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# taz.de -- Interview mit der BVG-Chefin: „Fahrerinnen kommen sehr gut an“
> Seit fünf Jahren leitet Sigrid Evelyn Nikutta die Berliner
> Verkehrsbetriebe. Ein Gespräch über Frauenförderung, neue U-Bahn-Linien
> und grummelnde Busfahrer.
Bild: Fährt für die Presse auch mal selbst den Bus: BVG-Vorstandsvorsitzende …
taz: Frau Nikutta, in einer Stadt, in der sich Bauprojekte quasi
zwangsläufig verzögern, wagen wir kaum zu fragen: Ist der Zeitplan bei der
U5 zu halten?
Sigrid Evelyn Nikutta: Die erste Röhre ist fertig, die zweite hat in diesen
Tagen auch das Brandenburger Tor erreicht. Wir sind damit im aktuellen
Zeitplan. Die Tunnelröhren sind also fertig, aber eröffnen können wir die
Linie erst 2020, da noch die Bahnhöfe gebaut werden müssen. Der
anspruchsvollste ist der an der Museumsinsel.
Was ist daran das Problem?
Die beiden parallelen Röhren müssen nachträglich aufgebrochen und zum
Bahnhof vereinigt werden. Dazu brauchen wir einen tragfähigen Frostkörper,
der uns vor dem Grundwasser schützt und den Sand stabilisiert. Einen
tragfähigen Eiskörper aus dem Wasser und dem Sand herzustellen, der die
erforderliche Sicherheit bringt, aber dennoch nicht zu hart ist, ist bei
über 20 Meter Tiefe nicht so einfach. Ich vergleiche das immer mit einem
Kuchen aus dem Kühlregal, den man nur gefroren gut schneiden kann. Zu hart
darf er aber auch nicht sein.
Der U5-Lückenschluss ist auch wegen solcher Herausforderungen sehr teuer.
Billiger sind Hochbahnen: Im Gespräch ist eine oberirdische Verlängerung
der U1 von der Warschauer Straße bis zum Ostkreuz. Wie konkret ist das?
Die Gesamtverantwortung für den Ausbau des Streckennetzes liegt bei der
Senatsverkehrsverwaltung. Aber die Idee kommt von uns, weil wir hier ein
window of opportunity sehen. Der Bahnhof Ostkreuz wird nach den
Umbauarbeiten noch mehr als heute schon ein wichtiger Umsteigepunkt sein.
Es macht also Sinn, auch die U-Bahn hier anzubinden. Und im Zuge der
aktuellen Bauarbeiten wäre es doch sinnvoll, vorsorglich die Fundamente für
die U-Bahn in Hochlage zu legen. Wir sind dazu in der Diskussion mit der
Deutschen Bahn und der Senatsverwaltung.
Die Tramstrecke zum Hauptbahnhof hat lange gedauert, seit diesem Jahr ist
es endlich so weit. Ein Stückchen fahren die Straßenbahnen jetzt schon nach
Moabit hinein. Bis wohin sollten sie einmal kommen?
Wir sind sicher, dass wir die Strecke bis zur Turmstraße weiterführen
werden. Perspektivisch sollte man auch noch weiter gehen, auch darüber gibt
es einen Konsens mit der Senatsverwaltung. Die Fragezeichen sind der
Zeitpunkt und das Geld.
Erwarten Sie da Widerstand durch Anwohner? In der Sonntagstraße am Ostkreuz
gibt es den – dabei ist das traditionelles Tramland.
Wie bei jedem Großprojekt wird es auch bei der Straßenbahn Befürworter und
Gegner geben. Jeder hätte sie gern in seiner Nähe – nur nicht vor der
Haustür. Aber wenn wir die Tram ausbauen wollen, müssen wir irgendwann
entscheiden, wo konkret sie entlangführen soll.
Bleibt es denn perspektivisch bei punktuellen Erweiterungen oder wächst das
Tramnetz wieder in den Westen hinein?
Ich bin da optimistisch. Schließlich sagt auch der Verkehrssenator ganz
klar, dass das Wachstum von Berlin nur mit dem Ausbau des ÖPNV zu
bewältigen sein wird. Das ist auch meine Grundüberzeugung: Mit mehr Autos
kann man das nicht lösen.
Lassen Sie uns über Geld reden. Ihrem letzten Geschäftsbericht zufolge
könnte es der BVG kaum besser gehen.
Wir haben zum ersten Mal seit dem Krieg schwarze Zahlen geschrieben und
sind schwer gewillt, das weiterhin zu tun. Andererseits gibt es einen
extrem hohen Investitionsbedarf. Die BVG hat in den vergangenen Jahrzehnten
immer von der Substanz gezehrt, das muss man als Land Berlin ganz klar
sagen. Nicht umsonst haben wir Schulden von rund 700 Mio Euro. Da ist mehr
gefahren worden, als man sich leisten konnte.
Kommen die schwarzen Zahlen daher, dass Sie die Investitionen
runtergefahren haben?
Nein. Die wurden durch deutlich steigende Fahrgastzahlen geschrieben und
dadurch, dass wir die reinen Betriebskosten relativ konstant halten
konnten. Aber der Bedarf an neuen Fahrzeugen und das Alter der
Infrastrukturanlagen erfordert große Investitionen. Sowohl die ganz alten
U-Bahnhöfe als auch die aus den 60ern haben hohen Sanierungsbedarf – die
einen, weil sie zum Teil 90 Jahre alt sind, die anderen, weil die Bauweise
nicht auf Nachhaltigkeit ausgerichtet war. In den letzten Jahren haben wir
relativ kontinuierlich investiert, unser Standpunkt ist ganz gut. Trotzdem
glauben wir, dass wir 50 bis 100 Millionen Euro pro Jahr mehr brauchen.
Können Sie mit dem Haushaltsplan für 2016/17 leben?
Der Haushaltsentwurf liegt immer leicht im Schmerzbereich, das ist wohl
systemimmanent. Wir werden damit leben können, aber es wird schon knackig.
Allzu viel Extrageld können Sie auch durch die jüngste Tariferhöhung von
1,8 Prozent nicht erwarten. Sie wurde zum zweiten Mal durch einen
Preissteigerungsindex ermittelt. Kein unumstrittenes Instrument.
Ich betrachte ihn als guten Maßstab für die Tarifentwicklung, gerade weil
er nachvollziehbar ist. Deshalb akzeptieren ihn nicht nur Verkehrsverbünde
oder Energieunternehmen, sondern auch Gewerkschaften und
Arbeitgeberverbände als Berechnungsgrundlage.
Kritiker sagen, Preise müssten auch mal sinken können, und das gehe nur
durch politische Entscheidungen.
Preissenkungen sind theoretisch möglich. Nur muss dann die Politik
entscheiden, wie sie das Geld aufbringt, um das Verkehrsangebot zu
finanzieren. Es will mit Sicherheit niemand, dass das Angebot kleiner wird.
Im Gegenteil: Die Stadt wächst und der Nahverkehr muss und soll mitwachsen.
Nach dem ersten Shitstorm läuft die BVG-Imagekampagne ganz gut. Trotzdem
denken viele Kunden bei „BVG“ immer noch als Erstes an einen grummeligen
Busfahrer.
Busfahren in Berlin ist wirklich kein leichter Job. Hinter dem Steuer
tragen Sie die Verantwortung für alle Fahrgäste, fahren in einer Schicht
bis zu 200-mal eine Haltestelle an und zurück in den laufenden Verkehr. Das
erfordert höchste Konzentration und Können. Ja, und wir erwarten zu Recht,
dass alle Fahrgäste höflich und zuvorkommend behandelt werden. Das ist
nicht immer einfach, aber die allermeisten Fahrerinnen und Fahrer meistern
das Tag für Tag. Die Leute, die zu uns kommen, wollen hier arbeiten und
sind sehr motiviert. Klar, die haben auch mal einen schlechten Tag. Mein
Lieblingsspruch ist da: Bei uns ist der Kunde König, aber Könige wissen
sich zu benehmen.
Apropos: Vor einiger Zeit häuften sich Meldungen über Gewalt in Fahrzeugen
und Bahnhöfen. Trifft der Eindruck zu, dass es ruhiger geworden ist?
Er trifft zu. Die Gewaltdelikte gehen zurück, und das hat zum einen zu tun,
dass wir mehr Sicherheitsleute auf den Bahnhöfen einsetzen. Der Hauptpunkt
ist aber die komplette Videoüberwachung. Bei uns ist heute jeder Winkel mit
Videokameras ausgeleuchtet. Das hat eine abschreckende Wirkung, weil es
ermöglichen kann, Täter zu fassen. Das hat auch der Mordfall Hanna im Mai
gezeigt. Der Täter wäre wohl ohne das Videomaterial der BVG nie gefasst
worden.
Aber Videokameras sind ein sensibles Thema.
Es sitzt doch niemand da und beobachtet Sie die ganze Zeit. Sequenzen
werden nur auf Anfrage der Polizei herausgesucht, und die Kameras
überschreiben das Material alle 48 Stunden. Was den Gewaltrückgang angeht,
haben wir aber auch Maßnahmen ergriffen, um unsere Kollegen zu schützen.
Wir bieten Deeskalationstrainings an, es gibt die „Hinter-Ohr-Scheiben“,
die Busfahrer vor Angriffen schützen, und einen Notfallknopf, der im
Bedarfsfall sofort mit der Leitstelle verbindet.
Das Ausbildungsjahr hat gerade begonnen. Viele Betriebe klagen über
mangelnde Vorbildung der Bewerber. Sie auch?
Da zitiere ich immer Aristoteles: „Ich habe überhaupt keine Hoffnung mehr
in die Zukunft unseres Landes, wenn einmal unsere Jugend die Männer von
morgen stellt. Unsere Jugend ist unerträglich, unverantwortlich und
entsetzlich anzusehen.“ Sie sehen, die ältere Generation beschwert sich
seit je über die jüngere. Wir können das nicht bestätigen, im Gegenteil.
Wir haben ausreichend Bewerbungen und Auszubildende, die in vielen
Bereichen wirklich fit sind. Die Kompetenzen entwickeln sich ja auch
weiter. Die jungen Leute haben zum Beispiel eine ganz andere
Selbstständigkeit als früher und gehen souveräner mit modernen Medien um.
Fördern Sie Frauen besonders?
Das ist eines meiner Lieblingsthemen! Die BVG ist ja ein klassischer
Männerladen. Der Frauenanteil lag insgesamt immer bei 15 Prozent, auch weil
wir viele technische Berufe und Fahrer haben. Deshalb haben wir gesagt: Wir
greifen strukturell ein und besetzen die Hälfte der Neueinstellungen mit
Frauen. Das ist in den Zielvereinbarungen der Abteilungen verankert. Viele
Kollegen fanden das erst nicht so prickelnd, weil es zugegebenermaßen
Bereiche gibt, in denen es schwierig ist, eine Frau für den Job zu finden.
Wenn ich Ingenieure für Elektrotechnik suche, bin ich froh über jeden
qualifizierten Bewerber.
Und ist der Anteil gewachsen?
Wir liegen jetzt bei 18 Prozent, bis 2022 wollen wir 25 Prozent erreichen.
Gerade auf den Betriebshöfen brauchen wir dazu erst mal eine gewisse Anzahl
an Frauen. Sie müssen Teamstärke erreichen und dürfen keine einsamen
Orchideen sein. Deshalb bilden wir ein paar Jahre lang mehr Frauen aus und
stellen jedes Jahr 60 Busfahrerinnen ein. Die kommen übrigens sehr gut an,
bei den Kollegen wie bei den Fahrgästen.
8 Oct 2015
## AUTOREN
Claudius Prößer
Julia Schnatz
## TAGS
BVG
ÖPNV
Sigrid Nikutta
Sigrid Nikutta
Verkehr
BVG
Elektromobilität
Straßenbahn
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