# taz.de -- „Angekommen – Flüchtlinge erzählen“: Sprache, Arbeit, Hoffn… | |
> Im Iran durfte ich kein Journalist sein. Exil war für mich undenkbar. | |
> Jetzt warte ich in Berlin auf ein normales Leben. | |
Bild: Vielleicht muss ich das eigene Land verlassen. Es war am Anfang nur ein G… | |
Ein wenig Bitteres | |
darf in allem sein, Im Wort des Freundes, | |
und im Liebeskuß – Warum nicht auch im Wein? | |
Aus dem Gedicht „Vor dem Gewitter“ von Georg Britting | |
„Ein wenig Bitteres darf in allem sein“ steht als eine Metapher für meine | |
Lebensanschauung im Exil. Vielleicht wird diesem Gedicht in deutscher | |
Sprache nicht unbedingt eine philosophische Bedeutung beigemessen, aber als | |
seine persische Übersetzung veröffentlicht wurde – in einem | |
Sammelgedichtband der deutschsprachigen Dichterinnen und Dichtern, | |
übersetzt von der iranischen Lyrikerin Forough Farrokhzad – da hatte es in | |
Journalistenkreisen Echo gefunden. Viel mehr als andere Gedichte dieses | |
Buches. | |
Vielleicht, weil iranische Journalisten oft mit Bedrohung, Gefängnis und | |
Folter konfrontiert sind. Und trotzdem nehmen sie all diese Unterdrückungen | |
als bitteren Beigeschmack ihres Berufes in Kauf. | |
Noch bitterer für viele iranische Journalisten ist aber das Exilleben. | |
Manche meiner Kollegen würden deshalb lieber im Gefängnis sitzen als ins | |
Exil gehen. So habe ich auch immer gedacht. Auswanderung und Exilleben | |
waren für mich in meiner 15-jährigen Karriere unvorstellbar. | |
Die Ereignisse nach der Präsidentenwahl 2009 haben aber eine andere | |
politische Situation hervorgebracht. Langjährige Gefängnisstrafen für | |
Journalisten, die die Wahrheit vermitteln wollten, haben manche Kollegen | |
zur Flucht aus dem Land gezwungen – was auch in meinem Fall stimmt. | |
Wenn man im Iran in Einzelhaft sitzt, ist das Koranlesen die einzige | |
Möglichkeit, sich die Zeit zu vertreiben, denn die Gefangenen haben keinen | |
Zugang zu Zeitungen, Zeitschriften und Büchern, außer dem Koran. 2011, als | |
ich bereits ein Jahr im Gefängnis saß, bin ich auf einen Vers im Koran | |
gestoßen, in dem erzählt wird, dass am Jüngsten Tag eine Gruppe von | |
Menschen bestraft wurde, die Ungerechtigkeit ausgesetzt war. Die | |
Begründung: „Ihr musstet gegen Ungerechtigkeit kämpfen, oder wenn ihr nicht | |
in der Lage wart zu kämpfen, musstet ihr in ein anderes Land auswandern.“ | |
Ich sah mich nicht in der Rolle eines Kämpfers, sondern eines Journalisten, | |
der die Wahrheit spiegeln wollte. Das wurde von der Regierung nicht | |
geduldet. Zum ersten Mal kam es mir in den Sinn: Vielleicht muss ich das | |
eigene Land verlassen. Es war am Anfang nur ein Gedanke. Um mich endgültig | |
zu entscheiden, musste ich lange nachdenken und mit mir kämpfen. Zeit zum | |
Nachdenken hat man in der Einsamkeit der Einzelhaft mehr als genug. | |
Ich bleibe nicht in diesem Haus. | |
Ich bin nur zu Gast unter diesem Dach. | |
Diese Strophe eines modernen persischen Lieds war Ausdruck meines | |
seelischen Zustands nach der Entlassung aus der Haft. Ich habe sie oft vor | |
mich hin gesummt. Sie bedeutete damals für mich, dass ich nicht mehr in | |
meiner Heimat bleiben kann. Nun, nach mehr als zwei Jahren Exilleben, ist | |
sie mir immer noch nicht aus dem Sinn gegangen, und ich muss mich oft | |
fragen, ob ich hier zu Hause bin oder nur zu Gast. Auch wenn eine Rückkehr | |
in den Iran für mich zurzeit nicht realistisch ist, frage ich mich, ob ich | |
in das alte Haus zurückmuss. | |
Um weiterer Verhaftung zu entkommen und mit der Hoffnung, ein neues Zuhause | |
zu finden, bin ich in die Türkei geflüchtet und habe mich beim UNHCR als | |
Asylsuchender angemeldet. Dort habe ich einen Termin zur Anhörung erhalten | |
– einen Termin in sieben Monaten. | |
## „Die Glücklichen“ | |
Die iranischen Journalisten und politischen Aktivisten, die unmittelbar | |
nach der Präsidentenwahl 2009 geflüchtet sind, waren – wie man in der | |
Türkei sagte – „die Glücklichen“. Sie hatten bessere Chancen, von den | |
westeuropäischen Ländern aufgenommen zu werden, weil man auf die Ereignisse | |
im Iran aufmerksam geworden war. | |
Mehreren iranischen Journalisten war es gelungen, mit Hilfe von Reporter | |
ohne Grenzen und dem sogenannten Freiheitsvisum in Frankreich Asyl zu | |
finden. Deutschland hatte damals fünfzig Asylsuchende aufgenommen: | |
Menschenrechts- und politische Aktivisten, aber auch Journalisten. | |
Nun stand aber der Iran im Schatten der Geschehnisse in anderen Ländern, | |
den bewaffneten Konflikten in Syrien, der Verschärfung der Kämpfe im Irak. | |
Damit waren, wie es hieß, die Kapazitäten der europäischen Länder für die | |
Aufnahme von Flüchtlingen nahezu erschöpft. Außerdem hatten die Menschen, | |
die ihr nacktes Leben retten wollten, natürlich Vorrang vor uns. | |
Drei Monate nach meiner Ankunft in der Türkei habe ich eine Ablehnung | |
meines Asylantrags von der türkischen Regierung erhalten – obwohl ich den | |
Antrag nicht bei türkischen Behörden, sondern beim UNHCR gestellt hatte. | |
Mir wurde außerdem die Anordnung erteilt, mich nunmehr in einer Kleinstadt | |
nahe der Grenze zu Syrien aufzuhalten. In meiner Situation hegte ich die | |
Befürchtung, dass die türkische Regierung mich und meine Familie in den | |
Iran abschieben würde. | |
Die meisten iranischen Journalisten bevorzugen ein englischsprachiges Land, | |
wenn sie zum Exil gezwungen werden, weil sie die Sprache beherrschen. Ich | |
konnte aber, wie die meisten Flüchtlinge, nicht wählerisch sein und musste | |
mich an jede Möglichkeit klammern, einen sicheren Ort zu finden. | |
Tatsächlich konnte ich nach einem weiteren Jahr mit Hilfe der | |
Menschenrechtsorganisationen nach Berlin reisen. | |
## Sicherheit und Freiheit | |
Das Leben in Deutschland bedeutet Sicherheit und Freiheit für mich und | |
meine Familie. Und dafür bin ich dankbar. Nach der Sicherheit kommen aber | |
die Bewältigung des Alltags und die anfangs unlösbar erscheinenden | |
Probleme: Sprache, Wohnung, Arbeit. Unbeholfenheit beim Behördengang. Ohne | |
berufliche Beziehungen gibt es kaum eine Chance, die Sprache richtig zu | |
lernen, ohne ausreichende Sprachkenntnisse keine Arbeit, ohne Arbeit ist es | |
fast unmöglich, eine Wohnung zu finden. | |
So mischt sich manchmal Verzweiflung mit Hoffnung, Hoffnung darauf, weiter | |
als Journalist arbeiten und meine Kenntnisse über den Iran vermitteln zu | |
können, Hoffnung auf ein normales Leben in Deutschland. Hoffnung, die von | |
einem Lächeln, von Hilfsbereitschaft und verständnisvollem Verhalten vieler | |
Deutscher, von kleinen beruflichen Erfolgen und Fortschritten beim | |
Deutschlernen geweckt werden. In solchen Momenten denke ich oft an das | |
Gedicht von Georg Britting und sehe die Schwierigkeiten als unvermeidbar – | |
als „ein wenig Bitteres“. | |
14 Oct 2015 | |
## AUTOREN | |
Ehsan Mehrabi | |
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