# taz.de -- Wladimir Putins Politik: Der Unberechenbare | |
> Der russische Präsident stellt sich in seiner jährlichen Pressekonferenz | |
> den Fragen von Journalisten. Eine Rückschau auf Putins 2015. | |
Bild: Putin spricht auf seiner jährlichen Pressekonferenz zu Journalisten. | |
MOSKAU taz | Wladimir Putin legte den Schalter um, und es ward Licht. Es | |
war ein Überraschungsbesuch, den Russlands Präsident vergangene Woche auf | |
der Krim absolvierte. Er weihte eine Stromleitung ein, nachdem die | |
Halbinsel fast zwei Wochen von der Energieversorgung abgeschnitten war. Ein | |
Anschlag auf der ukrainischen Seite hatte die Verbindung gekappt. | |
Staatliche TV-Sender würdigten das Ereignis ausführlich. Verschwiegen wurde | |
allerdings, dass die neue Leitung nur einen Bruchteil des Bedarfs deckt. | |
Mit der Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim im März 2014 hatte Moskau | |
seine außenpolitische Berechenbarkeit endgültig beiseitegelegt. Seither | |
verunsichert Russland den Westen mit Tricks und Volten. Unberechenbarkeit | |
birgt den Vorteil, dem Gegner stets um eine Länge voraus zu sein. Von der | |
Krim über die Ostukraine bis nach Syrien zahlte sich das | |
Überraschungsmoment aus, doch hapert es bei der Nachhaltigkeit. | |
21 Monate nach Einverleibung der Krim sind elementare Dinge noch immer | |
nicht geklärt. Neben der Strom- hängt auch die Wasserversorgung an der | |
Ukraine. Die Brückenverbindung zum russischen Festland soll erst 2018 | |
stehen. Die Versorgungslage verschlechtert sich, und die Preise erreichen | |
Moskauer Niveau. Von der Sonneninsel spricht im offiziellen Moskau kaum | |
jemand mehr. Auch aus den Nachrichtensendungen ist sie fast verschwunden. | |
Niemand wagt, es auszusprechen: Für den Aufbau fehlt das Geld. Dennoch | |
halten die Bewohner der Krim zu Russland und Putin. | |
In der ostukrainischen Donbassregion sieht es noch trauriger aus. 9000 Tote | |
kostete die russische Intervention bisher. Was das Kernland „Neurusslands“ | |
werden sollte, verwandelte sich in Ruinenlandschaften und rechtsfreie | |
Räume. Der Kreml hält trotzdem an der Grenzregion fest, um die Ukraine | |
jederzeit in Turbulenzen stürzen zu können. In der Südukraine erwartete der | |
Kreml Zuspruch, der aber ausblieb: eine folgenreiche Täuschung, die die | |
Nachbarn auf Jahrzehnte voneinander entfremden dürfte. Statt Einfluss zu | |
erweitern, drängte Moskau das „Brudervolk“ gen Westen. | |
## Putin und Syrien | |
Als sich die Möglichkeit bot, im Syrienkonflikt eine tragende Rolle zu | |
übernehmen, vollzog der Kreml einen radikalen Schwenk. Die Ukraine | |
verschwand von der Tagesordnung. Mit der Verlegung von Luftwaffeneinheiten | |
führte Putin im September den Westen ein weiteres Mal vor. Mehrere Fliegen | |
wollte der Kreml mit einer Klappe schlagen: Der Kampf gegen die Terrormiliz | |
Islamischer Staat (IS) sollte von der Ukraine ablenken und mithelfen, | |
westliche Sanktionen abzubauen. Nicht zuletzt auch die Rückkehr des | |
Präsidenten an den Tisch der Großen einleiten. Gleichzeitig galt es, den | |
syrischen Präsidenten Baschar al-Assad im Sattel zu halten und Russland als | |
Macht im Nahen Osten zu verankern. | |
Die geplante Blitzoffensive schlug fehl: Die Anti-Terror-Koalition mit dem | |
Westen kam nicht zustande. Assads Bodentruppen konnten trotz Moskaus | |
Luftunterstützung keine nennenswerten Landgewinne verzeichnen. Die Londoner | |
Militärzeitschrift Jane’s veranschlagt die Rückeroberungen der syrischen | |
Regierungstruppen auf lediglich 0,4 Prozent des verlorenen Territoriums. | |
Nun kündigte am Wochenende auch Kampfgenosse Iran den Abzug von | |
Bodentruppen nach schweren Verlusten noch an. Überdies scheint auch das | |
Verhältnis zu Teheran nicht spannungsfrei zu sein. | |
Inzwischen richtet sich auch Moskau auf einen längeren Waffengang ein. | |
Russische Experten gehen von mindestens einem Jahr aus. Ob Putin Wort hält | |
und keine russischen Militärs in die Schlacht schickt? Statt der | |
ursprünglich 2000 Soldaten sind ohnehin bereits 5000 vor Ort, wie das | |
US-Portal DefenseNews vergangene Woche berichtete. Darunter Hunderte | |
Militärberater in den Reihen der syrischen Armee. Putin habe erst jetzt | |
begriffen, dass die Schlacht aus der Luft mit syrischen Bodentruppen nicht | |
zu gewinnen sei, meinen russische Beobachter. | |
Die Luftangriffe seit September hätten das Kräfteverhältnis nicht | |
entscheidend verändert. Russland erhöhte daher auch die täglichen Ausgaben | |
für den Einsatz von 4 auf 8 Millionen Dollar. Einen Sieg kann Putin jedoch | |
verzeichnen: Washington schneidet ihn nicht mehr. Das dürfte für den | |
Kremlchef vieles aufwiegen. Unter dem Strich hat sich der Kreml jedoch | |
verzettelt. | |
## Putin und die Türkei | |
Völliges Unverständnis ruft unterdessen der Konflikt mit der Türkei hervor. | |
Ankara schoss einen russischen Jet ab, der türkischen Luftraum verletzt | |
hatte. Dutzende Warnungen waren dem vorausgegangen. Seit dem Debakel wütet | |
der Kreml. Selbst vor Razzien gegen türkische Studenten macht Moskau nicht | |
mehr halt. Eigentlich hatte Russland anvisiert, zusammen mit der Türkei | |
eine gemeinsame Flanke im Osten der EU zu bilden. Stattdessen sagte Moskau | |
das Pipelineprojekt „Turkish Stream“ ab und stoppte auch den Bau des | |
Atomkraftwerkes in Akkuyu. | |
Charterflüge in die Türkei sind nunmehr untersagt, während den Bürgern | |
nahegelegt wird, türkische Strände zu meiden. Das sind nur einige eines | |
riesigen Bündels von antitürkischen Maßnahmen, die Russland am Ende härter | |
treffen dürften als den Adressaten. Die türkische Wirtschaft sei | |
diversifizierter als die russische, meint der russische Wirtschaftsexperte | |
und Ex-Vizechef der russischen Zentralbank Sergei Alexaschenko. | |
Im Inneren Russlands regiert seit Längerem der Primat der Politik, der den | |
Machterhalt der Elite sichern soll. Sie schaut durch den Schlitz einer | |
Schießscharte auf die Welt. Die selbstzerstörerischen Folgen erkennt sie | |
nicht. Vielleicht sind sie ihr auch egal. | |
17 Dec 2015 | |
## AUTOREN | |
Klaus-Helge Donath | |
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