# taz.de -- Nach dem Anschlag in Ankara: Schock und Misstrauen | |
> Demonstranten werfen der Regierung vor, sie nicht zu schützen. Noch ist | |
> unklar, wer hinter dem verheerenden Anschlag in Ankara steht. | |
Bild: Die zweite Bombe explodierte nur Sekunden später. | |
ANKARA t |az | Samstagnachmittag in Ankara: Die Rettungsfahrzeuge haben die | |
letzten Verwundeten schon abtransportiert, die Forensiker bahnen sich ihren | |
Weg zwischen den fast hundert Toten, die in unnatürlich verzerrter Haltung | |
auf der Straße und dem Bürgersteig liegen. | |
Diejenigen, die zusehen – Überlebende der geplanten Friedenskundgebung, | |
Angehörige der Opfer und Journalisten – verhalten sich merkwürdig ruhig. | |
Etwa hundert Meter weiter hört man eine Frau, die laut auf einen Polizisten | |
einredet. Aber auf meiner Seite der polizeilichen Absperrung redet niemand. | |
Die Gesichter sind düster, bedrückt. | |
Vor fünf Stunden war dies ein ganz normaler Platz. Überwachungskameras | |
zeigen, wie junge Leute vor der Fassade des Hauptbahnhofs von Ankara Halay | |
tanzen, einen kurdischen Tanz. Sie warten auf den Abmarsch in die | |
Innenstadt, um nach elf Wochen Kämpfen zwischen der kurdischen PKK und den | |
türkischen Sicherheitskräften für „Frieden und Demokratie“ zu | |
demonstrieren. | |
Um 10.04 Uhr explodiert die erste Bombe. Die Tänzer zucken zusammen, Leute | |
rennen in alle Richtungen. Sekunden später explodiert eine zweite Bombe, 50 | |
Meter von der ersten entfernt. Videos, die ins Internet gestellt wurden, | |
zeigen, wie Dutzende von Leuten ihren Schock überwinden und sich um die | |
Verletzten sammelten. Am Anschlagsort sind viele Ärzte zugegen, da die | |
Türkische Medizinische Vereinigung eine der zivilgesellschaftlichen | |
Organisationen ist, die zu der Demonstration aufgerufen hat. | |
Einer der Organisatoren setzt sich laut schluchzend hin, sein Megafon | |
zwischen den Beinen. Aber die Ärzte versuchen, mit Wiederbelebungsmaßnahmen | |
Schwerverletzte zu retten, andere tragen Verwundete oder beruhigen sie. Auf | |
diesen Videofilmen, die in den ersten Minuten nach den Explosionen | |
aufgenommen wurden, sind keine Rettungssanitäter zu sehen. Es waren die | |
Demonstranten selbst, die die Sache in die Hand genommen haben und dabei | |
das Risiko weiterer Explosionen eingingen. | |
Als ich eintreffe, sind die staatlichen Sanitäter bereits vor Ort. Die | |
Demonstranten haben die Toten mit ihren Transparenten und den | |
Gewerkschaftsfahnen bedeckt, die sie für den Marsch mitgebracht hatten. | |
## Der Platz ist abgesperrt | |
Gruppen von Bereitschaftspolizisten haben den Platz abgesperrt, aber erst | |
viel später gesichert, als es nötig gewesen wäre. Eine Demonstrantin geht | |
zu einem behelmten Polizisten und ruft: „Sie wissen, wer das getan hat! Sie | |
schützen die AKP, uns aber nicht!“ sagt sie. Die AKP ist die Partei für | |
Recht und Entwicklung von Präsident Recep Tayyip Erdoğan. | |
Gunesh, eine Architekturstudentin, ist aus der südlichen Stadt Antalya mit | |
38 KollegInnen gekommen, um sich dem Marsch anzuschließen. Jetzt fürchtet | |
sie, dass einige von ihnen unter den Toten sind. Wie viele in der Menge hat | |
Gunesh keinen Beweis dafür, dass die Regierung mit den Tätern unter einer | |
Decke steckt, aber sie beschuldigt die Polizei, die Demonstranten nicht | |
geschützt zu haben, die fast alle der Regierung kritisch gegenüberstehen. | |
Später kommen zwei Minister des Regierungskabinetts in einem Konvoi heran. | |
Aus der Menge sind Buhrufe zu hören. „Der Killer-Staat wird dafür teuer | |
zahlen!“, singen einige. Die Minister eilen davon. | |
Am Sonntag gehe ich zurück an den Ort des Anschlags. Das Blut ist von der | |
Straße gewaschen worden, Spuren sind noch da. | |
Ein Strauß roter Nelken liegt auf der Straße, zwischen den beiden Stellen, | |
an denen die Bomben explodierten. Einige Nelken sind zerdrückt, aber die | |
meisten Fahrer lenkten ihren Wagen vorsichtig daran vorbei. | |
11 Oct 2015 | |
## AUTOREN | |
Jasper Mortimer | |
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