# taz.de -- Erstunterkünfte für Flüchtlinge: Zelten bei Minusgraden | |
> Im Winter wird die Frage der Unterbringung noch drängender. Tausende | |
> Flüchtlinge müssen in Zelten schlafen. Alternativen sind rar. | |
Bild: Auch hier im Münchner Aufnahmezentrum für Flüchtlinge wird es kälter | |
BERLIN taz | Die weißen Zelte sehen auf den ersten Blick aus, als wäre hier | |
ein Fest geplant. Doch sie stehen mitten auf einem zügigen Münchner | |
Industriegelände, zwischen Baumärkten und einem Großbordell, das | |
potenziellen Kunden in Großbuchstaben verspricht: „Du kommst als Fremder | |
und gehst als Freund!“ | |
Diese Zelte, daneben ein paar Container, sind das „Aufnahmezentrum“, das | |
erste Zuhause der Flüchtlinge in München, wo sie auf ihre Registrierung | |
warten. | |
Es hat an diesem Tag im Oktober knapp über 10 Grad und regnet in Strömen. | |
In ihrer ersten Nacht auf Münchner Boden werden die Flüchtlinge von beidem | |
nur durch die Zeltwand getrennt sein. | |
Immerhin: Die Zelte haben verstärkte Planen, sind beheizt – und eine | |
Übergangslösung. Hier bleiben die Flüchtlinge meist nur für ein bis zwei | |
Tage, bevor sie auf wetterfestere Erstaufnahmeeinrichtungen verteilt | |
werden. Außerdem kommen in die Zelte vor allem die Männer, während Frauen | |
und Kinder in den angrenzenden Wohncontainern untergebracht werden. | |
## Container sind teuer, Feldbetten gehen langsam aus | |
Anders sieht es in Hessen aus. Hier leben derzeit knapp 6.000 Flüchtlinge | |
in Zeltunterkünften. Ein Ende dieses Zustands ist nicht in Sicht, gesteht | |
das Hessische Ministerium für Soziales und Integration: „Wir setzen derzeit | |
alles daran, noch in diesem Jahr weitere feste Plätze zu schaffen, aber die | |
Herausforderung ist riesig.“ | |
Momentan prüfe man landesweit rund 80 Liegenschaften und | |
Unterbringungsmöglichkeiten – darunter Kasernen, aber auch Tragluft-, | |
Leichtbauhallen sowie Container und Holzhäuser. | |
Bis dahin sollen die Zelte möglichst winterfest gemacht werden, erklärt | |
Harald Merz vom Regierungspräsidium Kassel, wo im Vorort Calden derzeit | |
1.300 Menschen in Zelten schlafen. Die Wände würden mit Faserplatten | |
isoliert, Dächer stabilisiert, den Menschen mehr Decken und Schlafsäcke zur | |
Verfügung gestellt. Kleinere „Familienzelte“ für 12 bis 13 Personen könn… | |
aber lediglich notdürftig beheizt werden. | |
„Spätestens wenn die Temperaturen unter null fallen, kann man in den | |
kleinen Zelten niemanden mehr unterbringen“, sagt Merz. Man wolle sie durch | |
Container ersetzen, aber deren Beschaffung werde immer schwieriger: „Die | |
Nachfrage steigt, die Preise erst recht“, beklagt Merz. Auch gingen Feld- | |
und Stockbetten langsam aus, Wasserleitungen und Abwasserkanäle seien noch | |
nicht winterfest. | |
## „Ein integrationspolitisches Desaster“ | |
Solche kurzfristigen Lösungen reichen nicht, kritisiert Günter Burkhardt, | |
Geschäftsführer von Pro Asyl: „Wir bewegen uns sehenden Auges auf | |
menschenunwürdige Dauerzustände in den Erstaufnahmeeinrichtungen zu.“ | |
Er fordert ein Umdenken in der Politik: Viele Flüchtlinge hätten über ihre | |
Community die Möglichkeit, in eine feste Wohnung zu ziehen. Laut Gesetz | |
müssen sie aber zunächst in einer Erstaufnahmeeinrichtung untergebracht | |
werden. Diese Vorgabe nennt Burkhardt ein „integrationspolitisches | |
Desaster“. | |
Auch Hamburg wird viele Flüchtlinge im Winter provisorisch unterbringen. Im | |
letzten Monat schliefen über 4.000 Menschen in Zelten, teilt die zuständige | |
Behörde mit. Nicht überall seien bisher Heizungen eingebaut. | |
Mira Knödler vom Flüchtlingsrat Hamburg beschreibt Zelte ohne Boden, in | |
denen nur Feldbetten stünden: „Dort sollen die Flüchtlinge nur kurz | |
bleiben, warten aber manchmal bis zu zehn Tage lang.“ Sie höre von | |
verschimmelter Kleidung und Krankheiten aufgrund von Nässe und Kälte. Die | |
Ursache sei schlechte Planung: „Die Stadt hätte die Überfüllung der | |
Flüchtlingsheime voraussehen müssen.“ | |
## Besonders trifft die Kälte Kranke und Verletzte | |
Selbst wenn die Wohnzelte einigermaßen winterfest sind: Vielerorts müssen | |
die Flüchtlinge durch die Kälte in andere Zelte oder Gebäude laufen, um | |
sich zu waschen und etwas zu essen. | |
Der Winter macht Menschen mit Krankheiten oder Kriegsverletzungen besonders | |
zu schaffen. Davon gibt es gerade unter syrischen Flüchtlingen viele. In | |
Hamburg werden Dringlichkeitslisten geführt, um für Verletzte, Kranke und | |
Schwangere schneller feste Unterkünfte zu bekommen. | |
In München sollten eigentlich im Dezember die wenigen Zelte durch | |
Wohncontainer, die bisher auf dem Messegelände am anderen Ende der Stadt | |
stehen, ersetzt werden. Allerdings ist der Transport der Container nun doch | |
teurer als gedacht. Und so besteht auch hier die Möglichkeit, dass die | |
Flüchtlinge ihre ersten Nächte in München bei Minusgraden in Zelten | |
verbringen müssen – wenngleich die hier aufgestellten Modelle als | |
„winterfest“ gelten. | |
Die zuständige Regierung Oberbayern sieht den kalten Monaten jedenfalls | |
gelassen entgegen: „Selbstverständlich werden die Flüchtlinge nicht | |
frieren“. | |
10 Oct 2015 | |
## AUTOREN | |
Johanna Roth | |
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