# taz.de -- Schweden stoppt Flüchtlinge: Gestrandet in Lübeck | |
> Kontrollen an den Grenzen eingeführt: Wer keinen Pass hat, kommt nicht | |
> mehr auf die Fähre und erst recht nicht ins Land. | |
Bild: Ratlose Flüchtlinge am Fährterminal in Lübeck: Ihre Reise ist hier vor… | |
Abdul Karim A. wedelt mit seinem schwarz eingebundenen syrischen Pass. „Ich | |
weiß nicht, was ich machen soll“, sagt er zu einem Mann, der neben ihm | |
steht und aus dem Arabischen auf Englisch übersetzt. Sein Vater und sein | |
Bruder sind schon in Schweden. Der 27-Jährige möchte ihnen mit seiner | |
Familie hinterher reisen, aber seine Frau und seine drei Kinder haben keine | |
Pässe. Und seit Donnerstagmittag lässt die Fährgesellschaft TT-Line in | |
Lübeck-Travemünde nur noch Reisende mit gültigem Pass aufs Schiff. „Ich | |
kann nicht hierbleiben“, sagt A., „ich weiß nicht, was ich machen soll.“ | |
Schweden hatte am Mittwochabend angekündigt, am Donnerstag um 12 Uhr als | |
Reaktion auf die große Zahl von Flüchtlingen die Kontrollen an Grenzen | |
wieder einzuführen – erst mal für zehn Tage. Polizisten wurden in die | |
südliche Provinz Skåne geschickt, um die Pässe von Reisenden zu | |
kontrollieren. | |
Kontrolliert wird vorerst nur, wer aus Deutschland und Dänemark kommt. Der | |
Auto- und Zugverkehr über die Øresundbrücke, die Kopenhagen und Malmö | |
miteinander verbindet und der einzige Landweg zwischen Dänemark und | |
Schweden ist, wird von der Grenzpolizei stichprobenartig überprüft. | |
Außerdem sind die Fährverbindungen zwischen Dänemark, Deutschland und | |
Schweden betroffen. | |
„Bislang ist der Stand, dass sie einen Ausweis haben müssen und Schweden | |
kontrolliert“, sagt eine Mitarbeiterin im Büro der Fährlinie am | |
Skandinavienkai. „Wir warten auch auf Informationen“, schiebt sie | |
entschuldigend hinterher. Dicht an dicht drängen sich die Flüchtlinge in | |
dem Raum um einen Mann in gelber Warnweste. „Refugees Welcome“ steht auf | |
seiner Weste. Viele halten ihre Pässe in der Hand, aber eben nicht alle. | |
Wajih Tayba gehört zu den Unterstützern des Flüchtlingsforums Lübeck, die | |
im selbstverwalteten Zentrum Alternative auf der Wallhalbinsel „Walli“ in | |
Lübeck den Flüchtlingen bei der Weiterreise nach Schweden helfen. Bisher | |
haben sie rund 12.000 Tickets gekauft und dafür 400.000 Euro Spenden | |
gesammelt. Bisher hat die Weiterreise auch immer geklappt. Heute geht es | |
nur für einen Teil der Flüchtlinge weiter. | |
## Begehrte Tickets | |
Tayba sammelt die schwarzen Pässe ein und gibt sie einem älteren | |
Mitarbeiter des Fährunternehmens. Der stapelt sie zu einem kleinem Turm auf | |
seinem Schreibtisch. 28 Pässe. Auf der Liste vor ihm stehen 50 Namen. So | |
viele Tickets hatten die Helfer in einer Sammelbestellung gebucht. Langsam | |
fährt der Mitarbeiter mit einem Stift die Namen auf der Liste ab. Macht | |
Kreuze bei denen, die eines der begehrten Tickets bekommen. Was mit den | |
übrigen Menschen passiert, weiß er auch nicht. | |
„Einige haben Einreisedokumente aus Griechenland“, sagt Arno Gerß, ein | |
anderer Unterstützer. Den Mitarbeitern der Fährlinie reicht das aber nicht. | |
Im schlechtesten Fall dürften die Flüchtlinge mit diesen Papieren, obwohl | |
ein offizieller Stempel der Behörden und ein Lichtbild darauf sind, in | |
Schweden nicht an Land gehen und müssten wieder zurück nach Deutschland. | |
„Aber viele der Leute hier haben einfach keine anderen Papiere“, sagt Gerß. | |
Während die Männer versuchen, Fahrkarten zu organisieren, sitzen in der | |
Wartehalle vor allem Frauen und Kinder in den weißen Sitzschalen. Die | |
Unterstützer buchen bevorzugt Fährtickets für Familien. Jeden Tag stellen | |
die Reedereien nur ein bestimmtes Kontingent an Plätzen zur Verfügung. Die | |
Kinder sollen möglichst schnell in ihrem neuen Zuhause ankommen. „Es ist | |
schlimm, dass sie so kurz vor dem Ziel ausgebremst werden“, sagt ein | |
Helfer. | |
Um kurz nach zwei Uhr am Nachmittag haben die Unterstützer alle 28 Tickets | |
verteilt. Im Bus soll es für die Flüchtlinge Richtung Fähre gehen. Um drei | |
Uhr legt sie ab. Gerß versucht, auch die übrigen Flüchtlinge, die, die | |
keinen Pass haben, auf das Schiff zu bekommen. Mittlerweile sind auch zwei | |
Polizisten im Büro und beobachten die Situation. Beharrlich redet Gerß auf | |
einen Mitarbeiter ein, bietet sogar an, dass das Flüchtlingsforum die | |
Tickets bezahlt, sollten die Menschen zurückgeschickt werden. Ohne Erfolg. | |
Aber die Mitarbeiter der Fährgesellschaft wollen sich informieren, welche | |
Dokumente für die Einreise ausreichen – bei der nächsten Fahrt. „Wir kön… | |
sonst nichts tun“, sagt eine Mitarbeiterin. | |
Die Helfer fahren mit den gestrandeten Flüchtlingen erst einmal im Bus | |
zurück auf die Walli. Dort gibt es Linseneintopf und Liegen, auf denen sich | |
die Menschen ausruhen können. Gegen 18 Uhr machen sich Helfer und | |
Flüchtlinge dann in zwei Kleinbussen wieder auf gen Fährterminal. Sie | |
wollen versuchen, doch noch eine Fähre zu erwischen. „Und wenn die | |
Flüchtlinge protestieren, sind wir auch damit solidarisch“, sagt Gerß. „W… | |
können uns nicht vorstellen, dass sich die Leute von geschlossenen Grenzen | |
abhalten lassen“, sagt er. Schließlich hätten sie ihre Flucht nur mit | |
großer Entschlossenheit geschafft. Auch Abdul Karim A. will versuchen, mit | |
seiner Familie auf die nächste Fähre zu kommen. Solange, bis die Grenzen | |
wieder offen sind. | |
12 Nov 2015 | |
## AUTOREN | |
Andrea Scharpen | |
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