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# taz.de -- Doku mit Ex-Dschingis-Khan-Sänger: Reden wir über Politik
> Leslie Mandoki zeigt in „Schmelztiegel Budapest“ seine Heimat. Der Film
> ist auffällig unpolitisch. Dabei streitet der Musiker gern darüber. Ein
> Treffen.
Bild: Leslie Mandoki in Budapest vor dem Szimpla, Kneipe und Kulturraum.
Zielstrebig steuert Leslie Mandoki den Kühlschrank und die Kaffeemaschine
an. Er ist gerade erst aus München gelandet. „Hier ist mein Zuhause in
Berlin“, sagt er. Es ist ein nobles Hotel in der Nähe des Potsdamer
Platzes. Mandoki lebt den größtmöglichen German Dream, den dieses Land zu
bieten hat. 1975 aus Ungarn geflüchtet, angekommen – und vom Sänger und
Tänzer bei Dschingis Khan ist er zu einem weltweit gefragten
Musikproduzenten geworden. Er greift sich eine Flasche Wasser und zieht den
fertigen Cappuccino aus der Maschine.
Wenn Mandoki von seiner Flucht erzählt, schüttelt er immer wieder den Kopf.
„Heftig, total heftig“, sagt er dann. Alles begann kurz vor dem Tod seines
Vaters. „Versprich mir, dass meine Enkelkinder niemals zensierte Zeitungen
lesen werden“, sagte der Senior damals zu seinem 16 Jahre alten Sohn. So
erzählt es der Junior in der Dokumentation und im Hotel in Berlin. Doch
während der Film anschließend die Flucht vor der Bespitzelung und
Unterdrückung in Ungarn nur anreißt, holt Mandoki im Gespräch weit aus:
1975, Mandoki ist mittlerweile 22 Jahre alt, war er mit zwei Freunden auf
Tour in Jugoslawien.
Sie wollten durch einen Eisenbahntunnel nach Österreich. Drei Tage lauerten
sie am Eingang, merkten sich die Schichtwechsel der Wachen und hatten jeder
zwei Kilo Fleisch für die Wachhunde dabei. Nachts rannten sie los. Der
Schotter zerfetzte Mandokis Schuhe, er brach sich den Finger. Nur weiter.
Acht Kilometer bis nach Österreich. Dann sahen sie ein
Transformatorhäuschen. Darauf stand „Lebensgefahr“. Und was macht man mit
einem Kasten, auf dem so was steht? Richtig, man umarmt ihn.
Doch hier war die Flucht noch nicht zu Ende. Bis nach Schweden und dann
nach Amerika wollten die drei. Sie erreichten Wien, München,
Schleswig-Holstein – und dann rüber nach Dänemark. Dort wurden sie
aufgegriffen und an die Polizei in Flensburg übergeben. Mandoki kam ins
Auffanglager im bayerischen Zirndorf, bekam Asyl. Dann zog er zu den
Zsoltas. Alte Bekannte. Er Finanzbeamter, sie Sekretärin. Mandoki nennt sie
„Vati“ und „Mutti“. Seine wochenlange Flucht war vorbei. Er blieb in
Deutschland.
Mehr als eine halbe Stunde hat er nun schon erzählt. Dabei wollte er sich
kurz fassen. Denn eigentlich redet er gern über das Jetzt. Über Politik.
Über all das, was die Dokumentation ausblendet: In dem Film erzählt Mandoki
ein bisschen was von sich, zeigt ein paar schöne oder geschichtsträchtige
Orte Budapests und lässt alte Weggefährten zu Wort kommen. Aus dem Off
gibt’sein bisschen Geschichte: Aufstand 1956, DDR-Flüchtlinge 1989. Das
war’s.
## Die Kanzlerin ist „Doktor Merkel“
Also: Was denkt er, der Flüchtling, wenn er heute die Flüchtlinge in
Deutschland ankommen sieht? „Ich denke, wir schaffen das“, sagt Mandoki. Er
ist ein Fan der Kanzlerin. Er nennt sie immer „Doktor Merkel“, so wie die
Helmut-Kohl-Fans immer „Doktor Kohl“ sagen. Echte Verehrer nennen den
akademischen Grad mit. Mandoki hat schon zwei Wahlkampfsongs für Merkel
geschrieben.
Er klingt wie sie, wenn er sagt: „Wir müssen Verständnis für andere
Kulturen aufbringen. Wir müssen einen Weg der Wertevermittlung finden.
Nicht konfrontativ, sondern konstruktiv positiv, aber kompromisslos. Wie
vermitteln wir dieses positive, tolerante Deutschland?“ Kompromisslos
heißt: „Keine Toleranz der Intoleranz“. Er weiß selbst, dass es genug hier
Geborene gibt, die das auch nicht verinnerlicht haben.
Was ist mit dem Chaos am Budapester Hauptbahnhof im Sommer, mit den
Bildern, die Merkel erst veranlassten, die Grenzen zu öffnen? „In Budapest
ist es aus dem Ruder gelaufen“, sagt er. Es sei nun einmal eine
Herausforderung, „die wir hier in Deutschland viel besser bewältigt haben“.
## Orbáns Mediengesetze?
Und wie denkt er über Viktor Orbán? Schließlich hat Mandoki seinem Vater
einst versprochen, dass die Enkelkinder in Zukunft freie Medien genießen
sollten. Die Zukunft ist jetzt. Und nicht wenige sind besorgt um die
Medienfreiheit in Ungarn unter Orbán. Allen voran die RTL-Gruppe, zu der
auch n-tv gehört, wo die Doku zu sehen sein wird. Doch Mandoki sieht in
Orbán nicht die Gefahr, die viele andere in Europa in ihm sehen. Viel mehr
ängstigt ihn die rechtsradikale Partei Jobbik. Orbán ist für ihn wohl der
Schutzwall gegen noch Schlimmeres.
Doch rechtfertigt das die merkwürdigen Mediengesetze? Oder die harte
Haltung gegenüber den Flüchtlingen? Mandoki redet von europäischen
Lösungen; davon, dass man überzeugen müsse, erzählt von Anerkennung, die
den Ungarn zuteil werden müsse, da sie sich selbst aus der schlimmen
Wirtschaftskrise befreit hätten, und erinnert daran, dass es Orbán war, der
als junger Student auf dem Heldenplatz „die Sowjets aus dem Land brüllte“
und Ungarn noch im selben Jahr den Eisernen Vorhang hob.
Seine Tochter schreibt ihm eine SMS. Sie warte auf ihn. Nach mehr als zwei
Stunden muss Mandoki los. Ein paar Tage später verschickt er eine Mail.
Gedanken über seine Rolle als Musiker in der Asylfrage. Drei Seiten lang.
Und man fragt sich nochmal, wie bei einem derart politisierten Menschen
eine so unpolitische Doku entstehen konnte.
22 Dec 2015
## AUTOREN
Jürn Kruse
## TAGS
Flüchtlinge
Budapest
Reiseland Ungarn
Schwerpunkt Angela Merkel
Ungarn
Helmut Kohl
Flüchtlinge
Flüchtlingspolitik
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Fernsehen
Griechenland
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