# taz.de -- Bundestagsdebatte über Sterbehilfe: Vier Wege zu einem würdevolle… | |
> Sterbehilfe – ja oder nein? Am Freitag wird über vier Gesetzesinitiativen | |
> abgestimmt. Die WortführerInnen erläutern ihre Positionen in der taz. | |
Bild: Durch die Hand oder an der Hand eines anderen sterben? | |
Am Freitag entscheidet der Bundestag, ob und wie die Sterbehilfe in | |
Deutschland gesetzlich neu geregelt werden soll. Dabei geht es nur um die | |
Frage, ob die Beihilfe zur Selbsttötung künftig strafbar sein soll. | |
Beihilfe zur Selbsttötung meint, dass Angehörige, Ärzte oder Sterbehelfer | |
einem Suizidwilligen beispielsweise ein todbringendes Medikament | |
überlassen, das dieser dann selbst einnimmt. | |
Derzeit sind der Suizid wie auch die Beihilfe zum Suizid in Deutschland | |
erlaubt. Andere Bereiche der Sterbehilfe – wie etwa die in Deutschland | |
verbotene Tötung auf Verlangen – stehen nicht zur Debatte. Bei der | |
Abstimmung über die vier Gesetzentwürfe gibt es keinen Fraktionszwang. | |
1. Verbot der Suizidhilfe: Das fordert eine Gruppe um den CDU-Politiker | |
Patrick Sensburg. Anstiftung oder Hilfe bei der Selbsttötung soll mit bis | |
zu fünf Jahren Haft bestraft werden. | |
2. Verbot geschäftsmäßiger Suizidbeihilfe: Eine Gruppe um die Abgeordnete | |
Kerstin Griese (SPD) will kein Komplett-Verbot, aber die geschäftsmäßige, | |
also auf Wiederholung ausgerichtete Suizidhilfe mit bis zu drei Jahren Haft | |
bestrafen, egal, ob sie von Einzelpersonen oder Vereinen geleistet wird. | |
Dieser Entwurf hat die bislang größte Unterstützung. 270 Abgeordnete haben | |
sich dafür ausgesprochen, darunter Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und | |
Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) sowie die Fraktionsvorsitzenden von Union | |
und SPD und die Grünen-Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt. | |
Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) wiederum äußerte Vorbehalte gegen den | |
Entwurf. | |
3. Regelung zum ärztlich assistierten Suizid: Die Gruppe um Peter Hintze | |
(CDU) will Ärzten die Suizidhilfe für bestimmte Patientengruppen | |
ausdrücklich erlauben – und dies im Bürgerlichen Gesetzbuch festschreiben. | |
Derzeit ist die Suizidhilfe den Ärzten in etwa der Hälfte aller | |
Landesärztekammerbezirke standesrechtlich untersagt. | |
4. Erlaubnis für Sterbehilfe-Vereine: Dafür steht die Gruppe um Renate | |
Künast (Grüne). Sie will gewerbsmäßige, kommerziell ausgerichtete | |
Sterbehilfe verbieten, lediglich organisierte Suizidhilfe ohne | |
Gewinnabsicht aber erhalten. | |
Keinen Gesetzentwurf, aber einen Antrag zur Abstimmung hat Katja Keul | |
(Grüne) eingebracht: Danach soll der Bundestag beschließen, dass es weder | |
Bedarf für ein Verbot noch für eine Regulierung organisierter | |
Suizidassistenz gibt. Kurz: Es soll alles beim Alten bleiben. | |
Im Folgenden die Positionen der vier WortführerInnen: | |
+++ Patrick Sensburg (CDU) +++ | |
Wir sprechen uns mit unserem Gesetzesvorschlag für ein Verbot der Teilnahme | |
am Suizid eines anderen Menschen aus. Wie schon der ehemalige | |
Bundespräsident Horst Köhler betont hat, soll ein Mensch nicht durch die | |
Hand eines anderen sterben, sondern an der Hand eines anderen. Eine humane | |
Tat ist es, dem anderen in seiner Not beizustehen, ihn zu pflegen, ihm Zeit | |
zu widmen, ihn zu begleiten. Der assistierte Suizid ist aber keine | |
Sterbebegleitung, sondern das Beenden des Lebens, in Fällen, in denen der | |
Tod noch nicht von alleine kommt. | |
Wir sprechen uns vielmehr für eine weitere Stärkung der Hospiz- und | |
Palliativmedizin aus. Mit den Fortschritten in der heutigen Medizin, | |
insbesondere der Schmerzmedizin, muss heute kein Mensch unter Schmerzen | |
sterben. Bis hin zur palliativen Sedierung gibt es heute eine Vielzahl von | |
Hilfen, die ein Palliativteam mit dem Patienten besprechen kann. Patienten | |
können unter diesen Voraussetzungen auch wirklich selbst entscheiden, ob | |
sie bestimmte Behandlungsmethoden oder Medikamente ablehnen und damit einen | |
„natürlichen“ Tod wünschen. | |
Sollte es zu keinem Verbot kommen, besteht jedoch die Sorge, dass | |
lebenserhaltende Therapie und Pflege mit unterstütztem Suizid | |
gleichgestellt werden. Der Patient, der sich für die Lebenserhaltung mit | |
großem Aufwand entscheidet, wird dann den Angehörigen und der Gesellschaft | |
gegenüber begründungspflichtig, wie dies in den Niederlanden beispielsweise | |
bereits der Fall ist. | |
In den drei anderen Entwürfen geht es nicht nur um die Regelung von | |
Suizidhilfe in der letzten Lebensphase bei schwerer Krankheit und großen | |
Schmerzen, sondern es geht um die gesetzliche Regelung der Hilfe zur | |
Selbsttötung ganz allgemein. Dies geht deutlich über die Anliegen des | |
Gesetzgebungsverfahrens hinaus. Unser Entwurf berücksichtigt aber auch | |
diese Extremsituationen bei großem Leid, indem die Suizidbeihilfe unter | |
diesen Umständen ausnahmsweise im Einzelfall entschuldigt sein kann. | |
Alle anderen Fälle wollen wir aber nicht erlauben. Vergleichbare Regelungen | |
haben wir in vielen anderen EU-Ländern. Vor wenigen Wochen hat sich das | |
Britische Unterhaus mit 330 zu 118 Stimmen gegen Sterbehilfe ausgesprochen. | |
+++ Renate Künast (Grüne) +++ | |
Dürfen wir Menschen dazu zwingen, einen leidvollen Weg bis zum Ende gehen | |
zu müssen? Nein. Es steht uns nicht zu, über die Existenz des Menschen zu | |
entscheiden. | |
Besorgniserregend an Roger Kuschs Idee, Suizidassistenz durch eine GmbH | |
anzubieten, war doch vor allem, dass er mit seiner Tätigkeit Geld verdienen | |
wollte. Diese systematische und umfangreiche Art, mit Hilfe zum Suizid Geld | |
zu verdienen, verbietet unser Gesetzentwurf. Damit die Beratung nicht durch | |
finanzielle Interessen getrieben wird. Alle anderen Handlungen bleiben | |
straffrei. Wir liberalisieren die heutige Rechtslage nicht, wollen aber | |
Rechtssicherheit schaffen und die Beratungs- und Dokumentationspflichten | |
sichern. | |
Ja, wir finden es richtig, dass weiterhin Organisationen, wenn sie nicht | |
gewerbsmäßig handeln, Hilfe zur freiverantwortlichen Selbsttötung anbieten | |
dürfen. Nicht jeder Mensch hat Familienmitglieder, die er in solch einem | |
schweren Moment um Hilfe bitten kann oder will. In einer Zeit großer Not | |
muss es Fürsorge und Gespräche geben, die Betroffenen dürfen nicht allein | |
gelassen werden. | |
Auch findet hier Präventionsarbeit statt, die nicht durch ein Gesetz | |
verboten werden darf, das schon jedes professionelle Beratungsgespräch zu | |
einer strafbaren Vorbereitungstat macht. | |
Der Gesetzentwurf von Brand/Griese bedroht Ärztinnen und Ärzte mit | |
Ermittlungsverfahren und Haftstrafen. Das betrifft uns alle. Bislang darf | |
in unserem säkularen Staat jeder Mensch über sein Leben frei verfügen. | |
Diese Selbstbestimmung lässt verzweifelten Menschen die Möglichkeit offen, | |
selbst zu bestimmen, wann Schluss sein soll. Ihnen per Gesetz das offene | |
Beratungsgespräch mit der Hausärztin zu nehmen und sie zur Fahrt in die | |
Schweiz oder zum Sturz auf die Bahngleise zu nötigen, wäre in höchstem Maße | |
unethisch. | |
Und wo ist eigentlich der Beleg für die Zunahme von Selbsttötungen? Die | |
Hilfe zum Suizid ist seit 1871 straffrei. Das angebliche Massenphänomen | |
häufiger Suizide müsste es also längst geben. | |
Wir stimmen also nicht nur darüber ab, ob Hilfe zur Selbsttötung straffrei | |
bleiben soll. Sondern ob wir unserer Neutralitätspflicht genügen und die | |
Selbstbestimmung des Einzelnen respektieren! | |
+++ Kerstin Griese (SPD) +++ | |
Unser Gesetzentwurf beschreitet einen Weg der Mitte. Er ändert nur so viel | |
wie nötig und so wenig wie möglich an der bestehenden Rechtslage. Der | |
Suizid und die Beihilfe dazu bleiben auch in Zukunft straffrei. | |
Mir geht es darum, die Aktivitäten von Sterbehilfevereinen oder | |
Einzelpersonen zu unterbinden, die die Suizidassistenz bewusst und gewollt | |
zum regelmäßigen Gegenstand ihrer Tätigkeit machen und geschäftsmäßig die | |
Selbsttötung fördern. Die Suizidbeihilfe, wie sie von Vereinen wie | |
„Sterbehilfe Deutschland“ angeboten wird, darf sich niemals als „normale | |
Dienstleistung“ etablieren, die eine zusätzliche Nachfrage erzeugt. Diese | |
Gefahr sehe ich, wenn ich mir einige europäische Nachbarländer anschaue. | |
Unser von Abgeordneten aller Fraktionen vorgeschlagenes Gesetz steht für | |
Selbstbestimmung. Ich will keine Gesellschaft, in der Menschen sich | |
rechtfertigen müssen, wenn sie weiter leben möchten. Das Verbot der | |
geschäftsmäßigen Suizidbeihilfe schützt den Einzelnen vor übereilten oder | |
fremdbestimmten Sterbewünschen. Mir ist wichtig: Die Achtung vor dem Leben | |
gilt auch für das alte, kranke, leidende und behinderte Leben. | |
Die Tätigkeit von Ärztinnen und Ärzten, wie sie in der Hospizarbeit, der | |
Palliativmedizin und der Behandlung von Schwerkranken stattfindet, ist nach | |
der von uns vorgeschlagenen gesetzlichen Neuregelung nicht strafbar. Dies | |
gilt auch für die ethisch begründete Gewissensentscheidung von ÄrztIn und | |
PatientIn im Einzelfall, die so weit gehen kann, dass die MedizinerIn der | |
PatientIn hilft, einen für sie nicht mehr erträglichen Leidenszustand zu | |
beenden. Mir ist wichtig, dass der ärztliche Freiraum unverändert erhalten | |
bleibt. | |
Die Hilfe beim Sterben, wie sie in der ambulanten und stationären | |
Hospizarbeit und in der Palliativmedizin so segensreich praktiziert wird, | |
ist aus meiner Sicht der richtige Weg – nicht die Ausweitung der Hilfe zum | |
Sterben oder gar die Hilfe zum Töten. Wir wollen den Raum für | |
Gewissensentscheidungen erhalten, aber es dürfen keine Anreize für die | |
Selbsttötung geschaffen werden. Wir wollen eine sorgende Gesellschaft. | |
+++ Peter Hintze (CDU) +++ | |
Ich bin für eine zivilrechtliche Regelung, die es volljährigen und | |
einwilligungsfähigen Patienten erlaubt, ihren Arzt um freiwillige | |
Suizidhilfe zu bitten. Voraussetzung sind eine tödliche Erkrankung, die | |
Bestätigung durch einen zweiten Arzt sowie eine umfassende Beratung über | |
palliative Alternativen. | |
Es geht um die Fälle, in denen es nicht um das Ob, sondern um das Wie des | |
Sterbens geht, ob also ein Mensch qualvoll sterben muss oder friedlich | |
entschlafen kann. Es wäre ein Verstoß gegen die Menschenwürde, wenn aus dem | |
Schutz des Lebens ein Zwang zum Qualtod würde. | |
Unsere Rechtsordnung geht von der Selbstbestimmung auch am Lebensende aus. | |
Die Suizidhilfe ist straflos. Jeder darf eine lebensnotwendige Behandlung | |
verweigern, auch durch eine Patientenverfügung. Damit schwer leidende | |
Menschen ihr Recht wirksam ausüben können, bedarf es einer Regelung, da das | |
ärztliche Berufsrecht in der Mehrzahl der Landesärztekammern ein Verbot der | |
Suizidhilfe vorsieht. | |
Eine Neubestrafung der „geschäftsmäßigen“ Suizidhilfe, wie sie mit dem | |
Gesetzentwurf Brand/Griese droht, würde Ärzte in die Gefahr | |
strafrechtlicher Ermittlungen bringen. Strafbar wäre, wer auch nur einmal | |
mit Wiederholungsabsicht handelt. Ärzte, die nur in sehr wenigen | |
Ausnahmefällen Suizidhilfe leisten, gerieten automatisch in das Visier der | |
Staatsanwaltschaft, die ermitteln müsste. Das würde das | |
Arzt-Patient-Verhältnis zerstören. Zum scharfen Schwert des Strafrechts | |
darf der Staat nur greifen, wenn sich Gefahren für wichtige Rechtsgüter | |
empirisch feststellen lassen. Hieran fehlt es bei der Suizidhilfe. | |
Die Fallzahlen in den Staaten, in denen die ärztliche Suizidhilfe erlaubt | |
ist, sind konstant niedrig. Sterbehilfevereine spielen in Deutschland seit | |
Jahren eine marginale Rolle. Im wertneutralen Staat des Grundgesetzes | |
verbietet es sich, moralische Mindermeinungen per Strafrecht gegen die | |
Bevölkerung durchzusetzen. Das zerstört den Rechtsfrieden. Deshalb sage ich | |
mit der Bevölkerungsmehrheit, vielen Ärzten und fast allen deutschen | |
Strafrechtslehrer/innen Nein zur Strafverschärfung. | |
6 Nov 2015 | |
## AUTOREN | |
Heike Haarhoff | |
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