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# taz.de -- Begegnung nach Neujahr: Der letzte Mohikaner
> Auf der Straße kommt mir ein dicker Mann mit hochrotem Kopf entgegen
> getorkelt. Ihm folgen Polizei und Notarzt. Warum helfen sie dem Mann denn
> nicht?
Bild: Der Klassiker unter den Neujahrsvorsätzen: mehr Sport, mehr Bewegung
Spät am Nachmittag laufe ich völlig geschafft von der Sonntagsschicht in
Halle 4 nach Hause zurück. Ich bin total kaputt. Fast so kaputt wie die
deutsch-türkischen Beziehungen. Dass mein Ford-Transit ausgerechnet heute
streikt, das werde ich ihm nie verzeihen. Ohne ihn bin ich verloren!
Meine Frau Eminanim hat wohl schon Recht. Als [1][Neujahrsvorsätze] müsste
ich mir unbedingt mehr Sport und Bewegung, weniger essen und Abnehmen
vornehmen. Ich sollte was für meine [2][Fitness] tun! Schon durch ein
bisschen Gehen bin ich völlig kaputt.
Ich sehe verwundert, dass alle Straßen für Autos abgesperrt sind. Nicht nur
unser Karnickelweg. Ich wäre mit dem Wagen also gar nicht durchgekommen.
Bei Allah, war für einen Hellseher doch mein lieber Ford-Transit ist. Man
sollte nicht jeden Streikenden gleich als nichtsnutzigen Kommunisten
verdammen.
Mitten auf der Straße kommt mir plötzlich ein sehr dicker Mann mit
hochrotem Kopf entgegen getorkelt. Er kann sich kaum noch auf den Beinen
halten und schwankt sehr bedrohlich hin und her. Ihm folgt mit zehn Metern
Abstand, im Schritttempo, ein vollbesetzter Polizeibus. Dicht dahinter zwei
Notarztwagen. Warum helfen sie dem Mann denn nicht?
Bei Allah, erst jetzt wird mir die tragische Reichweite der Situation
bewusst. Dieser stöhnende, schwankende und wie ein Wasserfall schwitzende
Mann ist ein Selbstmordattentäter! Er ist rund wie eine Regentonne, weil er
wohl unter dem T-Shirt einen dicken Sprengstoffgürtel trägt!
## Niemand kommt dem Mann zu nahe
Kein Wunder, dass ihm niemand zu nahe kommt. Alle warten nur noch darauf,
dass er endlich in die Luft fliegt.
Ich wittere plötzlich die einmalige Chance in ganz Deutschland als der
große Held gefeiert zu werden und rolle ihm todesmutig meine leere
Thermoskanne zwischen die Beine. Er kommt leicht ins Stolpern, aber fängt
sich aber leider wieder.
„Hey, sind Sie verrückt geworden?“, brüllt mich ein Polizist an, der ihn …
zehn Meter Abstand zu Fuß verfolgt.
„Warum torkelt dieser Terrorist denn? Habt ihr ihn angeschossen?“, frage
ich.
„Guter Witz. Aber dieser Marathon-Läufer terrorisiert uns tatsächlich seit
Stunden“, lacht er.
„Wie bitte? Das ist ein Marathon-Läufer? Muss man denn so dick sein, um
Marathon zu laufen? Und übrigens, wo ist denn hier überhaupt ein Marathon?“
„Da haben Sie schon wieder Recht. Der eigentliche Marathon-Lauf ist schon
seit drei Stunden zu Ende. Das ist hier [3][der letzte Mohikaner]. Wegen
ihm dürfen wir die Absperrungen nicht wegräumen.“
„Mit mehreren Notarztwagen und einer riesigen Polizeieskorte hinter sich
kann ja jeder Marathon laufen – sogar ich“, jubele ich und renne nach
Hause. Überhole dabei locker den fetten Marathon-Mann.
„Eminanim, Eminanim, du hast ja so Recht. Ich will ab sofort Sport machen.
Ich werde Marathon-Läufer. Noch heute fange ich mit dem Training an!“
„Das ist ja toll, Osman. Da hast du aber einiges zu tun“, freut sich meine
Frau.
„Das stimmt! Stell bitte jetzt alles Essbare auf den Tisch. Ich muss
nämlich erst mal 50 Kilo zunehmen.“
16 Jan 2023
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## AUTOREN
Osman Engin
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