# taz.de -- 30 Jahre Verein Iranischer Flüchtlinge: „Kann man so lange im Ex… | |
> Hamid Nowzari floh selbst vor der Islamischen Revolution in Iran. Sein | |
> Verein hilft muslimischen Flüchtlingen und arbeitet gegen Vorurteile | |
> aller Art. | |
Bild: Hamid Nowzari spricht am 31.10.2012 vor dem Brandenburger Tor zu Flüchtl… | |
taz: Herr Nowzari, Ihr Verein ist eine der ältesten iranischen | |
Exilorganisationen in Deutschland. Wer waren vor 30 Jahren die | |
GründerInnen? | |
Hamid Nowzari: Wir waren Menschen, die in den Jahren nach der Revolution im | |
Iran 1979 vor dem islamischen Mullah-Regime flüchteten. Aber auch | |
IranerInnen, die bereits früher vor dem Schah-Regime nach Deutschland | |
geflohen waren. 1986 haben wir uns dann als Verein konstituiert. | |
Also GegnerInnen des Schahregimes und der islamischen Herrschaft? | |
Genau. Wir hatten nach der Revolution und dem Sturz des Schahs ja zunächst | |
gedacht, die politischen Verhältnisse im Iran würden sich verbessern. Aber | |
wir haben uns leider getäuscht – in allen Punkten. | |
Inwiefern? | |
Mit der Machtübernahme der schiitischen Islamisten nach der Revolution | |
haben die Menschen im Iran nicht nur ihre politische, sondern auch ihre | |
soziale und persönliche Freiheit verloren. Die Debatte darüber, wie es dazu | |
kommen konnte, hat neben der Beratung und Betreuung für Geflüchtete auch | |
unsere ersten Jahre im Exil geprägt. Viele von uns hatten die Revolution | |
als Erhebung gegen das Schah-Regime ja unterstützt. Wir haben uns gefragt, | |
was wir falsch gemacht hatten. | |
Und zu welchen Ergebnissen sind sie damals gekommen? | |
Wir hatten vielleicht zu wenig erkannt, wie wichtig es ist, persönliche | |
Freiheiten, Bürgerrechte, Frauenrechte, Rechte von Minderheiten zu | |
schützen. Der Kampf gegen die Diktatur des Schah-Regimes hatte diese Werte | |
an den Rand rücken lassen. | |
Hatte diese Einsicht Konsequenzen? | |
Ich würde sagen, dass sie sich ausgewirkt hat auf unsere politischen | |
Vorstellungen und das, was wir heute tun und wie wir heute arbeiten. | |
Inwiefern? | |
Wir sind heute konfrontiert mit einer gesellschaftlichen Situation in | |
Deutschland, in der wieder viele muslimische Flüchtlinge kommen und | |
gleichzeitig eine rechte und antiislamische Bewegung erstarkt. Wir sind | |
selbst vor islamistischer Unterdrückung geflüchtet. In unserer Arbeit mit | |
Geflüchteten hier sehen wir uns in der Situation, muslimische Geflüchtete | |
gegen rassistische und antiislamische Anfeindungen schützen zu müssen. | |
Gleichzeitig verteidigen wir die Rechte von Frauen, Homosexuellen, | |
Andersgläubigen gegen Ressentiments mancher muslimischer Geflüchteter. Da | |
geht es um individuelle persönliche Freiheiten und BürgerInnenrechte, die | |
hier glücklicherweise jedem zustehen – und für die wir kämpfen. | |
Ihr Verein berät Flüchtlinge aus dem Iran. Und seit sechs Jahren – im | |
Auftrag des Berliner Senats – auch Geflüchtete aus Afghanistan. Wie | |
beurteilen Sie die Bemühungen Deutschlands, Afghanistan zu einem sicheren | |
Herkunftsland zu erklären? | |
Aus unserer Sicht wäre das eine fatale Entscheidung. Afghanistan ist nicht | |
sicher. Dass ihre Asylverfahren deswegen hinausgezögert werden und dass | |
ihnen ständig Abschiebung droht, versetzt die afghanischen Geflüchteten | |
hier in einen lähmenden Zustand der Dauerangst. | |
Viele afghanische Geflüchtete kommen auch aus dem Iran … | |
… wo ihnen als Flüchtlinge alle Bürgerrechte verweigert werden. Das ist für | |
die erste Generation der in den Iran geflüchteten Afghanen oft noch | |
hinnehmbar: Sie finden irgendeine illegale Arbeit, mit der sie die Familie | |
über Wasser halten können. Aber wenn sie sehen, dass ihren Kindern dort | |
Papiere und damit Bildung und eine bessere Zukunft verwehrt werden, | |
schicken sie diese weiter auf die Flucht nach Europa. In diesem Jahr haben | |
bereits mehr als 100.000 AfghanInnen Asylanträge gestellt in Deutschland, | |
das sind sechsmal so viele wie 2015. | |
Worin besteht Ihre tägliche Arbeit mit den Geflüchteten? | |
Wir helfen beim Verstehen der Papiere, beraten im Asylverfahren und bei | |
anderen Sachen. Wir machen auch Gruppenberatungen, bei denen die | |
Geflüchteten Kontakte miteinander knüpfen können, und Besuche in | |
Flüchtlingsunterkünften, um uns über die Lebenssituation der Geflüchteten | |
auf dem Laufenden zu halten. | |
Gelingt es den Menschen, sich hier ein neues Leben aufzubauen? | |
Das fällt den iranischen Flüchtlingen meist leichter als denen aus | |
Afghanistan. Die meisten haben bessere Ausbildungen, sprechen Englisch und | |
finden hier ein besseres Netzwerk vor. Bei den Afghanen dauert das oft | |
etwas länger, weil ihr Bildungsstand meistens etwas schlechter ist. Aber | |
viele finden einfache Jobs, und die Jüngeren machen Ausbildungen. | |
Sie sind 1980 aus dem Iran geflüchtet. Haben Sie seinerzeit mit einer so | |
langen Exilzeit gerechnet? | |
Dass ich mehr als drei Jahrzehnte hier leben würde, damit habe ich nie | |
gerechnet. Wir dachten damals, wir können nach spätestens zehn Jahren | |
zurück. Als ich hier herkam, habe ich jemanden getroffen, der bereits 27 | |
Jahre lang als Flüchtling vor dem Schah hier lebte. Damals habe ich | |
gedacht: „Wie kann man so lange im Exil leben?“ Nun bin ich fast 37 Jahre | |
hier. Und ich erlebe, dass die Flüchtlinge, die heute aus dem Iran | |
herkommen, auch denken, sie können in einigen Jahren zurück. Das betrifft | |
aber meiner Erfahrung nach Geflüchtete aus allen Ländern: Sie denken | |
anfangs, sie könnten in wenigen Jahren zurück – bis die Wirklichkeit sie | |
einholt. | |
Halten Sie eine Veränderung der politischen Verhältnisse im Iran zum | |
Besseren derzeit für möglich? | |
Der Iran hat sich in einiger Hinsicht geändert, aber nicht in politischer | |
Hinsicht zum Besseren. Wer sich anpasst, unpolitisch bleibt und sich mit | |
dem so genannten Reformflügel in der Politik zufrieden gibt, kann dort in | |
relativer Ruhe leben. Kritiker werden aber nach wie vor verfolgt und zum | |
Schweigen gebracht. | |
Sie waren seit Ihrer Flucht nie wieder im Iran. Warum? | |
Unabhängig davon, ob eine Reise dorthin für mich gefährlich wäre oder | |
nicht: Ich möchte nicht in ein Land zurückkehren, in dem Verhältnisse | |
herrschen, wie sie derzeit im Iran bestehen. Und solange sich das nicht | |
ändert, möchte ich nicht in den Iran zurück. | |
12 Oct 2016 | |
## AUTOREN | |
Alke Wierth | |
## TAGS | |
Iranische Revolution | |
Afghanische Flüchtlinge | |
Antiislamismus | |
Weltkulturerbe | |
Schwerpunkt Flucht | |
Schwerpunkt Flucht | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Aufregung um Werkstatt der Kulturen: Kultur statt Multikulti | |
Die Kulturverwaltung möchte die Werkstatt der Kulturen inhaltlich neu | |
ausrichten – und kündigt dem Träger zum Jahresende. Der Senat dementiert. | |
Krieg in Afghanistan: Nur Egoisten überleben | |
Seit über 35 Jahren herrscht Krieg. Über ein Zehntel der afghanischen | |
Bevölkerung ist auf der Flucht – die meisten im Land selbst. | |
„Angekommen – Flüchtlinge erzählen“: Sprache, Arbeit, Hoffnung | |
Im Iran durfte ich kein Journalist sein. Exil war für mich undenkbar. Jetzt | |
warte ich in Berlin auf ein normales Leben. | |
Exil-Iraner: Integration ist nicht das Problem | |
In Berlin leben rund 10.000 Exil-Iraner, die meisten sind aus politischen | |
Gründen geflohen. Viele sind bis heute aktive Oppositionelle. Am Samstag | |
gedenkt der Verein Iranischer Flüchtlinge der Hinrichtungswelle im Iran von | |
1988 |