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# taz.de -- Sport zwischen Freizeit und Leistung: Der Besenwagen und ich
> Unser Autor wollte wissen, wie die Stadt von oben aussieht und wie es
> sich anfühlt, mit anderen um die Wette zu laufen: über die Hamburger
> Köhlbrandbrücke.
Bild: Um die Wette über die Köhlbrandbrücke laufen: Unser Autor wollte wisse…
Hamburg taz | Eigentlich will ich das alles nicht. Ich will keinen Chip am
Schuh, der meine Zeit misst, kein Schild auf der Brust, auf dem eine Nummer
steht. Ich will nicht mit anderen um die Wette laufen und nachher eine
Medaille umgehängt bekommen. Ich will nicht wissen, wie schnell die
Schnellsten laufen und wie lange die Langsamsten brauchen. Ich will das
alles nicht, weil ich ein hedonistischer Freizeit-Läufer bin und glaube,
dass mir der Spaß am Laufen verloren geht, wenn ich es mit einem
Leistungsgedanken verknüpfe.
Trotzdem stehe ich jetzt auf diesem Firmengelände im Hamburger Hafen
zusammen mit 2.400 anderen und spüre eine gewisse Nervosität vor dem
Startschuss. Gleich geht es über die Köhlbrandbrücke, ein mal hoch, drüber,
auf der anderen Seite kehrt und wieder zurück. Ich wollte schon immer mal
da oben stehen. Außerdem will ich wissen, ob ich das mit dem
leistungsbefreiten Laufen auch dann durchziehen kann, wenn ich mich einem
Wettkampf aussetze.
## Der Besenwagen droht
Die Köhlbrandbrücke ist mit ihren sanft geschwungenen Formen so sehr ein
Wahrzeichen Hamburgs, dass sie es auf das Etikett meiner Mineralwassermarke
geschafft hat. Normalerweise ist sie für Fußgänger gesperrt. Heute laufen
zweimal 2.400 Leute drüber. Ganz vorn laufen Leute, die es sehr ernst
meinen. Am Ende des Feldes fährt ein Besenwagen, der alle einsammelt, die
die zwölf Kilometer nicht in einer Stunde und 45 Minuten schaffen.
Der Besenwagen ist, das lerne ich schnell, ein silberner Ford-Kleinbus.
Bedrohlich nahe kommt er mir nach meiner ersten Fotopause. Ich sehe zu,
dass ich Abstand gewinne, sonst fühlt sich es sich schlecht an.
Am Wegesrand stehen Schilder, die die zurückgelegten Kilometer und
Bierwerbung zeigen. Der erste Kilometer ist geschafft. Ich bleibe trotzdem
im hinteren Feld, da, wo mehr Platz ist und die Leute beim Laufen
quatschen. Die beiden Studentinnen neben mir zum Beispiel reden über
Fußball. Beim Kilometer-Zwei-Schild sagt die eine: „Hey! In zwei Kilometern
gibt’s Krombacher!“ Angenehme Gesellschaft, hier hinten.
Als sich nach einer Kurve vor uns die Brücke aufbaut, sagt die Studentin:
„Scheeiiiiße!“ Die beiden himmelwärts strebenden Pfeiler sehen aus wie
riesige Fische, die auf dem Kopf stehen. Der Scheitelpunkt liegt 53 Meter
hoch über der Elbe, da müssen wir jetzt hinauf.
Drei Neuigkeiten bringt der Ausblick von oben. Erstens: Das Stadtbild ist
in der Oktobersonne überraschend weiß. Zweitens: Die Elbphilharmonie spielt
keine wesentliche Rolle. Drittens: Der Hafen ist ein Scheinriese. Kräne,
Hochhäuser, Lagerhallen, die Köhlbrandbrücke selbst: Alles sieht aus der
Ferne riesig aus und schrumpft, je näher man rankommt.
## Zwischen Rentnern
Drei Kollegen vom Alpenverein, Sektion Flensburg, haben nach dem Wendepunkt
beim zweiten Anstieg Schwierigkeiten. Ich auch. Vor allem damit, dass mich
kurz vor Kilometer neun ein Renterpaar überholt. Also ein echtes
Renterpaar: weißhaarig, leicht gedrungene Haltung beim Laufen, offenbar
steifer Rücken. Beide tragen Laufshirts mit dem Logo einer
Unternehmensberatung. Ich kann mich nicht wehren gegen die Gefühlswallung
aus Stolz und Trotz und gebe Gas. Es soll eine Art Endspurt werden. Die
Idee ist zu optimistisch. Drei Kilometer Endspurt schaffe ich nicht, aber
die Unternehmensberater hänge ich ab.
Das Ziel erreiche ich dann knapp hinter einer 70-Jährigen. Das weiß ich,
weil der Moderator mittlerweile die Ankömmlinge vorstellt: Er verwendet die
Daten, die der Chip sendet. Mich vergisst er zum Glück.
Ich hole mir sogar noch die Urkunde, auf der steht meine Zeit: „1:26:31
(Brutto), 1:24:17 (Netto)“. Ich weiß nicht, was das bedeuten soll. Ich habe
nur eine Vermutung. Und ich bin sicher: Ich brauche es nicht.
5 Oct 2015
## AUTOREN
Klaus Irler
## TAGS
Marathon
Leistungssport
Hamburger Hafen
Freizeit
Kolumne Alles getürkt
Verkehr
Marathon
Insekten
Schwerpunkt Olympische Spiele 2024
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