# taz.de -- Stefan Raab hört auf: Aus Scheiße Gold gemacht | |
> Er verabschiedet sich am Samstag vom Bildschirm. Sagt er. Dabei ist das | |
> deutsche Fernsehen ohne den Kölner kaum vorstellbar. | |
Bild: Geht nicht gibt‘s für ihn nicht: Stefan Raab. | |
Als Stefan Raab im März 1999 mit „TV total“ startete, hatten die meisten | |
Websites in Deutschland noch Gästebücher, und irgendwo blinkte immer eine | |
Sirene und unten war ein Counter, der anzeigte, wie viele Besucher schon | |
auf der Seite waren. Videos hat man nicht gestreamt. Man hat sie | |
runtergeladen. Stundenlang. DSL führte die Telekom erst später ein. | |
Es war die Zeit, in der Hypes noch im Fernsehen kreiert wurden. Im | |
Privatfernsehen. Es war die Zeit von Stefan Raab. Er hatte schon beim | |
Musiksender Viva bewiesen, dass er einen Blick fürs Absurde hatte: Vor | |
[1][“Böörti, Böörti Vogts“] (1994) waren Turnierausflüge des Deutschen | |
Fußball-Bunds noch diplomatische Reisen im Auftrag der Heimat gewesen, | |
danach waren die deutschen Teams und Trainer der Lächerlichkeit preisgeben, | |
die sie verdienten. Und bei ProSieben lief er dann zur großen Form auf. Er | |
baggerte über Wochen an Dieter Bürgy, dem Lochfraßfeind aus der | |
Calgon-Werbung, herum, er kreierte aus [2][“Ö La Palöma“] und | |
[3][„Maschen-Draht-Zaun“] Hits, er konnte selbst dem Kanzler mit „Hol mir | |
ma ne Flasche Bier“ zu einem Charterfolg verhelfen. Raab machte aus Scheiße | |
Gold. | |
Und es gab keine Grenzen. Aus seiner montäglichen Sendung wurde eine | |
viermal die Woche ausgestrahlte Late-Night-Show. „TV total“ war für | |
Jugendliche ebenso überlebensnotwendig geworden, wie es heute der Zugang zu | |
YouTube ist, dessen Aufkommen Raab und seine Sendungen überraschenderweise | |
nicht kannibalisierte. Gästebücher, Sirenen und Counter wurden entfernt, | |
Raab machte immer weiter und immer mehr: die Wok-WM, das Turmspringen, die | |
Stock Car Challenges, Eisfußball, Autoball, Pokernächte, Silvestershows, | |
Sondersendungen zu Bundestagswahlen. Eine unvollständige Auswahl seines | |
Wirkens. | |
Als Raab im November 2012 sein letztes großes Ding steigen ließ, die | |
Polittalkshow „Absolute Mehrheit“, sagte er [4][im taz-Interview]: „Monta… | |
bis donnerstags machen wir schon eine Sendung, an 12 bis 14 Samstagen | |
drehen wir auch noch.“ ProSieben war innerhalb von 13 Jahren zum | |
Raab-Sender geworden. Und die hinter alldem steckende Produktionsfirma | |
Brainpool mehr und mehr zum One Trick Pony. | |
## Mit ihm war der Samstagabend keine Fernsehtodeszone | |
Bis zum 17. Juni 2015, als Raab ankündigte, nicht mehr das Zirkuspferd sein | |
zu wollen. Zum Jahresende sei Schluss, teilte er seinen MitarbeiterInnen | |
mit. | |
An diesem Samstag spielt er zum letzten Mal „Schlag den Raab“ bei | |
ProSieben. Die Show, mit der er bewiesen hat, dass der Samstagabend noch | |
lange keine Fernsehtodeszone ist. „Mich reizt eine Aufgabe, wenn alle | |
anderen glauben, dass das nicht geht“, sagte Raab 2012: „Sprüche wie ‚Der | |
Markt ist zu‘ motivieren mich total.“ Dass „Schlag den Raab“ nicht | |
fortgeführt wird, ist der größte Verlust, wenn in der Nacht von Samstag auf | |
Sonntag „eine TV-Ära zu Ende geht“, wie es der ProSieben-Senderchef | |
Wolfgang Link im Juni formulierte. | |
Bei „TV total“ hat er sich schon verabschiedet. Am Mittwochabend. Es war | |
kein großes Finale. Raab überließ die Bühne seinem Kompagnon Elton. Ein | |
paar alte Filmchen, ein paar Songs. „Machen Sie es gut. Danke schön!“ | |
Wenn man mit mehr oder weniger prominenten Menschen, die Raab teilweise | |
schon seit seinen Viva-Zeiten kennen, über dessen Fernsehende redet, sind | |
die Reaktionen immer gleich: Kopfschütteln, abwinken. Das kauft ihm keiner | |
ab. Doch was wissen die schon? Wer kennt denn Stefan Raab wirklich? | |
## Lässt nicht gern tief blicken | |
Als Raab am Mittwoch seine letzten Worte bei „TV total“ gesprochen hatte, | |
musste er tatsächlich weinen. Da wandte er sich einfach ab. Raab lässt | |
nicht gern tief blicken. Das mochte er noch nie. | |
Nach der offiziellen Ankündigung aus dem Juni, als Raab mitteilte, dass er | |
seine „Fernsehschuhe an den Nagel“ hängen würde, sagte er anschließend | |
nichts mehr. Er gab keine gefühlsduseligen Interviews. Homestorys | |
existieren sowieso nicht. Er hat wohl zwei Töchter, eine Lebensgefährtin | |
und lebt in Köln. Von ihm stammen diese Informationen nicht. Wenn er | |
JournalistInnen in sein sehr geräumiges Büro in Köln-Mülheim lud, dann um | |
über neue Sendungen zu sprechen – wie eben vor „Absolute Mehrheit“. Alle | |
seine Auftritte waren das, was sie nun mal waren: Auftritte. Er nutzt sein | |
Privatleben nicht zu Werbezwecken. „Meine Leistung kann man sich ja | |
angucken“, sagte er vor drei Jahren, „und wenn die nicht ausreicht, dann | |
reicht es auch nicht, wenn ich mich nackt auf die Motorhaube meines Autos | |
lege und für die Bunte fotografieren lasse.“ | |
Und nun will der, der sich immer über Leistung definiert hat, einfach | |
aufhören. Von „Geht nicht gibt’s nicht“ zu „Es geht nichts mehr“. Do… | |
ändert sich einer wie Raab so sehr? Der Moderator ist in seiner | |
öffentlichen Rolle ein Zoon Televisionikon, ein Fernsehlebewesen. Er hat | |
selbst dann weiter bei „Schlag den Raab“ um den Sieg gekämpft, nachdem er | |
sich bei einem Sturz mit dem Mountainbike Jochbein und Kieferhöhlenwand | |
gebrochen hatte. Das war im April 2010. Ein paar Wochen später gewann sein | |
Schützling Lena Meyer-Landrut in Oslo den Eurovision Song Contest. | |
Der Raab und der ESC, auch so eine Geht-nicht-gibt’s-nicht-Beziehung. | |
Anfang der 90er Jahre war der Wettbewerb in Deutschland tot. 1996 erreichte | |
ein gewisser Leon nicht einmal das Finale. Raab legte an den ESC den | |
Defibrilator an und komponierte als Alf Igel den Song „Guildo hat euch | |
lieb“ für Guildo Horn. In Deutschland wurde wieder über den Grand Prix – | |
das durfte man damals noch sagen – gesprochen, es wurde das Finale geguckt | |
und dazu wurden Nussecken gegessen. | |
Zwei Jahre später trat Raab sogar selbst an. [5][“Wadde hadde dudde da?]“: | |
Platz fünf. Doch seine Mission war noch nicht vollbracht. Er castete 2004 | |
für den deutschen Vorentscheid Max Mutzke, fuhr mit ihm nach Istanbul zum | |
Grand Prix – und wurde Achter. 2010 übernahm er dann gleich auch die | |
Vorauswahl: „Unser Song für Oslo“ wurde „Satellite“. Lena siegte in | |
Norwegen. Geht nicht gibt’s nicht. Raab ließ Lena sogar noch mal antreten. | |
Ziel: Titelverteidigung. Passend zu Raabs Credo: „Wenn Sie das richtig | |
machen, kriegen Sie das auch hin. Sie müssen nur die Eier haben, es zu | |
tun.“ | |
## Werbeveranstaltung für andere Projekte | |
Und Raab hatte Eier. Dicke Eier. Auch wenn es darum ging, zu zeigen, worauf | |
er keinen Bock mehr hat: „TV total“ zum Beispiel. Die Show, mit der sein | |
Aufstieg begann, ließ er zu einer Werbeveranstaltung für all seine anderen | |
Projekte verkümmern. Mancher Gast, der bei ihm auftrat, war zumindest | |
erstaunt, wie schlecht Raab vorbereitet war. Auch der „Bundesvision Song | |
Contest“, mit dem er ab 2005 den ESC angriff (bevor er ihn dann einfach | |
kaperte), war in seiner letzten Ausgabe nicht mehr als eine abgehangene | |
Musikveranstaltung. Und beim Turmspringen wurde das allerletzte | |
Castingshowpersonal vom Brett geschubst. | |
Zwischendurch düpierte auch noch der Kölner Kollege Jan Böhmermann den | |
Altmeister, indem er ihm ein vermeintliches Plagiat der „TV total“- und | |
„Schlag den Raab“-Rubrik „Blamieren oder kassieren“ aus China | |
[6][unterjubelte]. Minutenlang unterhielten sich Elton und Stefan Raab in | |
der Sendung über den dreisten Klau. „Blamielen oder kassielen“, witzelten | |
sie. Nur blöd, dass niemand geprüft hatte, ob das, was da auf Chinesisch | |
gebrabbelt wird, auch tatsächlich irgendeine chinesische Sprache ist und ob | |
es irgendeinen Sinn ergibt. Raab war auf seinem eigenen Spielfeld, der | |
Fernsehunterhaltung, vorgeführt worden. Blamielt quasi. | |
Das Licht war angeknipst worden. Die Reste ausgesoffen. Die Party vorbei. | |
Und Raab ist nicht der Typ, der einfach sitzenbleibt, bis er womöglich | |
hinauskomplementiert wird. | |
Was folgte, war der Kater: Nachdem Raab im Juni seinen Abgang erklärt | |
hatte, kündigte Brainpool 80 Mitarbeitern zum Jahresende. Keine Arbeit, | |
kein Job. So einfach ist das. Geht nichts, gibt’s nichts, dachte man wohl | |
bei Brainpool, das den deutschen Markt im Comedy-TV dominiert. 12,5 Prozent | |
der Firma gehören Raab. | |
## Der tiefste Kratzer | |
49 Mitarbeiter klagen nun gegen Brainpool – und damit auch gegen Raab, den | |
Teilhaber. Es ist der tiefste Kratzer in seiner Fernsehkarriere. Am 20. | |
November erklärte das Arbeitsgericht Köln zwei Kündigungen für unwirksam. | |
Brainpool konnte nicht belegen, warum die Arbeit eines Archivars und eines | |
Lohnbuchhalters durch den Wegfall der Raab-Produktionen nicht mehr | |
gebraucht würde. „Ich kann nicht, nur weil ein Auftrag wegfällt, dauerhaft | |
kündigen“, mahnte die Vorsitzende Richterin, die bei 9 weiteren Fällen | |
zusätzliche Unterlagen anforderte. 38 andere Kündigungen wer den demnächst | |
verhandelt. | |
Raab selbst war nicht vor Gericht. Er hält sich raus. Da gibt’s schließlich | |
nichts zu gewinnen für ihn. | |
Doch was, wenn es wieder etwas zu gewinnen gibt? Wenn wieder jemand zu | |
einer Idee von ihm sagt, dass der Markt dafür zu sei? Kann er dann | |
stillhalten? | |
Raab ist vor zwei Monaten 49 Jahre alt geworden. | |
19 Dec 2015 | |
## LINKS | |
[1] https://www.youtube.com/watch?v=5nuvPeNno5U | |
[2] https://www.youtube.com/watch?v=5qVDdLqZdMs | |
[3] https://www.youtube.com/watch?v=yxwXozLR2IA | |
[4] /!5079864/ | |
[5] https://www.tape.tv/stefan-raab/videos/wadde-hadde-dudde-da | |
[6] https://www.youtube.com/watch?v=wmGYbeywqC8 | |
## AUTOREN | |
Jürn Kruse | |
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