# taz.de -- „James Bond 007: Keine Zeit zu sterben“: Retter der Kernfamilie | |
> Im neuen Film „James Bond 007: Keine Zeit zu sterben“ trifft Daniel Craig | |
> noch mal auf Christoph Waltz als Gegner – und seine schwarze | |
> Nachfolgerin. | |
Bild: Bei ihm kann James Bond auch ramponiert: Daniel Craig, kunstvoll verschra… | |
Was ist das größte Abenteuer eines Lebens? Für einen loyalen „Agenten“, … | |
unzählige Male die Welt rettete, dem Tod von der Schippe sprang, Rennwagen | |
fuhr, in den Alpen und unter Wasser kämpfte, in Raketen („Moonraker“) die | |
„final frontier“ erkundete, mannigfach Gegner tötete und Frauen verführte? | |
Der von einer kleinen britischen Insel stammende, durch seine harte | |
Kindheit traumatisierte MI6-Beamte James Bond war in den letzten 60 Jahren | |
überall. Er hat alles gesehen und getan. Er hat sich als harter Hund | |
bewiesen, hat das Konzept der „dunklen Triade“ (so nennt man in der | |
Psychologie die für einen Licenced-to-kill-Agenten relevanten | |
Persönlichkeitsmerkmale von Narzissmus, Machiavellismus und Psychopathie) | |
durch seinen Charme attraktiv gemacht. Er hat sogar dreimal (Tracy, Vesper | |
und, seit neulich, Madeleine) geliebt. Und er hat Wodka Martinis gekippt. | |
Während der Arbeit. | |
[1][Vielleicht krankte das Bond-Prinzip in letzter Zeit darum auch an einer | |
gewissen Endlichkeit]: Schon dieser Bond, wie er vor zwei Jahren konzipiert | |
wurde, stand – unabhängig von Brexit und Coronakrise – der neuen Zeit etwas | |
ratlos gegenüber. Seine langjährigen Produzent:innen Michael Wilson und | |
Barbara Broccoli versuchten demzufolge, ihren Helden durch moderne Ideen zu | |
aktualisieren. | |
Zum seit 1999 bewährten Drehbuchteam Purvis & Wade wurde die | |
radikal-humoristische Autorin/Regisseurin Phoebe Waller-Bridge als | |
Vertreterin einer neuen Generation und, zumindest in dieser Funktion, eines | |
neuen Geschlechts gestellt. Der einfallsreiche Regisseur Cary Joji Fukunaga | |
sollte bei „Keine Zeit zu sterben“ da weitermachen, wo der nachdenkliche, | |
erzählerisch ausgefuchste [2][Sam Mendes nach „Skyfall“ (2012)] und | |
„[3][Spectre“ (2015)] mit seiner Idee, der „plot-driven“ Action eine | |
Heldenreise mitzugeben, aufgehört hatte. | |
Und so war man immer neugieriger geworden auf diesen neuen Bond, den | |
letzten mit dem alten weißen Mann Daniel Craig, dem letzten potenziellen | |
Blockbuster, dessen Konzeption aus der Prä-Corona-prä-Brexit-Zeit stammte. | |
Dem Film über den Retter des Planeten und des Kinos, für den die Bekundung | |
der Bond-Macher:innen, auch nach der Übernahme des Filmstudios MGM durch | |
Amazon die „künstlerische Kontrolle“ über die Bond-Idee einzubehalten, | |
elementar sein könnte. | |
## Bond könnte Vater geworden sein | |
Also wie ist er, der neue Bond? Ohne spoilern zu wollen, denn diese Info | |
wird nach dem Embargo eh an die Oberfläche dringen: Bond könnte Vater | |
geworden sein. Womit die Frage nach dem größten Abenteuer eines Lebens auf | |
eine so simple wie konventionelle Art beantwortet wird. | |
Und auch wenn das mitnichten Windeln und Kita-Eingewöhnung bedeutet, Bond | |
wurzelt schließlich in der genderstarren Heldenerzählung: James Bond | |
bekommt im 25. Abenteuer eine für ihn neue Motivation für sein Handeln. | |
Nach einem fünf Jahre zurückliegenden Mix aus Liebe, Auftrag und | |
angeblichem Vertrauensbruch hat Bond enttäuscht die normschöne, aus | |
„Spectre“ bekannte Madeleine (Léa Seydoux) verlassen und fristet ein | |
einsames Leben als pensionierter Geheimagent auf Jamaika (das er immerhin | |
aus den Anfängen seiner Karriere kennt, war er doch 1962 in „Dr. No“ dort). | |
## Mikroskopisch kleine Waffe | |
Doch als die Geheimorganisation „Spectre“, dessen Chef Blofeld (Christoph | |
Waltz) eigentlich sicher im Knast sitzt, sich wieder formiert, muss Bond | |
zurück in den Sattel. Es geht um eine von der britischen Regierung | |
entwickelte und vom Super-Bösewicht Lyutsifer (!) Safin (Rami Malek) | |
entwendete, mikroskopisch kleine Waffe, die per DNA-Bestimmung auf | |
bestimmte Menschen gelenkt werden kann – ursprünglich, gibt M (Ralph | |
Fiennes) zu, stamme die Idee aus der „humanen“ Überlegung, nicht mehr | |
flächendeckend und damit inklusive Kollateralschaden töten zu müssen. | |
Das Thema DNA deutet somit bereits auf das familiäre Grundmotiv hin. Doch | |
Bond geht zunächst nichtsahnend und gewohnt couragiert ans Werk, und lernt | |
seine legitime 007-Titel-Erbin Nomi (Lashana Lynch) kennen (es wurde | |
spekuliert, ob die afrobritische Schauspielerin Bond auch in den folgenden | |
Filmen beerben könne, das verneinten die Verantwortlichen jedoch: man suche | |
noch nach dem oder der neuen Bond). | |
Die Double-Double-O-Sevens ermitteln gar ein bisschen gemeinsam und kabbeln | |
sich um den Titel in absurden Szenen, deren temporeichen Wortwitz, wie ein | |
paar andere Bonmots, man getrost dem Einfluss von Waller-Bridge zuschreiben | |
kann. | |
## Gibt er ihr seinen Pullover? | |
Doch dann trifft Bond wieder auf Madeleine. Und die hat inzwischen eine | |
zirka fünfjährige Tochter, mit leuchtend blauen Augen, die der leuchtend | |
blauäugige Bond argwöhnisch registriert – „She’s not yours“, sagt | |
Madeleine. Aber stimmt das? Schält der Martinischüttler, der Herzensbrecher | |
und Flachleger, der eiskalte Killer dem Mädchen nicht gerade einen Apfel | |
zum Frühstück? Gibt er ihr seinen Pullover? Macht Bond „Bonding“?! | |
Bond ist damit ab der Hälfte des mit 163 Minuten sehr langen Films mit | |
einem ihm unbekannten Thema konfrontiert: der Verantwortung für ein Kind, | |
für eine Figur, die bislang beim Actionspaß keine Rolle spielte – Kinder | |
passen nicht zu Action, wären in 60er-Jahre-Konvention ohnehin Frauensache | |
gewesen und halten einen Weltretter nur von seiner Mission ab. Denn | |
Film-Eltern handeln in erster Linie nicht für die Allgemeinheit, sondern | |
für ihr Kind. Und angreifbar sind sie überdies. | |
„Keine Zeit zu sterben“ ist also anders – wenn die Entwicklung auch zagha… | |
vor sich geht. [4][Billie Eilishs] emotional gehauchter | |
Liebeskummer-Titelsong lässt es erahnen, ihre Erzählhaltung ist die des | |
verletzten Liebenden, also die Bonds. Zudem wurde, verbal und musikalisch, | |
„We have all the time in the world“ aus der ersten Bond-Lovestory „Im | |
Geheimdienst Ihrer Majestät“ eingebaut. Und mit dem schwedischen Kameramann | |
Linus Sandgren, der neben „La La Land“ auch für Damien Chazelles „First | |
Man“ arbeitete, hat man sich für persönliche und nahe Bilder entschieden. | |
## Viele Explosionen und noch mehr Tote | |
Zwar ist Bond noch immer in wunderschönen Gegenden unterwegs, er schießt | |
und prügelt kaltblütig und präzise. Im Gegensatz zu früher ist er in seinen | |
„Gewalt-Binges“, den klassischen Actionszenen mit vielen Explosionen und | |
noch mehr Toten, jedoch oft allein: Man schaut auf ihn, nicht auf | |
diejenigen, die er erschießt. Das macht seine Taten umso sinnloser – und | |
nimmt ihnen den verächtlichen Stolz, der in älteren Bond-Filmen | |
vorherrschte, in denen jeder tote Gegner den Heldenkanon stärkte. | |
In „Keine Zeit zu sterben“ kämpft sich Bond zudem sichtbar angeschlagen | |
durch Settings, die frühere Filme zitieren (einsame Insel mit irrem Labor), | |
und absorbiert die Accessoires eher widerwillig (anachronistische | |
Renn-Benziner). | |
Denn obwohl die Gefahr allgegenwärtig wirkt, ist Bonds heimliches | |
Hauptproblem eben nicht die Rettung der Welt, sondern seiner etwaigen | |
Kernfamilie: Es ist ein kleines, langweiliges, nur für ihn interessantes | |
Motiv, eines, das mit (der auch ein bisschen langweiligen) Madeleine | |
zusammenhängt. Bond droht bürgerlich zu werden, die größte Mission gegen | |
die spießige Keimzelle der Gesellschaft auszutauschen. | |
Auf diesem Spannungsfeld tanzt der neue Bond, und er tut das humorvoll, | |
unterhaltsam und menschlich: Sogar sein Alkoholhabit ist nicht mehr trinken | |
und nüchtern wirken. Stattdessen kippt er fast verzweifelt einen nach dem | |
andern. Er ist nicht mehr der Held, den er seit 60 Jahren verlässlich | |
darstellte. Ein emotional zufriedener Mensch ist er auch nicht. Aber sogar | |
Bond kann dazulernen. | |
29 Sep 2021 | |
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## AUTOREN | |
Jenni Zylka | |
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