# taz.de -- Neue Doppelspitze in der Linksfraktion: Die Suche nach dem richtige… | |
> Schaffen es Dietmar Bartsch und Sahra Wagenknecht, die Flügel zu einen? | |
> Der erste gemeinsame Auftritt war ein Feuerwerk der Harmonie. | |
Bild: Sie hat mehr Blumen als er, aber weniger Stimmen: Gysis NachfolgerInnen S… | |
BERLIN taz | Dietmar Bartsch sitzt goldrichtig. Es ist Freitagabend, der | |
Linken-Politiker muss noch eine halbe Woche auf seinen Karrieresprung | |
warten, und in der Zwischenzeit nimmt er als Ehrengast an einer | |
Buchvorstellung in Berlin-Mitte teil. Der Chef der Buchhandlung hat ihn | |
direkt vor das Belletristik-Regal platziert, und so kommt es, dass hinter | |
Bartsch einer der größten Klassiker der Literaturgeschichte steht: | |
Hemingways „Der alte Mann und das Meer“. | |
Hemingway schreibt über einen alten Fischer, der wochenlang aufs Meer | |
fährt, ohne einen einzigen Fisch zu fangen. Fast wie Bartsch, der zwar noch | |
keine Seniorenrabatte bekommt, aber ebenfalls eine ganze Weile warten | |
musste: Seit einem Vierteljahrhundert gehört er zum Führungszirkel seiner | |
Partei, bekleidete allerlei Ämter. | |
Für den Sprung nach ganz vorne aber reichte es bisher nie – bis man ihm | |
nach Gregor Gysis Abschiedsankündigung im Sommer endlich den Job des | |
Fraktionschefs antrug. | |
Nun ist Bartsch also doch noch etwas geworden. Mit 91,6 Prozent der Stimmen | |
wählte ihn seine Fraktion am Dienstagmittag ins Amt. | |
Den Fraktionsvorsitz teilt er sich künftig mit Sahra Wagenknecht. Auch sie | |
spielte in der damaligen PDS von Anfang an vorne mit, vertrat dort aber | |
weit orthodoxere Positionen als der Pragmatiker Bartsch. Ihre | |
Mitgliedschaft in der Kommunistischen Plattform ließ sie erst ruhen, als | |
sie 2010 stellvertretende Chefin der Linkspartei wurde. | |
Für einen Platz an allererster Stelle schien sie als Hardlinerin zwar lange | |
Zeit ungeeignet, bei der Wahl zur Kovorsitzenden der Fraktion erhielt sie | |
nun aber 78,3 Prozent der Stimmen. | |
Ein ordentliches Ergebnis. Wer denkt, dass sich das neue Führungsduo damit | |
zurücklehnen könnte, sollte aber noch mal bei Hemingway nachlesen. Als | |
dessen Fischer nach einer halben Ewigkeit endlich Beute am Haken hat, gehen | |
die Probleme nämlich erst richtig los: Das widerspenstige Vieh will einfach | |
nicht klein beigeben. | |
In ihrem neuen Amt könnte es den beiden Fraktionschefs ähnlich ergehen. Die | |
Streitereien zwischen den beiden Parteiflügeln in den Griff zu bekommen | |
wird schwierig genug. Lässt das neue Führungsduo zu wenig Streit zu, wird | |
sich das früher oder später aber auch rächen. Und wenn Bartsch und | |
Wagenknecht das richtige Lot zwischen den beiden Flügeln finden? Dann | |
müssen sie mit Störfeuern von dritter Seite rechnen: von denjenigen, die | |
sich keinem der Flügel unterordnen wollen. | |
## Der erste Auftritt | |
Für den Anfang konzentrieren sich die Fraktionsvorsitzenden auf Problem | |
Nummer eins. Direkt nach ihrer Wahl eilen Wagenknecht und Bartsch am | |
Dienstag aus dem Fraktionssaal im Reichstagsgebäude hinüber ins Haus der | |
Bundespressekonferenz. Der erste Auftritt im neuen Amt: ein Feuerwerk der | |
Harmonie, als hätte noch nie ein Blatt gepasst zwischen ihn und sie, | |
zwischen den Reformer und die Parteilinke. | |
„Sahra und ich haben die letzten Jahre genutzt, um gemeinsam eine | |
produktive Diskussion zu führen. In neunzig Prozent der Inhalte stimmen wir | |
überein“, sagt Bartsch. „Wir werden unsere Rollen nicht aufteilen, sondern | |
die Funktion der Fraktionsvorsitzenden gemeinsam ausführen“, sagt | |
Wagenknecht. Dann listen sie im Wechsel die Klassiker des Parteiprogramms | |
auf: Vermögensteuer für Reiche einführen, prekäre Arbeit bekämpfen, | |
Fluchtursachen abschaffen. | |
## Der Konsens wird betont | |
Die beiden setzen ein Schauspiel fort, das schon Monate dauert. Seit Gysi | |
im Juni seinen Abschied ankündigte, seit Bartsch und Wagenknecht in den | |
Startlöchern stehen, demonstrieren sie Eintracht. Pressemitteilungen | |
unterschreiben sie gemeinsam, im September veröffentlichten sie ein | |
gemeinsames Papier zur Außenpolitik. „Deutsche Rüstungsexporte sofort | |
stoppen, keine weitere Beteiligung an Nato-Militärinterventionen“, heißt es | |
darin. Die Strategie ist klar: den Konsens in den Vordergrund stellen, | |
nicht die Streitpunkte. | |
Selbst als Bartsch kurz vor der Fraktionswahl mit seiner Listenaffäre in | |
die Schlagzeilen kam, geriet die neue Waffenruhe nicht in Gefahr. Zur | |
Erinnerung: Nachdem die Linkspartei vor drei Jahren einen neuen Vorstand | |
gewählt hatte, ließ Bartsch eine Tabelle der neuen Mitglieder anlegen. | |
Darin war auch vermerkt, wer welchem Flügel angehört. Die Parteilinken | |
erhielten den Vermerk „L“ – wie „Lafodödel“. In normalen Zeiten hät… | |
Enthüllung in Wagenknechts Lager für Entrüstung gesorgt. Da die Zeiten aber | |
gerade besonders sind, hielten sich die Parteilinken nahezu geschlossen | |
zurück. „Für mich ist das abgehakt“, sagte Wagenknecht am Wochenende im | |
ZDF. | |
Dieser Burgfrieden dürfte nicht allen in der Partei leicht fallen. Die | |
äußeren Umstände begünstigen ihn aber. Die großen Konflikte der Partei | |
laufen schließlich alle auf die Frage hinaus, ob die Linken irgendwann | |
regieren wollen – und unter welchen Bedingungen. Da eine rot-rot-grüne | |
Koalition derzeit aber so wahrscheinlich ist wie ein Vereinigungsparteitag | |
mit der SPD, diskutiert die Partei im Moment kaum noch über eine mögliche | |
Regierungsbeteiligung. Für die Reformer, so scheint es, lohnt es sich | |
derzeit gar nicht, die Parteilinken zu Kompromissen zu drängen. | |
## Über das Regieren diskutieren | |
Damit sind wir bei Problem Nummer zwei, und somit zurück bei Hemingway, | |
Bartsch und der Buchhandlung in Berlin-Mitte. Der Publizist Albrecht von | |
Lucke stellt dort sein neues Buch vor, das „Versagen der deutschen Linken“. | |
Der Autor redet schnell und viel, und als er zum Thema Rot-Rot-Grün kommt, | |
wird er noch dazu laut. „Wenn eure Partei jetzt nicht über das Regieren | |
diskutiert, dann wird das bis 2017 nichts!“, schreit er in Richtung von | |
Bartsch und dem Belletristik-Regal. | |
Nun kann man sich darüber streiten, ob die Linkspartei überhaupt regieren | |
wollen sollte. Aber eine banale Erkenntnis der Buchvorstellung bleibt so | |
oder so wahr: Konflikte verschwinden nicht, indem die Fraktion einfach | |
nicht mehr darüber spricht. | |
Da wäre zum Beispiel die Diskussion darüber, ob sich die Bundeswehr an | |
bestimmten UN-Missionen beteiligen sollte. Als der Bundestag im vergangenen | |
Jahr darüber entscheiden sollte, ob sich Deutschland an der Vernichtung | |
syrischer Chemiewaffen beteiligt, stimmte Bartsch mit Ja und Wagenknecht | |
mit Nein. In ihrem gemeinsamen Papier zur Außenpolitik ließen die beiden | |
das Thema UN-Einsätze im September einfach außen vor. Sollte irgendwann | |
eine neue Abstimmung anstehen, haben sie somit keinen Kompromiss parat. | |
## Die Fraktion besteht nicht nur aus zwei Flügeln | |
Und damit kommen wir zu Problem Nummer drei: Als Ex-Fraktionschef Gregor | |
Gysi noch etwas zu sagen hatte, also vergangene Woche, schrieb er seinen | |
Nachfolgern zum Thema Kompromisse etwas ins Stammbuch. „Sahra und Dietmar | |
müssen nicht nur einen Kompromiss zwischen sich suchen, sondern auch einen | |
für die Fraktion“, sagte er. | |
Was etwas kryptisch klingt, ist im Grunde ganz einfach: Die Fraktion | |
besteht eben nicht nur aus linkem und rechtem Flügel, sondern auch aus | |
Abgeordneten, die sich keinem Block zurechnen lassen. Sie befürchten, nun | |
unterzugehen, und stören sich etwa an den persönlichen Stellvertretern, die | |
Bartsch und Wagenknecht auswählen wollten: den Reformer Jan Korte und die | |
Parteilinke Sevim Dağdelen. Die blockfreien Abgeordneten rebellierten. Die | |
Wahl der Stellvertreter ist auf November verschoben. | |
Zeit genug also, einen Kompromiss zu finden. Ansonsten könnte es den neuen | |
Fraktionschefs rasch ergehen wie Hemingways altem Mann. Der erlegt den | |
Fisch zwar doch noch, kann sich an seiner Beute aber nicht lange erfreuen: | |
Die Haie um ihn herum fressen sie auf. | |
13 Oct 2015 | |
## AUTOREN | |
Tobias Schulze | |
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