerhof im Dezember Endivien- und Posteleiensalat, Rucola und Zwiebeln, | |
Mangold und Spinat, Petersilie, Porree und noch ein paar andere Sachen. | |
## Experimente mit bunten Auberginen | |
Warum? „Erst mal ist Geld nicht wichtig“, sagt Bera. „Damit ändert sich | |
alles.“ Er sieht seinen Hof als eine Art „Forschungsprojekt“ – für neue | |
Techniken, Kulturpflanzen, Wirtschaftsweisen. | |
Zum Beispiel experimentiert er gern mit buntem Gemüse. Etwa mit Auberginen, | |
die gelb sind, oder oben pink und unten weiß, mit Auberginen, die lang sind | |
wie Gurken oder geformt sind wie ein Football. All das gibt es heutzutage | |
auch auf dem gut sortierten Wochenmarkt. | |
Aber am Ende, diese Erfahrung hat Bera gemacht, kaufen sie dann eben doch | |
meist eine der Auberginen, die aussehen, wie man das gemeinhin von ihnen | |
erwartet: Was der Kunde nicht kennt, kauft er nicht. | |
Hier bekommt er es einfach vorgesetzt. Und hier kommt es auch nicht in | |
erster Linie darauf an, dass das Gemüse ästhetisch besonders wertvoll ist – | |
was auch der Biohandel heutzutage verlangt. Sondern dass es qualitativ | |
besonders hochwertig ist. Deswegen kann Bera auch darauf verzichten, seine | |
Tomaten mit Hornspänen zu düngen – die alle aus konventioneller | |
Massentierhaltung kommen, wie er sagt. Und zwar auch bei den Tomaten aus | |
dem Bioladen. Selbst wenn sie das strenge „Demeter“-Siegel haben. | |
In der solidarischen Landwirtschaft haben sich die Menschen vom klassischen | |
Handel emanzipiert. „Weil sie ihm nicht mehr vertrauen“, sagt Bera. | |
## Drei Kilo Gemüse pro Woche | |
Einmal im Jahr trifft sich die Wirtschaftsgemeinschaft der Oldendorfer zur | |
Vollversammlung. Die Bauern sagen, was sie in der kommenden Saison vorhaben | |
und was das so kostet. Die Mitglieder sagen, wie viele „Ernteanteile“ sie | |
wollen. Der besteht im Jahresdurchschnitt aus drei Kilo Gemüse, 1,2 Kilo | |
Kartoffeln, vier Eiern, 300 Gramm Fleisch und einem Brot pro Woche. | |
Und sie entscheiden reihum, wie viel sie dafür monatlich bezahlen wollen. | |
Danach wird abgerechnet. Reicht das Gebot aus der ersten „Bieterrunde“ | |
nicht aus, um die solidarische Landwirtschaft ausreichend zu finanzieren, | |
müssen die Mitglieder erneut bieten. „Klingt kompliziert. Ist aber in der | |
Regel nach drei Bieterrunden zu Ende“, sagt Bera. | |
Für Gemüse und Kartoffeln ist durchschnittlich mit etwa 80 Euro im Monat zu | |
rechnen, wer auch noch Eier, Brot und Fleisch haben will, muss im Schnitt | |
noch mal 54 Euro im Monat zahlen. Funktioniert das? Drei Viertel der Leute, | |
sagt Bera, denken, sie hätten etwas weniger als die anderen – zahlen also | |
70 Euro für Gemüse und Kartoffeln. Ein paar zahlen nur die Hälfte. Und ein | |
paar „deutlich mehr“. Trotzdem bekommen alle erst einmal denselben | |
Ernteanteil. | |
Geht das gut? Wenn es im Frühjahr, wenn das Lagergemüse alle ist, oder | |
schrumpelig, die ersten Radieschen gibt, „sind die schnell weg“. Und mit | |
den ersten Tomaten im Sommer sei das genauso. „Da kann es dann schon mal | |
Probleme geben.“ Aber irgendwie reguliert sich das dann, schon weil man | |
sich ja untereinander kennt. | |
Und wer macht da so mit? „Die allermeisten sind Umdenker“, sagt Bera. Kaum | |
einer, der vor allem auf dem Wochenmarkt einkauft oder eine Öko-Kiste im | |
Liefer-Abo hat, schwenke auf solidarische Landwirtschaft um. „Die bleiben, | |
wo sie sind.“ | |
Bohnen und Paprika aus Marokko oder Weintrauben aus Südafrika, wie man sie | |
in diesen Tagen auch in Öko-Kisten findet, gibt es hier nicht. Ihre | |
Lebensmittel holen die Mitglieder entweder direkt auf dem Hof oder in einem | |
der 15 selbst verwalteten Depots ab, die es in Bremen, Bremerhaven und dem | |
Umland gibt. Eines der größten ist das im Bremer Viertel, das gut 30 | |
Mitglieder versorgt. Der Stadtteil ist eher alternativ, die meisten hier | |
wählen grün oder links, die Kneipendichte ist hoch, die Zahl der Carsharer | |
auch. Und die Zahl der Vegetarier. | |
„Fleisch essen ist da verpönt“, sagt Marc Schweighöfer, der Pächter des | |
Sophienhofs, der ebenfalls zur „Hofgemeinschaft Oldendorf“ gehört. Zwei | |
Hektar groß ist sein Hofgelände, sieben Hektar Ackerland und 31 Hektar | |
Grünland gehören dazu. Und für Schweighöfer sind Vegetarier ein Problem: | |
Zwar baut er, wie sein Partner Bera, auch Getreide, Feldgemüse und | |
Kartoffeln an, aber er hat eben auch 200 Weihnachtsgänse, 31 Rinder, die | |
noch Hörner haben, und 120 Legehennen mit Bruderhähnen. | |
Von der solidarischen Landwirtschaft allein kann der 32-Jährige noch nicht | |
leben, er braucht noch die Direktvermarktung im Hofladen, über Freunde und | |
Bekannte. Selbst im ländlichen Oldendorf sind konventionelle Tierzüchter | |
heute manchmal als „Tierquäler“ verschrieen, erzählt Bera. | |
Für Schweighöfer aber sind Rinder „unabdingbar“ in einer vollwertigen | |
Landwirtschaft. Sie haben ein „tolles Privileg“, schwärmt der Landwirt – | |
„sie können aus Rohfasern hochwertige Nahrungsmittel machen“. Und auf dem | |
Moorboden weiden, auf dem sonst nichts produziert werden könnte. Die | |
Rindviecher hier leben nur von Grünzeug, sagt der Bauer, sie bekommen weder | |
Sojaschrot noch Maishäcksel. Und sie sorgen für den Humusaufbau im Boden – | |
der dann als Stickstoffspeicher dient. Schweighöfer ist einer, für den | |
Fleisch essen „sinnvoll“ ist. | |
Er war schon als Geselle in Oldendorf, wie Bera auch, seit er 18 ist, | |
arbeitet er in der Landwirtschaft. Ihre Ausbildung haben beide beim | |
anthroposophischen Label „Demeter“ gemacht. Das gilt zwar vielen als leicht | |
okkult und dogmatisch oder zumindest skurril, etwa wenn Aussaat und Ernte | |
auf Mondphasen und Planeten abgestimmt werden, dennoch hat Demeter ob | |
seiner strikten Vorgaben an die biologische Landwirtschaft im Allgemeinen | |
einen guten Ruf. | |
In der kleinbäuerlich strukturierten Szene der solidarischen Landwirtschaft | |
finden sich zahlreiche Demeter-Höfe. Warum? Die sind von vornherein | |
„möglichst vielseitig“, sagt Schweighöfer. Wer spezialisiert ist, ist für | |
das Konzept der solidarischen Landwirtschaft ungeeignet. Tierhaltung ist | |
bei Demeter-Höfen Pflicht. | |
## Schmeckt besser als bei Freunden | |
Für Bera ist das Demeter-Siegel zwar eine „geniale Vermarktungsidee“, aber | |
auch „Verarsche“. Zum Beispiel, wenn es um Obst geht: „Da gibt es gute und | |
schlechte Jahre“, sagt Bera, und das sei schon immer so gewesen. Damit das | |
beim Verbraucher nicht so ankommt, werde Kupfer und Schwefel gespritzt, | |
sagt Bera – „und zwar nicht wenig“. Ob er das auch macht? „Da denke ich… | |
nicht dran!“ Jan Bera ist überzeugt, dass seine Lebensmittel am Ende so | |
auch ganz einfach besser schmecken. | |
„Es ist toll, wie sich das Gemüse anfühlt, wenn ich es abhole und wenn ich | |
koche“, sagt einer, der schon eine Weile in seiner Hofgemeinschaft | |
mitmacht. „Mir ist nach fast einem Jahr jetzt viel bewusster, was zu dem | |
jeweiligen Zeitpunkt hier in der Umgebung wächst, geerntet wird, gegessen | |
werden kann“, sagt ein anderer. „Und das Gemüse schmeckt besser als das aus | |
dem Laden“, findet der zwölfjährige Fabian. „Bei meinen Freunden mag ich | |
das Essen oft nicht mehr, weil das Gemüse dort komisch schmeckt.“ | |
Manchmal, erzählt Bera, führe die Umstellung auf die solidarische | |
Landwirtschaft aber auch zu ungewohnten Geschmackserlebnissen. Nicht nur, | |
weil man vorher gar nichts von Haferwurzeln oder Spaghettikürbis wusste, | |
„sondern auch, weil scheinbar Altbekanntes nun ganz anders schmeckt.“ | |
Möhren etwa: Die schmecken, konventionell hergestellt, oft etwas herb. | |
„Wenn ihre Schale verletzt wird, dann bilden sie Bitterstoffe“, sagt Bera �… | |
„eine Abwehrreaktion“. Die vom Gärtnerhof schmecken also eher süß. „We… | |
Möhren schon immer süß schmeckten.“ | |
Und noch etwas anderes lässt sich an der Möhre lernen: Menge und Preis | |
haben im traditionellen Handel nicht immer sinnvoll etwas miteinander zu | |
tun. So können Pastinaken locker das Doppelte kosten wie Möhren. Obwohl der | |
Ertrag beim Anbau da viel höher ist. Aber der Hofgemeinschaft Oldendorf | |
kann das ja egal sein. | |
9 Jan 2016 | |
## LINKS | |
[1] http://www.gaertnerhof-oldendorf.de/ | |
[2] http://www.solidarische-landwirtschaft.org | |
## AUTOREN | |
Jan Zier | |
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