# taz.de -- 86 Tote bei Terroranschlag in Türkei: „Anschlag auf die Demokrat… | |
> Die Opferzahl des Terrorakts in Ankara steigt auf 86. Opposition und | |
> Regierung sind entsetzt. Die PKK lässt vorerst die Waffen ruhen. | |
Bild: Die Bomben haben mindestens 86 Menschen in den Tod gerissen, über hunder… | |
BERLIN taz | Es ist der schlimmste Anschlag, den die Türkei je gesehen hat. | |
Nach neuesten Zahlen starben mindestens 86 Menschen bei dem Doppelanschlag | |
im Zentrum von Ankara. Das Attentat fand vor dem Bahnhof der türkischen | |
Hauptstadt statt, wo sich gerade tausende Menschen zu einer | |
Friedensdemonstration versammelt hatten. Nach Angaben des türkischen | |
Innenministeriums explodierten im Abstand von wenigen Sekunden an beiden | |
Ausgängen des Bahnhofs Bomben. Beobachter gehen davon aus, dass es sich | |
dabei um zwei Selbstmordattentäter handelte, die die Bomben inmitten der | |
Demonstranten zündeten. | |
Aufgerufen zu der Friedensdemonstration hatten mehrere linke Gewerkschaften | |
und die kurdisch-linke Partei HDP. Mit dem „barbarischen Attentat“ in | |
Ankara, wie der Ko-Chef der HDP Selahattin Demirtaş es anschließend | |
bezeichnete, sind jetzt zum dritten Mal innerhalb kurzer Zeit Anhänger der | |
HDP Opfer eines schweren Terroranschlages geworden. | |
Die ersten beiden, ein Bombenanschlag während einer Wahlkampfkundgebung in | |
Diyarbakir Anfang Juni und der Terroranschlag in Surunc am 20. Juli, wurden | |
jeweils von Selbstmordattentätern ausgeführt, die dem „Islamischen Staat“ | |
nahe standen. Auch jetzt könnten die Attentäter wieder aus diesen Reihen | |
stammen, womöglich als Reaktion auf einen Vormarsch syrischer Kurden gegen | |
die IS-Hauptstadt Rakka in Syrien. | |
Das Attentat heute Morgen fand aber auch drei Wochen vor neuerlichen | |
Parlamentswahlen in der Türkei und blutigen Kämpfen zwischen der türkischen | |
Armee und der kurdischen Guerilla PKK statt. Diese Kämpfe begannen nach | |
einem knapp zweijährigen Waffenstillstand wenige Tage nach dem Attentat in | |
Suruç, als Staatspräsident Erdoğan den Mord an zwei Polizisten zum Anlass | |
nahm, um die Luftwaffen Stellungen der PKK im benachbarten Nordirak | |
bombardieren zu lassen. Seitdem flieg die Luftwaffe regelmäßig Angriffe | |
gegen die PKK, die wiederum fast täglich mit Anschlägen auf Soldaten und | |
Polizisten antwortet. | |
## PKK verkündet Ende von Aktionen vor der Wahl | |
Genau gegen diese Eskalation der Gewalt sollte sich die | |
Friedensdemonstration am heutigen Samstag richten. Seit Wochen hatte die | |
HDP-Führung, und vor allem Selahattin Demirtaş, immer wieder dazu | |
aufgerufen, die Waffen ruhen zu lassen und zu Friedensverhandlungen | |
zurückzukehren. Da absehbar war, dass die Angriffe der PKK auf Soldaten und | |
Polizisten vor allem der HDP bei den bevorstehenden Wahlen schaden würden, | |
hatte Demirtaş wiederholt auch direkt die PKK-Führung aufgefordert, zur Not | |
einen einseitigen Waffenstillstand zu erklären. | |
Genau dazu war die PKK jetzt bereit. Wenige Stunden nach dem Doppelanschlag | |
in Ankara wurde eine Erklärung der PKK verbreitet, in der sie ihre Anhänger | |
aufruft, bis zu den Wahlen am 1. November keine Aktionen gegen Soldaten und | |
Polizisten mehr zu unternehmen, damit die Durchführung von freien und | |
fairen Wahlen nicht gefährdet würde. | |
Die Erklärung war wahrscheinlich schon vor den Anschlägen versendet worden, | |
es bleibt nun abzuwarten, ob sie nach den Terroranschlägen noch Bestand | |
hat. | |
## Erdoğan: „Anschlag auf die Demokratie“ | |
Denn noch nie in der türkischen Geschichte hat es einen Anschlag mit einer | |
derart hohen Zahl von Toten gegeben. Zusätzlich zu den 86 Opfern, die der | |
türkische Gesundheitsminister gegen 14:30 Uhr bestätigte, liegen immer noch | |
dutzende Schwerverletzte in den Krankenhäusern, von denen etliche in | |
Lebensgefahr schweben. Nicht nur die HDP ist geschockt und verzweifelt, | |
auch die anderen Oppositionsparteien und selbst die Regierung geben sich | |
entsetzt angesichts dieses bislang unvorstellbaren Terrorakts. Sowohl | |
Ministerpräsident Ahmet Davutoğlu wie auch Staatspräsident Erdoğan haben | |
alle Termine abgesagt und sich zu einer Krisensitzung eingefunden. Erdoğan | |
sprach von einem Anschlag auf die Demokratie und die Einheit der Türkei. | |
Viele der Demonstranten und selbst die HDP-Führung geben allerdings der | |
Regierung eine Mitschuld an dem Terroranschlag. „Wie kann es sein, dass ein | |
Polizeistaat wie die Türkei, deren Geheimdienste überall sind, von einem | |
solchen Anschlag nichts wissen konnten“, fragte Demirtaş. Auch sei der | |
Bahnhof auf dem die Demonstranten anreisten nicht von der Polizei gesichert | |
gewesen. Die tauchten erst anschließend auf und wurden von vielen | |
Demonstranten wütend empfangen, worauf es zu einem Tränengaseinsatz und der | |
Festnahme von 30 Demonstranten kam. Demirtaş ist so wütend, dass er vor | |
laufenden Kameras sagte, Staatspräsident Erdoğan könne sich einen | |
Beileidsanruf bei ihm sparen, er würde nicht ans Telefon gehen. | |
Ob angesichts des Terrors und dieser Spannungen die Parlamentswahlen wie | |
vorgesehen am 1. November noch stattfinden können, wird in den kommenden | |
Tagen zu entscheiden sein. | |
10 Oct 2015 | |
## AUTOREN | |
Jürgen Gottschlich | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Türkei | |
Ankara | |
Terroranschlag | |
PKK | |
Selahattin Demirtas | |
Recep Tayyip Erdoğan | |
HDP | |
Schwerpunkt Türkei | |
Schwerpunkt Protest in der Türkei | |
Terroranschlag | |
Schwerpunkt Türkei | |
Schwerpunkt Türkei | |
Parlamentswahl Türkei 2015 | |
Ankara | |
Schwerpunkt Türkei | |
Schwerpunkt Türkei | |
Recep Tayyip Erdoğan | |
Parlamentswahl Türkei 2015 | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Regierungskritiker in Istanbul: Türkische Polizei stoppt Protest | |
Hunderte linke Aktivisten wurden an einem Trauermarsch durch Istanbul | |
gehindert. Begründet wurde das mit einem Demonstrationsverbot. | |
Nach den Anschlägen in Ankara: Özdemir fordert Ende der Gespräche | |
Der Grünen-Chef sagt, dass Staatspräsident Erdogan die Türkei ins Chaos | |
stürze und Tote in Kauf nehme. Die EU solle den Dialog mit ihm wieder auf | |
Eis legen. | |
Nach Terroranschlag in Ankara: Türken fürchten Gewalt in Deutschland | |
Der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde Gökay Sofuoğlu warnt vor | |
Polarisierung auch in Deutschland. Auf zahlreichen Demos wird Trauer und | |
Wut bekundet. | |
Kommentar Attentat in der Türkei: Durch Terror zum Bürgerkrieg | |
Die Türkei steht kurz vor dem Bürgerkrieg. Entscheidend wird sein, ob | |
Präsident Erdoğan die Spaltung der Gesellschaft weiter vorantreibt. | |
Nach dem Anschlag in Ankara: Schock und Misstrauen | |
Demonstranten werfen der Regierung vor, sie nicht zu schützen. Noch ist | |
unklar, wer hinter dem verheerenden Anschlag in Ankara steht. | |
Am Tag nach Anschlag von Ankara: „Wir steuern auf die Katastrophe zu“ | |
Die Staatsmacht zeigt nach dem Terroranschlag in der Türkei wenig | |
Sensibilität für die Betroffenen. Polizisten gehen mit Reizgas gegen | |
Demonstranten vor. | |
Nach dem Anschlag in der Türkei: Hinweise auf IS-Miliz | |
Ermittler verdächtigen den IS, für den Anschlag von Ankara verantwortlich | |
zu sein. Die HDP spricht von 128 Toten. Und die Türkei bombardiert | |
PKK-Stellungen. | |
Terroranschlag in der Türkei: Auf der Suche nach den Tätern | |
Nach dem Attentat in Ankara flammen in der Türkei Proteste auf. Die Tat | |
könnte den Konflikt zwischen Regierung und der kurdischen PKK weiter | |
anheizen. | |
Anschlag auf Friedensdemo in Türkei: 30 Tote bei Terrorakt in Ankara | |
Bei einer Explosion kurz vor einer Demonstration für Frieden sind | |
mindestens 30 Menschen ums Leben gekommen. Wahrscheinlich war es ein | |
Terrorakt. | |
Gespräche der EU mit Erdogan: „Der bestmögliche Partner“ | |
Der türkische Präsident Erdogan wird in Brüssel wieder hofiert. Der Grund: | |
Er soll der EU die Flüchtlinge vom Hals halten. | |
Kommentar Krieg und Wahl in der Türkei: Erdoğans Fehlkalkulation | |
Türkeis Präsident will die kurdisch-linke HDP kriminalisieren. Laut neuen | |
Umfragen kann Erdogan mit seiner Strategie durchaus scheitern. | |
Kommentar Türkei: Die Geister, die Erdogan rief | |
Die Sonderjustiz gegen Generäle in der Türkei droht zu einem Staat im | |
Staate zu werden. Ministerpräsident Erdogan wehrt sich und gerät unter | |
Druck. |