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# taz.de -- Kommentar gescheiterte Olympiakampagne: Stinkseriöse Bürger
> Gegen Olympische Spiele hätten viele Hamburger nichts gehabt, gegen die
> unüberschaubaren Finanzrisiken dagegen einiges: Der Bürger als
> finanzpolitisches Korrektiv.
Bild: Erfolgreiche Mahnung: Zumindest olympische Schuldenberge bleiben Hamburg …
In Hamburg sagt man Nein. Nein zu Olympischen Spielen. Nein aber vor allem
zu einer Finanzierung, die allzu viele Fragen offen lässt.
Ironischerweise hat sich die Hamburger Bevölkerung als hanseatischer
erwiesen als die Wirtschaft in der Stadt, die ja aus allen Rohren für eine
Olympiabewerbung gefeuert hatte. Aber Hanseaten sind historisch sehr
konservative Geschäftsleute. Ihre Taschen machen sie auf, wenn ihnen ein
Investment als sicher erscheint. Und das tat diese Olympiabewerbung ganz
offenbar nicht. Die Hamburger waren nicht bereit, die beträchtlichen
Risiken aus ihrem Steuersäckel zu schultern.
Dabei hatte der Erste Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) ein ums andere Mal
beteuert, die Kosten für die Spiele seien scharf gerechnet und mit
großzügigen Puffern versehen. Es ist vielleicht ein bisschen ungerecht,
dass die Hamburger solchen Behauptungen seit dem Debakel um die
Elbphilharmonie eher reserviert begegnen, denn das hatte ja seinerzeit die
CDU verbockt, Olaf Scholz hat das Projekt geerbt und – bis auf weiteres –
gerettet. Allerdings unter Zuhilfenahme weiterer hunderter Millionen Euro.
Selbst Schuld ist der rot-grüne Senat dagegen an der Situation, dass die
HamburgerInnen nun über einen Kostenplan mit einer Unbekannten von mehreren
Milliarden Euro abstimmen mussten. Willkürlich hat die Stadt ihren
Eigenanteil an den Spielen bei 1,2 Milliarden Euro gedeckelt und schlicht
mitgeteilt, den Rest müsse eben der Bund stemmen. Eine entsprechende Zusage
oder auch nur ein deutliches Signal aus Berlin war aber zu diesem Zeitpunkt
nicht zu kriegen. Es war ein Fehler, das Referendum zu diesem frühen
Zeitpunkt abzuhalten, zu dem die versprochene Informationsbasis einfach
nicht zu schaffen war. Dass erst während der laufenden Abstimmung das
Nachhaltigkeitskonzept veröffentlicht und Einigung mit den Hafenbetrieben
erzielt wurde, die dem olympischen Dorf hätten weichen sollen, ist dagegen
fast eine Fußnote, die der Glaubwürdigkeit aber sicher nicht zuträglich
war.
Dass die Olympia-Fans nun beklagen, die Anschläge in Paris hätten ihnen die
Tour vermasselt, klingt wenig überzeugend: Hunderttausende hatten bereits
abgestimmt, als die Bomben vor dem Stade de France explodierten. Und dass
sie davor explodierten und nicht auf den Rängen, ist eher ein Beleg für
effiziente Sicherheitsmaßnahmen als dagegen. Der Terror mag ein paar
Menschen eingeschüchtert haben, andere werden sich gesagt haben: jetzt erst
recht! Selbst wenn die Anschläge ein paar Prozentpunkte gekostet haben
sollten, worauf die zuletzt sinkende Zustimmung in Umfragen hindeuten
könnte: Auch ohne sie hätten die Olympier allenfalls einen hauchdünnen Sieg
geholt, keinen mit dem man das IOC hätte begeistern können.
Man darf nicht den Fehler machen, die Zustimmung in Umfragen, die
zeitweilig bei über 60 Prozent gelegen hatte, mit Abstimmungsabsichten zu
verwechseln. Gerade Olympia ist ein Thema, bei dem man leicht auf der
emotionalen Ebene Menschen ansprechen kann. Das heißt nicht, dass sie
bereit wären, dafür an die Urne zu gehen. Wenn es ihnen dagegen ans
Portemonnaie geht, schon eher.
Haben nun die Zukunftsskeptiker gewonnen, wie es der Senat in den
vergangenen Wochen dargestellt hat? Die Verzagten, die selbstgenügsamen
Fortschrittsverweigerer, die Angstmacher, wie es von privaten
Olympia-Unterstützern zu hören ist? Und sind in einer Stadt wie Hamburg gar
keine großen Würfe, keine Projekte mehr möglich? Nein, gewonnen haben die,
die einen anderen Begriff von gesellschaftlichem Fortschritt haben als den
des schneller, höher, stärker. Jene, die nicht alles auf eine Karte setzen
und dafür hinterher Jahrzehnte lang zahlen wollten. Jene, die die
Stadtentwicklung einer ebenso gründlich diskreditierten wie
allmachtsbeanspruchenden Institution wie dem IOC nicht anvertrauen wollten.
Was spricht denn dagegen, nun auch ohne Olympia in aller Ruhe die Firmen
der ohnehin schwächelnden Hafenwirtschaft vom Kleinen Grasbrook umzusiedeln
– und zwar, wenn ihre Pachtverträge auslaufen und man ihnen nicht wegen des
Zeitdrucks üppige Ablösesummen zahlen muss? Und dann, wenn der letzte
Umschlagbetrieb umgezogen ist, in 20, 25 Jahren vielleicht, könnte man dort
in aller Ruhe einen neuen Innen-Stadtteil konzipieren, mit ordentlicher
Bürgerbeteiligung und allem Chichi. Die Erschließung könnte die Stadt aus
Grundstücksverkäufen finanzieren, vielleicht sogar die eine oder andere
Lehre aus der Erfahrung mit der Hafencity ziehen.
Nicht möglich sind in Hamburg Olympische Spiele, bei denen alle Risiken die
Stadt zu tragen hat. Und das ist auch gut so.
Es in Hamburg überhaupt schwer geworden, gegen das Volk zu regieren. Zum
zweiten Mal nach dem Rückkauf der Energienetze ist Olaf Scholz in einem
Volksentscheid unterlegen, der schwarz-grüne Senat ist vorher sogar über
die verlorene Primarschulreform zerbrochen. Neu ist, dass sich die
Regierung auch in einem Referendum von oben nicht durchsetzt - obwohl sie
den zeitlichen Ablauf und die Abstimmungsunterlagen zu ihrem Vorteil
gestalten konnte, obwohl sie eine millionenschwere Kampagne lanciert hat,
die von der Wirtschaft nach Kräften flankiert wurde und obwohl die Gegner
fast mittellos und heillos zerstritten waren. Man kann sich das Debakel
vorstellen, hätte annähernde Chancengleichheit geherrscht.
Das Hamburger Abendblatt beklagt nun schon, durch das „Nein“ zu Olympia
werde die Autorität des Senats geschwächt. Bei einem Senat, der bisweilen
autoritäre Anwandlungen hat, wäre das vielleicht gar nicht so verkehrt.
30 Nov 2015
## AUTOREN
Jan Kahlcke
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