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# taz.de -- Managementforscher über Firmenkultur: „VW ist nicht Katastrophe …
> Mitarbeiter, die Missstände in ihrem Haus kritisieren, werden selten
> geschätzt. Johannes Ludwig fordert deshalb Gesetze, die Whistleblower
> begünstigen.
Bild: Wer ist er? Was weiß er? Und was bewirkt das?
taz: Herr Ludwig, wo hätten Sie sich zuletzt einen Whistleblower gewünscht?
Johannes Ludwig: In sehr vielen Bereichen. Aber ganz aktuell in der
VW-Geschichte.
Was hätte ein Whistleblower denn da erreichen können?
Soweit wir wissen, gab es ja sogar einen oder mehrere Whistleblower. Also
Mitarbeiter, die intern Alarm geschlagen haben und das Problem
manipulierter Abgaswerte zur Sprache bringen wollten. Aber – typisch für
die Firmenkultur von VW – das ist wohl ziemlich früh abgewürgt worden.
Warum typisch?
Es ist ja nicht der erste Fall. Es gab schon früher einen Whistleblower,
der auf Fälle von Korruption und Bordellreisen aufmerksam machte. Der hat
bei einer Ebene nach der anderen versucht, Gehör zu finden. Erfolglos. Dann
hat er sich ein paar Aktien von VW gekauft, ist auf die Hauptversammlung
gegangen und hat dort gesprochen. Am nächsten Tag war er seinen Job los.
Das ist die Kultur bei VW.
Wie entsteht so eine Art von Unternehmenskultur?
Zum Beispiel durch aggressive Ziele. Winterkorn wollte VW zum größten
Autobauer der Welt machen und dieses Ziel wurde mit viel Druck und ohne
Rücksicht auf Verluste durchgedrückt. Und die Kultur geht bei VW noch
weiter zurück. Mitte der 90er gab es die Lopéz-Affäre, wo ein neu
eingekaufter Vorstand geheime Unterlagen mit zur Konkurrenz genommen hat.
Man kann fast sagen, alle fünf bis zehn Jahre gibt es bei VW ein größeres
Problem. Und bislang haben sie es nie geschafft oder gewollt, die Kultur zu
verändern.
Ist VW eine Ausnahme?
Leider nicht. Die negative Kultur des Drucks und der Kritikunfähigkeit
ist hierzulande der Regelfall. Viele Unternehmen stellen ganz klar: Sie
wollen keine Whistleblower. Und damit haben Leute von unten, die etwas
kritisieren wollen, keine Chance.
Sie sprechen von oben und unten. Welche Rolle spielen Hierarchien?
Eine hierarchische Kultur begünstigt in der Regel das Schweigen. Auch, weil
die Mentalität vorherrscht: Ich habe meinen Job, ich werde bezahlt, alles
andere interessiert mich nicht. Die Voraussetzung für Whistleblowing ist
aber, dass sich jemand verantwortlich fühlt. Mitarbeiter müssen nicht nur
das Problem als Problem wahrnehmen, sondern auch das Gefühl haben, dass es
wichtig ist, etwas zu ändern. Und nicht zu glauben, sie wären nicht
zuständig. Dabei müssten gerade die Mitarbeiter ein Interesse daran haben,
dass alles sauber läuft. Sonst wird es, das wird sich bei VW bald zeigen,
einiges an Arbeitsplätzen kosten.
Vielleicht nehmen die Mitarbeiter die Probleme gar nicht wahr.
Doch. Die meisten Menschen haben ein sehr gesundes Unrechtsbewusstsein.
Aber sie trauen sich nicht, etwas zu sagen oder wissen nicht, an wen sie
sich wenden sollen. Dann gibt es die Minderheit derer, die völlig blind und
taub durchs Leben gehen und von Problemen gar nichts mitkriegen. Und die
allerkleinste Gruppe: Die Leute, die etwas sehen und dann auch was sagen.
Warum sind das so wenige?
In Deutschland ist Whistleblowing nicht erwünscht. Es gibt keine
Schutzgesetze und auch keine Regelungen, die Kompensationen vorsehen für
das, was Whistleblower aufs Spiel setzen. Häufig werden sie in der gesamten
Branche gemieden. Die USA sind hier weiter.
Gerade die USA? Die Whistleblower regelmäßig ins Gefängnis stecken?
Wenn es um ihre Geheimdienste und die nationale Sicherheit geht. Aber in
der Wirtschaft gibt es eine sehr positive Whistleblower-Kultur. Wer hier
etwas verrät, das zu Strafen für ein Unternehmen führt, bekommt sogar einen
Anteil der Summe – das können auch mal Millionen sein. Aber auch die
Unternehmen selbst haben ein großes Interesse daran, zu erfahren, was bei
ihnen schiefläuft. Denn sonst kann es zu schmerzhaften Schadenersatzklagen
kommen.
Warum ist das in Deutschland anders?
Das liegt am Verständnis von Staat und Gesellschaft. In den USA ist die
Bevölkerung die wichtigste Instanz, Staatsdiener werden als Angestellte des
Volkes empfunden. Hier ist das anders, es herrscht – auch als Relikt aus
den vergangenen Diktaturen – noch ein starkes Obrigkeitsdenken vor, gerade
in den älteren Generationen. Und auch bei den jüngeren wird der Staat
empfunden als etwas, das eine Art Eigenleben hat. Unvermeidbar, man muss
sich halt damit abfinden. Dass die Staatsangestellten eigentlich für die
Bevölkerung da sind, das ist einem deutschen Beamten kaum klarzumachen.
Lässt sich das ändern?
In Unternehmen kann ein fundamentaler Kulturwechsel nur von Leuten
ausgehen, die nicht Bestandteil des Problems, also des alten Systems waren.
Und wenn das auf den unteren Ebenen nicht durchzusetzen ist, muss man sich
eben von Leuten, die das nicht mittragen wollen, trennen. Man muss das
praktisch leben und auch die Unternehmensspitze muss es vorleben. Was nicht
reicht, ist der beliebte Weg, einfach ein Regelwerk auf die Website zu
stellen. Und eine Compliance-Abteilung, die darauf schauen soll, dass
Regeln und Gesetze eingehalten werden, gab es auch bei VW. Was haben die
gemacht?
Während sich eine Unternehmenskultur immerhin mit einem neuen Chef ändern
lässt – wie ist das mit einer Gesellschaftskultur?
Ein guter Anfang wäre ein klares Signal aus der Politik, dass sie
Whisteblowing und die ganze Kultur dahinter will.
Also ein Gesetz.
Genau. Das können ganz kleine Sachen sein und auch schon auf Landesebene.
Zum Beispiel, dass Aufträge von der öffentlichen Hand nur an Unternehmen
gehen dürfen, wenn deren internes Regelwerk vorsieht, Whistleblower nicht
zu sanktionieren. Bei staatlichen oder halbstaatlichen Unternehmen lässt
sich etwa ein Kündigungsschutz sogar von heute auf morgen umsetzen.
Die Bundesregierung hat bislang Vorgaben zum Schutz von Whistleblowern –
sei es vom Europarat oder den G 20 – weitgehend ignoriert.
Das ist wenig überraschend. Schließlich ist die Voraussetzung für eine
positive Kultur der Kritik die Bereitschaft, eigenes Handeln zu
hinterfragen. Nicht nur, was das Ziel angeht, sondern auch, ob der Weg
sinnvoll ist. Das ist aber nicht gerade eine Stärke der Politik.
Was würde helfen?
Das klingt jetzt makaber, aber: VW ist noch nicht Katastrophe genug, um ein
Bewusstsein dafür zu schaffen, was Whistleblower verhindern können. In
Großbritannien brauchte es einen schweren Zugunfall, eine Bankenpleite und
den Untergang einer Fähre, bis die Politik ein Schutzgesetz verabschiedete.
Da war klar: Das hätte verhindert werden können, hätte jemand aus den
Unternehmen etwas gesagt und wäre gehört worden. Und das waren damals die
Konservativen, die das verabschiedet haben.
Die Enthüllungsplattform Wikileaks hat kürzlich Prämien ausgesetzt. Wer
Dokumente aus den Verhandlungen über das Freihandelsabkommen TTIP
weitergibt, soll 100.000 Euro bekommen.
Das ist sicher nicht der Idealfall, aber gerade bei solchen harten
Geschichten finde ich das absolut vertretbar. Die Polizei setzt schließlich
auch manchmal eine Belohnung aus, wenn sie bei Ermittlungen nicht
weiterkommt. Und nüchtern gesehen: Whistleblower sind häufig in der
gesamten Branche verbrannt. Ein bisschen Geld ist das Mindeste, um die
erste Zeit zu überbrücken.
Aktuell wird ein Straftatbestand der Datenhehlerei eingeführt. Damit macht
sich voraussichtlich eine Mittelsperson strafbar, die Dokumente von einem
Informanten an einen Journalisten weiterleitet. Ist das ein häufiger Weg?
Ja, und wenn das so kommt, wäre das in der Tat ein Problem. Im
Whistleblower-Netzwerk arbeiten wir häufig mit Mittelspersonen. Das kann
für beide Seiten ein großer Vorteil sein: Der Informant wahrt seine
Anonymität und wir wissen, ob wir dem Vermittler und seinen Informationen
trauen können. Zudem sollte man den Abschreckungseffekt einer solchen
Regelung nicht unterschätzen: Durch Edward Snowden wissen die meisten Leute
zwar, was ein Whistleblower ist. Aber sie machen sich nicht klar, dass auch
im Kleinen, an ihrem Arbeitsplatz, in ihrer Behörde Sachen passieren
können, von denen die Öffentlichkeit genauso erfahren sollte. Ein
politisches Signal, dass so etwas nicht erwünscht ist, wird potenzielle
Informanten zusätzlich bremsen.
23 Oct 2015
## AUTOREN
Svenja Bergt
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