# taz.de -- Neuer James-Bond-Film „Spectre“: Bond würde David Cameron wäh… | |
> Spektakel geht nun mal vor Sinn: Der neue James-Bond-Film ist hemmungslos | |
> in seiner opportunistischen Anpassung an den Zeitgeist. | |
Bild: Alles wie immer: Daniel Craig mit Glas (in der Hand) und Monica Bellucci … | |
Es ist wieder so weit. Ein James-Bond-Film läuft im Kino und erinnert | |
daran, dass die Zeit ein flacher Kreis (“True Detective“) ist. Tatsächlich | |
gleicht das „Bond“-Franchise einem beweglichen Feiertag, der trotz | |
unregelmäßiger Wiederkehr stets das gleiche rituelle Verhalten in Gang | |
setzt. Menschen polieren ihr Zitat-Wissen jenseits von „geschüttelt und | |
nicht gerührt“ auf, die Anzahl der Bond-Experten im Umfeld explodiert und | |
die zu anderen Zeiten nur ein Gähnen provozierende Frage, ob Sean Connery | |
immer noch der beste aller Bond-Darsteller sei, spaltet plötzlich wieder | |
Tafelrunden. | |
Dementsprechend fühlt sich das Besprechen des neuesten Werks ein bisschen | |
so an, als ob man einen Karnevals- oder besser Halloween-Umzug rezensiert: | |
Ob der vielen Verkleidungsdetails und ihrer Einschätzung als neu oder | |
wiederkehrend, als Bond-Element oder Bond-Fremdkörper, verliert man leicht | |
den Überblick. | |
Funktioniert der Film überhaupt noch als Film? | |
Passenderweise versetzt die „Pre-Title-Sequenz“ den Zuschauer diesmal | |
mitten ins Getümmel der „Día de Muertos“-Feiern in Mexiko-Stadt. Schnell | |
nimmt die Kamera einen Mann in Skelett-Kostüm in den Blick, den der | |
altmodisch laszive Umgang mit der Frau an seiner Seite bereits als „Bond, | |
James Bond“ erkennbar macht, obwohl noch gar nichts weiter passiert ist. | |
Momente später aber liegt ein ganzer Häuserblock in Schutt und Asche und | |
über den feiernden Massen auf dem Zócalo-Platz taumelt ein Helikopter, in | |
dem Bond mit einem Bösewicht um den Steuerknüppel kämpft. So | |
schwindelerregend sind die Perspektiven aus der Luft, so atemberaubend | |
wirken die Fast-Abstürze des strauchelnden Hubschraubers und so zäh | |
erscheinen die Finsterlinge, dass man völlig vergisst, dass man ja | |
eigentlich weiß, wie es enden wird. | |
## Eine Art Essenz | |
Diese ersten Minuten von „Spectre“ kommen daher wie eine Art Essenz, Bond | |
pur, geschüttelt, aber mit nichts verrührt. Sie sind reines Spektakel. Ihr | |
Geheimnis besteht darin, den Zuschauer zu fesseln, ohne ihm das kleinste | |
Stück Information zu geben. Wer hier auf wen aus welchem Grund schießt, das | |
klärt sich erst später auf. Oder auch nicht. Denn auch das gehört zur | |
Bond-Essenz: dass Spektakel nun mal vor Sinn geht. | |
Einmal mehr erscheint denn auch der Rest der Handlung eher wie ein Vorwand, | |
um den Helden in verschiedenen Landschaften und bei wechselndem Wetter zu | |
fotografieren. Nach der Mexiko-Episode wird Bond im regnerisch-verhangenen | |
Londoner Hauptquartier ermahnt. Was ihn natürlich nicht davon abhält, sich | |
selbstständig zu machen auf der Suche nach dem Mann mit dem neuesten Plan | |
zur Weltherrschaft. | |
So geht es über eine kurze Zwischenstation in Rom weiter in die | |
verschneiten Alpen und von da in die Wüste. Und wenn Bond und dem | |
obligatorischen „Girl“ (diesmal: Léa Seydoux) an seiner Seite unterwegs | |
doch einmal die passenden Klamotten ausgehen, stellt sie doch tatsächlich | |
der Bösewicht bereit. Von dem wir bis dahin nur wissen, dass er von | |
Christoph Waltz gespielt wird. Für so manchen Zuschauer schon Spoiler | |
genug. | |
Davon abgesehen nimmt „Spectre“ die düster-brütende Stimmung von „Skyfa… | |
auf, ohne an dessen Psychologie anzuknüpfen. Zwar inszeniert Regisseur Sam | |
Mendes die einzelnen Stationen mit jeweils so exaltierter Atmosphäre, als | |
seien sie von Daniel Craigs 007 nur geträumt. Aber das jeweilige Setting | |
verweist eher in Richtung Filmgeschichte und Freud-Interpretationen des | |
50er-Jahre-Kinos als in Bonds Psyche. | |
Der „Schlupfwinkel“ des Waltz’schen Schurken spielt in reichen Details auf | |
die Bond-Filme der 60er an, Folterinstrumente inbegriffen. Die Versammlung | |
der Bösewichter in einem Palast in Rom gleicht mit ihren schattenhaften | |
Gestalten eher einem Logen-Treff, wie man ihn sich im späten 19. | |
Jahrhundert vorstellte, als einer Konferenz von Unternehmen, die von der | |
modernen allgegenwärtigen Überwachung profitieren wollen. | |
## Snowden? Nur eine Täuschung | |
Wie überhaupt sich die im Vorfeld lancierte Behauptung, „Spectre“ würde d… | |
Thema Snowden und Überwachungsstaat aufgreifen und zeigen, wie gut Bond | |
sich an die Kalte-Kriegs-lose Gegenwart anpassen ließe, als Täuschung | |
erweist. Ein Plot um innere Auseinandersetzungen im Londoner Hauptquartier | |
rahmt zwar den Film, aber richtig überzeugend lässt sich das Konzept der | |
Agenten-Spionage eben doch nicht gegen die grenzenlose Überwachung per | |
Videokamera- und Datensammlung ausspielen. | |
Da hilft auch alles Beschimpfen als „Überbleibsel“ und „Dinosaurier“ | |
nichts, dass diesmal auf Bond einregnet. Und so sympathisch Ralph Fiennes’ | |
M im Verbund mit Ben Whishaws Q und Naomie Harris’ Moneypenny daherkommen, | |
wenn sie auf einmal als Außenseiter im Londoner Untergrund gegen ihr | |
eigenes Establishment angehen, wird zugleich klar, dass es in dieser | |
Richtung keine Fortsetzung für das Franchise geben kann. Aus 007 wird so | |
schnell kein Rebell, oder, wie es die britischen Kritiker ausdrücken: Bond | |
würde doch David Cameron und keinesfalls Jeremy Corbyn wählen. | |
Am Ende, wenn alles gesagt und getan ist, bleibt deshalb eine merkwürdige | |
Leere zurück. Sie mag damit zu tun haben, dass mit „Spectre“ das ganze | |
Projekt des „Reboots“ seinen vorläufigen Abschluss findet. Man kann darüb… | |
fachsimpeln, ob es richtig ist, dass Craigs Bond, nachdem er in „Casino | |
Royal“ schon beim Biertrinken gesichtet wurde, nun sogar so weit geht, | |
Wodka Martini und den auch noch „dirty“ zu trinken. Oder würdigen, dass die | |
obligatorischen Nebenfiguren wie M und Q nicht mehr nur als Stichwortgeber | |
für Bond herhalten müssen, sondern mehr Persönlichkeit und eigenständig | |
witzige Dialoge bekommen. Wobei der Versuch, auch den Frauenfiguren tiefere | |
Dimensionen zu verleihen, mit „Spectre“ wieder einen Rückschlag erleidet. | |
Monica Bellucci, stolz angekündigt als ältestes „Bond-Girl“, das zeigen | |
darf, dass Frauen über 50 attraktiv sein können (?!), muss es prompt beim | |
„Bond-in-die-Arme-Fallen“ belassen. Und Léa Seydoux findet sich gleich | |
mehrfach reduziert auf die Rolle der „damsel in distress“, das Töchterchen | |
mit Vater-Komplex, das halt gerettet werden muss. | |
Letzteres erscheint symptomatisch, denn das ganze Projekt „Bond-Reboot“, | |
das aus einer Jungsfantasie der 50er Jahre einen angemessen komplizierten | |
Helden der Gegenwart zu machen versprach, bleibt sich in einem wesentlichen | |
Zug völlig treu: in seinem hemmungslosen Opportunismus. Die besten | |
Bond-Songs übertrugen ihn in Musik, als Hymnen, die Taten feierten, die | |
keinerlei Konsequenzen kannten. | |
## Erschreckend ähnlich | |
Sam Smiths balladenhafter „Writing on the Wall“-Song, als „Requiem For A | |
Wimp“ geschmäht, schlägt da zwar andere Töne an. Aber seine Integration | |
belegt letztlich auch nur, dass sich die Anpassung an den Zeitgeist hier | |
eben schlicht darauf beschränkt, den heutigen Geschmack treffen zu wollen. | |
Bei aller ausführlicher Selbstbespiegelung mit Zitaten aus dem | |
Bond-Universum gleicht „Spectre“ auf erschreckende Weise dem, was sonst so | |
im Kino läuft: ein bisschen grübelnder Held à la „Batman“, ein wenig „… | |
allein gegen die Welt“ à la „Mission: Impossible“ und eine Prise | |
„horizontales Erzählen“ wie in den „Hunger Games“. Wie man in den Bond | |
hineinblickt, so blickt er schließlich zurück, vom anderen Ende des | |
Gewehrlaufs. | |
4 Nov 2015 | |
## AUTOREN | |
Barbara Schweizerhof | |
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