# taz.de -- Bezahlung von Geflüchteten: Sie sind Gold wert | |
> Die Regulierung von Leiharbeit und Werkverträgen ist Arbeitgebern lästig, | |
> ebenso der Mindestlohn. Nun werden Geflüchtete instrumentalisiert. | |
Bild: Ghebru Aregay macht eine Ausbildung als Bäcker. Verdi kämpft gegen Ausn… | |
BERLIN taz | Gäbe es nicht so viele Flüchtlinge, dann müssten sie erfunden | |
werden. Den Arbeitgeberverbänden und ihren Hilfstruppen in der | |
Wissenschaft, der Politik und den Medien scheinen sie jedenfalls Gold wert | |
zu sein. Nicht, dass diese sich wirklich für das Schicksal der Geflüchteten | |
interessieren würden. Es geht um ihren ganz praktischen Nutzwert: sie sind | |
höchst willkommene ideologische Waffen der neoliberalen Propaganda. | |
Aktuelles Beispiel ist die Auseinandersetzung um Leiharbeit und | |
Werkverträge. „Den Missbrauch von Werkverträgen und Leiharbeit werden wir | |
verhindern“, lautet das Versprechen im Koalitionsvertrag. Entsprechend hat | |
Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) jetzt ein Gesetz auf den Weg | |
gebracht, das eine Regulierung vorsieht – wenn auch nur eine moderate, wie | |
die Gewerkschaften zu Recht kritisieren. Den Arbeitgebern geht das | |
allerdings schon viel zu weit. Sie wollen sich nicht gesetzlich | |
einschränken lassen. Das war auch schon vor der sogenannten | |
Flüchtlingskrise so. Doch nun versuchen sie, ihren Widerstand als | |
humanitären Akt zu verkaufen. | |
Bei Heike Göbel, dem publizistischen Sturmgeschütz unbeschränkter | |
wirtschaftlicher Freiheit, liest sich das in der FAZ so: Das geplante | |
Regelwerk schränke „die Flexibilität ein und errichtet fahrlässig Hürden, | |
die der Integration der Flüchtlinge schaden werden“. Und | |
CDU-Präsidiumsmitglied Jens Spahn findet, der Koalitionsvertrag sei „unter | |
völlig anderen Voraussetzungen entstanden“. Angesichts des „massiven | |
Flüchtlingszuzugs“ passe es „ganz und gar nicht, dass die SPD immer neue | |
Regulierungen bei Leiharbeit und Werkverträgen vorschlägt“. Noch hat Nahles | |
nur einen Referentenentwurf vorgelegt. Mal sehen, was am Ende davon übrig | |
bleiben wird. | |
Die Regulierung von Leiharbeit und Werkverträgen ist das dritte größere | |
Reformprojekt von Nahles – nach Mindestlohn und Rente mit 63 für langjährig | |
Beschäftigte. Beides steht ebenfalls im Visier der | |
Flüchtlingsinstrumentalisierer. So wollen die Bundesvereinigung der | |
Deutschen Arbeitgeberverbände und der Deutsche Industrie- und | |
Handelskammertag, dass Geflüchtete ebenso behandelt werden wie | |
Langzeitarbeitslose, die ein halbes Jahr lang unter dem Mindestlohn bezahlt | |
werden dürfen – wobei die Halbjahresfrist gleich auf zwölf Monate erhöht | |
werden könnte. | |
## Abschaffung des Mindestlohns | |
Noch weiter geht Hans-Werner Sinn, der Präsident des Münchner ifo | |
Instituts. „Wir sollten den Flüchtlingsstrom zum Anlass für eine neue | |
Agenda 2010 nehmen“, fordert er. Für ihn heißt das, den Mindestlohn einfach | |
wieder abzuschaffen. Und er ist dafür, das Rentenalter heraufzusetzen, „um | |
die Flüchtlinge zu ernähren“. | |
Nun könnte Sinn entgegengehalten werden, dass es wenig integrationsfördernd | |
ist, Menschen länger und zu Hungerlöhnen arbeiten zu lassen. Aber das | |
dürfte ihn wenig beeindrucken. Schließlich war er schon immer für ein | |
späteres Renteneintrittsalter und gegen den Mindestlohn. Es ist auch nicht | |
das erste Mal, dass er Ausländer als Argumentationshilfe | |
instrumentalisiert. Allerdings dienten ihm dazu früher die Arbeitsmigranten | |
aus Polen. „Die Regierung will deutsche Arbeitnehmer vor ‚Lohndumping‘ | |
schützen, doch sie schadet damit dem Land und treibt es weiter auf dem | |
Irrweg einer seit Jahrzehnten überzogenen Lohnpolitik voran“, wetterte Sinn | |
2005. | |
Denn den polnischen Arbeitskräften würde durch einen Mindestlohn | |
ermöglicht, „sich zum Schaden ihrer deutschen Arbeitgeber und Kunden in | |
Deutschland besser zu verkaufen, als es andernfalls möglich gewesen wäre“. | |
Allen Ernstes behauptete er damals: „Wer die Ausländer zwingt, zu | |
Tariflöhnen in Deutschland zu arbeiten, vertreibt die deutschen Firmen noch | |
schneller ins Ausland“. | |
Das klingt heute nach ziemlich grobem Unfug. Nichts dergleichen ist seit | |
der Einführung des Mindestlohns passiert. So müssen nun also die | |
Geflüchteten zur Verpackung des alten neoliberalen Unsinns herhalten. Ein | |
mieses Geschäft. | |
4 Dec 2015 | |
## AUTOREN | |
Pascal Beucker | |
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