# taz.de -- Aktion am Welthungertag: Tafel im Regen | |
> Mit einem Bankett geretteten Essens machen Aktivisten auf die | |
> Lebensmittelverschwendung in Deutschland aufmerksam. | |
Bild: Lebensmittel, die für den Müll bestimmt waren. | |
BERLIN taz | 18 Millionen Tonnen Nahrungsmittel landen in Deutschland | |
jährlich auf dem Müll. Das ist ungefähr ein Drittel der bundesweiten | |
Nahrungsmittelproduktion. Für die Supermärkte springt dabei meistens mehr | |
Geld heraus, weil mehr Produkte neu gekauft werden müssen, und außerdem ein | |
vielfältiges Angebot zu jeder Saison und jeder Uhrzeit möglich ist. | |
Vor dem Bundestag haben sich deshalb am Freitag Organisationen | |
zusammengetan, um ein Bankett gegen die Verschwendung zu veranstalten. Das | |
Wetter spielt nicht wirklich mit: es regnet in Strömen – aber die riesige | |
Tafel wird allem Regen zum Trotz mit Kerzen und Silberplateaus bedeckt. Und | |
vor allem mit bunten Backwaren, Früchten und Gemüsesorten. Beim Anblick der | |
Tafel stutzen die Passanten: Diese Lebensmittel sind eigentlich für die | |
Mülltonne bestimmt. Einige Früchte sind etwas angeschlagen, mancher | |
Brotlaib schon ein bisschen trocken, die meisten von ihnen jedoch in | |
einwandfrei frischem Zustand. Die sogenannten Essenretter der Organisation | |
Foodsharing haben sie bei Supermärkten abgeholt, die diese Lebensmittel | |
nicht mehr verkaufen und sie sonst wegwerfen würden. | |
Unter einem Regenschirm kommt Maria Flachsbarth, CDU-Abgeordnete und | |
Staatssekretärin für Ernährung und Landwirtschaft, zu dem Bankett. Sie | |
wirbt für das Regierungsprogramm „Zu gut für die Tonne“, in dem Verbrauch… | |
animiert werden sollen, bewusster einzukaufen und weniger Lebensmittel | |
wegzuwerfen. Doch dem Bündnis „Leere Tonne“, das aus Organisationen wie | |
Foodsharing, Misereor, Aktion Agrar und BundJugend besteht, geht das nicht | |
weit genug. Für die Aktivisten fängt das Problem der Verschwendung nicht | |
nur bei den Verbrauchern, sondern vor allem bei den Supermärkten an. | |
„Frau Flachsbarth setzt auf die Freiwilligkeitsstrategie“, bemängelt Jutta | |
Sundermann von der Aktion Agrar. Die Supermärkte stünden aber in Konkurrenz | |
zueinander. Keiner würde freiwillig die Verschwendung einschränken - aus | |
Angst, hinter den Konkurrenten zurückzubleiben oder Verluste zu machen, | |
erklärt Sundermann. „Wir brauchen daher eine gesetzliche Regelung“, | |
schließt sie. | |
Die Lebensmittelverschwendung hat globale Auswirkungen | |
Für diese Forderung sammelt das Bündnis derzeit Unterschriften - 30.000 | |
sind bereits zusammengekommen; die Petition läuft noch. Vorbild für eine | |
gesetzliche Regelung der Nahrungsmittelentsorgung soll der gesetzliche | |
[1][Wegwerfstopp in Frankreich] sein, der bisher aus formalen Gründen noch | |
nicht rechtskräftig werden konnte. Supermärkte dürfen demnach keine | |
Lebensmittel mehr wegwerfen, sondern müssen mit gemeinnützigen | |
Organisationen kooperieren. | |
Flachsbarth nimmt außerdem Unterschriften von einer Petition zum | |
Wegwerfstopp entgegen, die von der Organisation Misereor gesammelt wurden. | |
Die Essenstüte mit den geretteten Lebensmitteln möchte sie allerdings | |
lieber nicht haben – sie müsse noch zu so vielen Terminen, erklärt sie | |
ausweichend. | |
Was von den Aktivisten ungern erwähnt wird: Bei einem weniger | |
verschwenderischen Einkaufsverhalten seitens der Supermärkte würden | |
vermutlich die Lebensmittelpreise ansteigen. Die Forderungen nach | |
gesetzlichen Wegwerfstopps wären dann nur etwas für die Mittelklasse, die | |
sich das überhaupt leisten kann. Sarah Schneider von Misereor sieht das | |
nicht so: „In Deutschland geben die Verbraucher im Vergleich zu anderen | |
europäischen Ländern viel weniger Geld für Lebensmittel aus“, weiß sie. | |
Eine Preiserhöhung könne letztlich zu bewussterem Verbrauch führen, ohne | |
dass der Einzelne mehr ausgibt: „Wenn Lebensmittel teurer sind, werden sie | |
auch nicht mehr so einfach weggeschmissen.“ | |
Schneider hebt auch die globalen Auswirkungen der deutschen | |
Lebensmittelverschwendung hervor. Ein Drittel der Nahrungsmittel und | |
Ressourcen aus Drittweltländern landet im Müll – während die Herstellung | |
dieser Produkte den betroffenen Ländern die Ressourcen entziehe und riesige | |
Grundstücke einnehme, die von den dortigen Bevölkerungen nicht mehr benutzt | |
werden könnten.Globale Konsequenzen der Lebensmittelverschwendung | |
befürchtet auch die Umweltorganisation Bundjugend. „Das ist nicht nur ein | |
Skandal aufgrund von 800 Millionen Menschen, die hungern, sondern auch für | |
das Klima: Ein Drittel der Treibhausemissionen werden in der Landwirtschaft | |
produziert“, gibt Sprecherin Katharina Schluchte zu bedenken. | |
16 Oct 2015 | |
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## AUTOREN | |
Lea Fauth | |
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