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# taz.de -- Merkels Flüchtlingspolitik: Um die Kanzlerin wird es einsam
> Die CSU rebelliert sowieso, aber jetzt geht Merkel auch noch die SPD von
> der Fahne. Aber Merkel hat zwei sehr wichtige Verbündete.
Bild: Selfiestar Merkel: Die Kanzlerin ist als Fotomotiv beliebt – hier mit G…
Doch, sie unterscheiden sich voneinander, die Bundeskanzlerin und die
hinduistische Göttin Durga. Beide gelten als schwer zu durchschauen, beiden
wird Kraft, Wissen und ein großer Machtwille nachgesagt. Aber Durga
besitzt, je nach historischer Darstellung, bis zu zwanzig Arme, mit denen
sie einen frechen Büffeldämon erschlagen, eine Blume halten und noch viele
andere Sachen erledigen kann.
Solche Multitasking-Fähigkeiten mag sich Angela Merkel (CDU) vielleicht
auch gerade wünschen. Während die Kanzlerin Indien bereist, dort die
Softwareindustrie lobt, eine Solarpartnerschaft verabredet und eine von
einem deutschen Museum erworbene, aber ursprünglich gestohlene Steinstatue
der Göttin Durga zurückgibt, tobt in Deutschland ein Kampf um die
Lufthoheit über den Stammtischen: Kollabiert das Land angesichts der
Flüchtlingszahlen? Geht Merkel nach der CSU jetzt auch die SPD von der
Fahne? Stimmt ihr Satz, beim Asyl gebe es keine Obergrenze?
Am Montag übernahm es CDU-Generalsekretär Peter Tauber, die abwesende
Kanzlerin zu verteidigen. „Unser Kurs ist klar: Wir wollen Fluchtursachen
bekämpfen, EU-Außengrenzen sichern und diejenigen zügig abschieben, die
keinen Anspruch auf Asyl haben“, sagte Tauber der taz. Das mache die CDU,
damit sie denen helfen könne, die wirklich Schutz bräuchten. Er fügte
hinzu: „Ich bin überzeugt, dass dieser Kurs auch von CSU und SPD
mitgetragen wird.“
Taubers Satz darf man getrost als Ordnungsruf in Merkels Auftrag
interpretieren. Während CSU-Chef Horst Seehofer schon länger fordert, die
Zuwanderung hart zu begrenzen, äußerten am Wochenende erstmals führende
Sozialdemokraten Zweifel. SPD-Chef Sigmar Gabriel sagte, man nähere sich
rasant „den Grenzen unserer Möglichkeiten“, andere Spitzengenossen
assistierten. Merkel steht also plötzlich ganz links in der Regierung. Und
sie steckt in der Klemme.
## Merkel steckt in der Klemme
Denn die Situation wird sich zuspitzen, davon muss man im Moment ausgehen:
Die Zuwandererzahlen werden hoch bleiben, auch wenn die 1,5 Millionen
Menschen, die die Bild-Zeitung unter Berufung auf ominöse Geheimakten für
das Jahr 2015 vorhersagte, wohl zu hoch gegriffen sind. Die CSU wird ihre
Rhetorik radikalisieren, wissend, dass die Skepsis längst auch in Merkels
CDU regiert. Und die Sozialdemokraten sind offenbar fest entschlossen,
Ängste in der Bevölkerung ebenfalls aufzugreifen.
Allerdings ist Merkel in dieser Gemengelage nicht allein. Hinter ihr stehen
zwei wichtige Verbündete, und damit sind nicht Getreue wie Fraktionschef
Volker Kauder, Kanzleramtschef Peter Altmaier oder Generalsekretär Tauber
gemeint. Nein, der erste Verbündete ist das Grundgesetz. Die Kanzlerin
bezieht sich in ihren Interviews auf Artikel 16a der Verfassung, in dem
festgeschrieben ist, dass politisch Verfolgte Asyl genießen. Jenes
Grundrecht wurde unter Helmut Kohl 1993 eingeschränkt, wer aus einem
EU-Land oder einem sicheren Drittstaat einreist, kann sich seitdem nicht
mehr darauf berufen. Merkels Union will jetzt gemeinsam mit der SPD und den
Grünen das Asylrecht weiter verschärfen.
Merkels Haltung wirkt angesichts des dumpfen CSU-Populismus progressiv, sie
ist es aber nicht wirklich. Die Kanzlerin hält nur den Mindeststandard
hoch, den der Staat Verfolgten sowieso gewähren muss. Bei
Armutsflüchtlingen aus dem Westbalkan oder von anderswoher kennt sie kein
Pardon. Bisher hat kein Spitzenpolitiker vorgeschlagen, dieses Grundrecht
auf Asyl ernsthaft anzutasten – wenn man vom CSU-Dampfplauderer Markus
Söder mal absieht. Denn die rechtlichen und politischen Hürden wären enorm.
Spitzenleute von CSU und SPD setzen sich also rhetorisch von Merkel ab,
aber der Dissens ist kleiner, als es scheint.
Merkels zweite Verbündete ist sie selbst, oder präziser: ihre
Alternativlosigkeit. Viel spricht dafür, dass sie 2017 wieder als
CDU-Spitzenkandidatin antreten wird. Ebenso viel spricht dafür, dass sie
erneut Kanzlerin wird, zumindest ist kein aussichtsreicher SPD-Gegner in
Sicht. Das ist allen in der Union klar, auch dem CSU-Chef. Die Machtlogik
aber schlägt in der Union traditionell inhaltliche Bedenken. Merkel ist
also durch das Flüchtlingsthema nicht so geschwächt, wie es scheint.
5 Oct 2015
## AUTOREN
Ulrich Schulte
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