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# taz.de -- Was die COP21 verdrängt: Überblick über Unerhörtes
> Sie denken, bei Klimakonferenzen kommt alles auf den Tisch? Von wegen.
> Worüber auch in Paris laut geschwiegen wird.
Bild: CO2 und seine Ursachen. Rot: brennende Biomasse. Blau: Megacitys. Quelle:…
BERLIN taz | Kurz gesagt bedeutet die COP21: Zwei Wochen Zeit, 195 Staaten,
Tausende Delegierte und Lobbyisten. Man sollte meinen, auf einem
UN-Klimagipfel werde über alle wichtigen Fragen zum Klima verhandelt. Aber
manche Themen finden sich nicht auf der offiziellen Agenda. Ein Überblick:
Die 2-Grad-Grenze ist kaum noch zu halten. Beim aktuellen Emissionstrend
steigen die Temperaturen bis 2100 um 3 bis 5 Grad. Das einzige Szenario des
Klimarats IPCC, mit dem der Anstieg relativ sicher unter 2 Grad bleibt, ist
ziemlich unrealistisch: Es erfordert massiven Klimaschutz, sofort. Statt
einer Zunahme der Emissionen um jährlich 2 bis 3 Prozent müssten sie um 6
Prozent fallen. Das hat es in der Geschichte über längere Zeit noch nie
gegeben.
Die Weltbank hat ein anderes Tabu gebrochen und erklärt, die Grenze von 1,5
Grad sei kaum noch zu erreichen – die historischen Emissionen garantierten
praktisch diese Erwärmung. Wissenschaftler widersprechen: Rein theoretisch
könnten auch 1,5 Grad bis 2100 noch eingehalten werden, wenn es neben
echtem Klimaschutz bald „negative Emissionen“ gebe: Wenn also der Luft CO2
entzogen und gespeichert wird, in Wäldern oder über die umstrittene
CCS-Technik. Wie das gehen soll, weiß aber niemand.
Wer der Armut entkommt, macht Dreck. Wenn Staaten ihren Bürgern ein
besseres Leben bieten, heißt das bisher: mehr Emissionen von
Treibhausgasen. Wirtschaftswachstum, höheres Einkommen, bessere
Gesundheitsversorgung, Jobs ziehen bisher zwangsläufig höheren CO2-Ausstoß
nach sich, das zeigen alle Studien. Aber die Grafiken, die dies zeigen,
zensierten 2014 die Regierungen aus den Kurzfassungen der Berichte des
UN-Klimarats IPCC.
Vor allem Schwellenländer wie China und Indien wollen sich nicht daran
erinnern lassen, dass der eingeschlagene Weg aus der Armut genauso auf
Kosten der Atmosphäre geht wie der historische Reichtum der
Industrieländer.
Klimapolitik heißt Enteignung der Kohle- und Ölstaaten. Länder, deren
Ökonomie und Staatshaushalt auf fossilen Rohstoffen beruht (wie
Saudi-Arabien oder Russland), verlieren bei ehrgeiziger Klimapolitik ihre
Geschäftsgrundlage. Allein das Öl im Boden des Nahen und Mittleren Ostens
ist nach Schätzungen so viel wert wie der gesamte Kapitalstock aller
Unternehmen der Weltwirtschaft. Solche Bodenschätze wirft niemand mal eben
weg. Es wird also auf eine Kompensation für die Ölstaaten hinauslaufen –
politisch sehr schwer zu begründen.
Wachstum wird vorausgesetzt. Bis 2100 rechnen die Experten des IPCC mit
einem Wachstum der Weltwirtschaft um das Drei- bis Neunfache. Wie das in
einem biologischen System funktionieren soll, das bereits jetzt laut
„ökologischem Fußabdruck“ im August die erneuerbaren Ressourcen des
Planeten für das ganze Jahr aufgebraucht hat, ist eine offene Frage.
Andererseits: Ohne Wachstum bleiben ganze Landstriche in Afrika und Asien
in der Armutsfalle. Aber wie genau „grünes Wachstum“ aussehen kann, weiß
niemand.
Über Alternativen zum Kapitalismus wird nicht geredet. „Eine andere Welt“
im ökonomischen Sinn steht für die Klimaverhandler nicht zur Debatte. Alles
dreht sich um Modelle des Kapitalismus. Über einen Wandel zu anderen
Konsummustern, einer stärkeren Rolle des Staates, mehr Teilhabe der Bürger
oder andere Eigentumsformen wie Genossenschaften wird dagegen nur
inoffiziell geredet.
Die Länder Südamerikas, die das Konzept des „Buen Vivir“ vertreten, werden
belächelt. Was auch daran liegt, dass in der Realität diese Länder wie
Venezuela oder Bolivien von Öl und Bergbau ebenso abhängig sind wie
„normale“ Länder.
„Marktmechanismen“ funktionieren nicht. Der Markt sollte auch das
Klimaproblem lösen, tut es aber nicht: Wegen politischer Eingriffe und
falscher Rahmenbedingungen liegt der EU-Emissionshandel am Boden. „Clean
Development Mechanismus“ (CDM) und das ähnliche „Joint Implementation“, …
denen Geld aus Industrieländern den Klimaschutz in ärmeren Regionen
ankurbeln sollte, funktionieren auch nicht: CO2-Emissionen sind schlicht zu
billig. Trotzdem reden die Verhandler ungerührt weiter über „neue
Kohlenstoffmärkte“. Dabei hatte der Klimarat IPCC festgestellt: Was bisher
vor allem gewirkt hat, waren Grenzwerte und Verbote.
Steuern auf Kohlenstoff wären eine gute Idee. Wenn schon Kapitalismus, dann
richtig, sagen viele Wissenschaftler. Die Kosten, die Öl, Kohle und Gas in
der Umwelt und bei der Gesundheit verursachen – der Weltwährungsfonds
spricht von jährlich 5 Billionen Dollar – auf die Preise aufzuschlagen, mit
einer Steuer. Eine elegante Lösung wäre es vor allem für Schwellenländer,
ihren CO2-Austoß zu besteuern und mit dem Geld ihre Entwicklung zu
finanzieren. „Ohne den Einstieg in CO2-Steuern wird Paris scheitern“, sagt
der Potsdamer Klima-Ökonom Ottmar Edenhofer. Das aber wird es in Paris kaum
geben.
„Gerechtigkeit“ hieße Verzicht der Reichen. Im Grundsatz ist akzeptiert,
dass die Industriestaaten mehr und schneller ihre Emissionen reduzieren und
den Armen bei sauberer Entwicklung helfen müssen. In der Realität fehlt
eine Debatte darüber, worauf die reichen Ländern verzichten müssen. Es gilt
das Wort von US-Präsident George W. Bush vom Weltgipfel 1992 in Rio: „Der
amerikanische Lebensstil steht nicht zur Disposition.“
6 Dec 2015
## AUTOREN
Bernhard Pötter
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