# taz.de -- Am Tag nach Anschlag von Ankara: „Wir steuern auf die Katastrophe… | |
> Die Staatsmacht zeigt nach dem Terroranschlag in der Türkei wenig | |
> Sensibilität für die Betroffenen. Polizisten gehen mit Reizgas gegen | |
> Demonstranten vor. | |
Bild: Die Verwandte eines Opfers weint am Sonntag über dessen Sarg bei der Bee… | |
BERLIN taz | | Verzweiflung, Trauer, Wut – das sind die vorherrschenden | |
Gefühle in der Türkei einen Tag nach dem schlimmsten Terroranschlag in der | |
Geschichte des Staates. Verzweiflung bei Angehörigen, Freunden und | |
Bekannten der bis jetzt 95 Todesopfer in Ankara. Trauer und | |
Fassungslosigkeit im Rest des Landes darüber, dass so eine Gewaltexplosion | |
möglich war. Nicht zuletzt aber herrscht eine große Wut bei Kurden und | |
allen anderen Unterstützern und Anhängern der kurdisch-linken | |
Demokratischen Partei der Völker (HDP), dass die türkischen | |
Sicherheitskräfte zum dritten Mal innerhalb weniger Monate einen schweren | |
Angriff auf eine HDP-Veranstaltung nicht verhindert haben. | |
„Wie sollen wir glauben, dass ein Staat, dessen Geheimdienst überall | |
präsent ist, von der Vorbereitung eines solchen Terroranschlages nichts | |
mitbekommen haben will“, fasst der Co-Vorsitzende der HDP, Selahattin | |
Demirtaș, das verbreitete Gefühl bereits kurz nach dem blutigen Geschehen | |
vom Samstag zusammen. „Der Staat hat Blut an den Händen.“ | |
Ministerpräsident Ahmet Davutoğluweist diesen Vorwurf entrüstet zurück. | |
Aber die Staatsmacht zeigt auch am Tag nach dem Terroranschlag auf die | |
Friedensdemonstration von HDP und verschiedenen linken Gewerkschaften wenig | |
Sensibilität für die Betroffenen: Als der Parteichef Demirtașund die zweite | |
Vorsitzende der HDP, Figen Yüksekdağ, am Sonntagmorgen Nelken am Tatort | |
niederlegen wollen, hindert die Polizei sie daran. | |
## Luftwaffe bombardiert erneut PKK | |
Bei Protestdemonstrationen am Samstagabend in Ankara, Istanbul, Izmir und | |
weiteren Städten gehen die Sicherheitskräfte mit Reizgas auf die | |
Demonstranten los, es kommt zu etlichen Festnahmen. Ebenfalls am Wochenende | |
bombardiert die Luftwaffe erneut Stellungen der PKK, obwohl diese | |
angekündigt hatte, ihre Angriffe vorläufig einzustellen. | |
Vor den insgesamt 19 Krankenhäusern, in denen in Ankara beim Attentat bis | |
Sonntag rund 160 Verletzte versorgt werden, von denen rund 40 in | |
Lebensgefahr schweben, warten zahlreiche Angehörige. Immer wieder erfahren | |
sie, dass die Zahl der Todesopfer nach oben korrigiert wird. | |
Derweil versammeln sich auf dem Sıhhiye-Platzim Zentrum Ankaras erneut | |
Tausende wütende Menschen, die die Regierung in Sprechchören als „Mörder“ | |
bezeichnen und den Rücktritt von Präsident Recep Tayyip Erdoğanfordern. | |
## Stahlkugeln für maximalen Schaden | |
Die Bomben von vermutlich zwei Selbstmordattentätern – nach letzten | |
Meldungen einer Frau und einem Mann – waren mit kleinen Stahlkugeln | |
gefüllt, um maximalen Schaden anzurichten. Die Art der Bombe soll nahezu | |
identisch mit dem Sprengsatz sein, den türkische Sympathisanten des | |
„Islamischen Staates“ am 20. Juli in Suruçunter jugendlichen Helfern für | |
den Wiederaufbau in Kobani zündeten und damit 33 Menschen töteten. | |
Nach Informationen türkischer Medien wird deshalb nun auch der ältere | |
Bruder des Suruç-AttentätersȘeyhAbdurrahman Alagöz gesucht, der wie dieser | |
beim IS in Syrien zum Selbstmordattentäter geschult wurde. Bestätigt sich | |
diese Spur, ist umso mehr zu fragen, warum das Attentat nicht verhindert | |
wurde, den angeblich wird fahndet die Polizei schon seit Suruçintensiv nach | |
Yunus Emre Alagöz. | |
Unterdessen hat die türkische Regierung am Sonntag eine dreitägige | |
Staatstrauer verhängt und alle Wahlkampfauftritte für die am 1. November | |
bevorstehenden Neuwahlen zum Parlament abgesagt. Eine Sonderkommission von | |
mehr als hundert Polizisten soll den Anschlag nun aufklären. In Konya | |
wurden bereits 14 angebliche IS-Anhänger festgenommen. | |
## „Polarisierung, Starrsinn und Maximalismus“ | |
Davutoğlubemüht sich immerhin um ein Zeichen der Geschlossenheit und lud am | |
Sonntag alle Parteiführer zu einem Treffen ein. Das fand dann allerdings | |
lediglich mit dem CHP-Parteivorsitzenden und Oppositionsführer Kemal | |
Kılıçdaroğlustatt, der schon nach der Wahl im Juni mit Davutoğluüber eine | |
Große Koalition verhandelt hatte. Diese war dann aber von Erdoğanverhindert | |
worden. | |
Weder die HDP noch die ultranationalistische MHP kamen zu dem Treffen. | |
„Durch Polarisierung, Starrsinn und Maximalismus auf allen Seiten“, | |
kommentierte denn auch der angesehene Historiker Halil Berktay am Sonntag, | |
„steuern wir jetzt auf die Katastrophe zu“. | |
11 Oct 2015 | |
## AUTOREN | |
Jürgen Gottschlich | |
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