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# taz.de -- Exil-Iraner: Integration ist nicht das Problem
> In Berlin leben rund 10.000 Exil-Iraner, die meisten sind aus politischen
> Gründen geflohen. Viele sind bis heute aktive Oppositionelle. Am Samstag
> gedenkt der Verein Iranischer Flüchtlinge der Hinrichtungswelle im Iran
> von 1988
Bild: Exil-Iraner demonstrieren gegen die Regierung des Iran
Wenn Alham Abrahimnejad davon erzählt, warum sie den Iran verlassen hat,
wird sie nervös. Ihre Finger nesteln an ihrer Kleidung, ihre Schultern
bewegen sich, als versuche sie, eine unangenehme Berührung abzuwehren. Vor
gut einem Jahr kam die 27-Jährige mit den kurz geschnittenen dunklen Locken
und dem runden Mädchengesicht nach Berlin - eher zufällig, denn eigentlich
sollte ihre Flucht aus dem Heimatland sie nach England führen. Doch beim
Umsteigen auf dem Berliner Flughafen war die junge Frau zusammengebrochen -
Grund war eine Verletzung, die sie sich im Iran bei der Flucht vor den
Revolutionswächtern zugezogen hatte.
Das war nicht die erste folgenreiche Begegnung mit den Sittenwächtern.
Einige Jahre zuvor war Alham schon einmal von ihnen erwischt worden - in
Begleitung eines Mannes, mit dem sie nach den Regeln der Scharia nicht
hätte zusammensein dürfen. Die Folge war eine staatlich verordnete
Zwangsheirat: Diese und eine Geldstrafe oder 90 Peitschenhiebe und einige
Monate Haft war die Wahl, die Alham damals treffen konnte.
Mittlerweile ist Alham geschieden und wohnt in einer kleinen Wohnung im
Berliner Norden. Die frühere Maschinenbaustudentin lebt jetzt von
Sozialhilfe. Nach ihrem Zusammenbruch auf dem Flughafen lag sie einen Monat
im Krankenhaus. Die Polizei informierte damals den Verein Iranischer
Flüchtlinge über Alhams Lage. In dessen Räumen sitzt sie heute und sagt:
"Der Verein ist jetzt meine Familie." Mihan Rusta, Hamid Nowzari und die
anderen MitarbeiterInnen des Vereins unterstützen Alham, auch in ihrem
Asylverfahren. Für die junge Frau hängt von der Anerkennung viel ab:
Bekommt sie Asylstatus, kann sie studieren, Arbeit suchen, ihr Leben neu
beginnen. Wird sie abgelehnt, bedeutet das zwar nicht die Abschiebung. Doch
als Geduldete kann sie eigentlich nur warten - entweder auf bessere Zeiten
im Iran, die ihr die Rückkehr erlauben würden, oder darauf, irgendwann als
Altfall endlich doch einen besseren Aufenthaltsstatus zu bekommen.
Mihan Rusta betrachtet die junge Frau mit Mitgefühl. "Es ist im Iran eine
Qual geworden, Kinder zu haben", sagt sie. "Vor allem Töchter." Die jungen
Leute wollten sich verständlicherweise nicht an die rigiden Regeln halten,
denen das Regime sie unterwirft. "Wenn die Kinder morgens aus dem Haus
gehen, wissen die Eltern nie, ob sie sie abends wiedersehen werden." Rusta
selbst kam vor 23 Jahren als Flüchtling aus dem Iran nach Berlin - mit
ihrem damals gerade eineinhalb Jahre alten Sohn. Der hat die Heimat seiner
Mutter nie kennengelernt: Ihre politische Arbeit für Menschen- und
Frauenrechte im Flüchtlingsverein macht es bis heute zu gefährlich für sie
und ihren Sohn, in den Iran zu reisen. Der heute 25-jährige Sohn kennt auch
seinen Vater nicht. Rustas Ehemann gehörte zu den Regimegegnern, die in
einer großen Hinrichtungswelle im Sommer und Herbst 1988 in iranischen
Gefängnissen getötet wurden. Auf 5.000 wird die Zahl der Opfer der damals
vom Staat verübten Morde geschätzt.
Noch heute weint Mihan Rusta, wenn sie sich an den Anruf erinnert, durch
den sie vor 20 Jahren vom Tod ihres Mannes erfuhr. Sie habe sich vor allem
hilflos gefühlt. "So etwas kann man niemals verarbeiten", sagt die
57-Jährige. "Doch wir können die Trauer umarbeiten: in die Energie, für
unser Land zu kämpfen."
Circa 10.000 Menschen iranischer Herkunft leben in Berlin. Die meisten
kamen als politische Flüchtlinge: Noch bis in die Neunzigerjahre hinein
wurde bis zu einem Drittel der Flüchtlinge aus dem Iran hier Asyl gewährt.
Heute ist die Anerkennungsquote niedriger, liegt mit 3,5 Prozent aber immer
noch über dem Durchschnitt von gut einem Prozent. Politisch aktiv sind,
schätzt Mihan Rusta, "höchstens noch ein Zehntel" der hier lebenden
IranerInnen. Im Verein Iranischer Flüchtlinge sammeln sich heute Linke,
Liberale und DemokratInnen, die vor einigen Jahren unlösbar zerstritten
schienen. "Viele politisch Aktive sind heute realistischer und toleranter
geworden", sagt Hamid Nowzari, Vorsitzender des Flüchtlingsvereins. Die
Arbeitsgrundlage des Vereins seien Menschen- und Frauenrechte. "Darüber
hinaus fragen wir nicht nach politischer Gesinnung." Eine Zusammenarbeit
mit den marxistisch-islamistischen Volksmudschaheddin, die mit Bildern
gesteinigter Frauen auf den Straßen Geld für ihre Organisation sammeln, ist
aber ausgeschlossen. Und die Anhänger des Schahs? "Die spielen faktisch
keine Rolle mehr", so Nowzari.
Längst engagiert sich der Verein nicht mehr nur für die politische Lage im
Iran, sondern beteiligt sich an migrations- und integrationspolitischen
Gremien und Debatten, die das Zusammenleben in Deutschland und Berlin
betreffen. Dabei sind die Iraner eine von Integrationsproblemen wenig
betroffene Einwanderergruppe. Bildungsferne liegt den oft
hochqualifizierten politischen Flüchtlingen fern. Die meisten Kinder
iranischer EinwanderInnen studieren. Auch Mihan Rustas Sohn: "Das ist wie
eine Krankheit bei uns", sagt die Mutter: "Unsere Kinder müssen zur Uni."
Für Politik habe der Sohn allerdings nur ein geringes Interesse. Rusta
versteht das: "Das Leben, das sein Vater und ich geführt haben, hat ihn so
geprägt, dass er Distanz wahrt. Politik ist für ihn etwas Furchtbares."
4 Sep 2008
## AUTOREN
Alke Wierth
Alke Wierth
## TAGS
Iranische Revolution
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Hamid Nowzari floh selbst vor der Islamischen Revolution in Iran. Sein
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