# taz.de -- Berlin-Marathon am Sonntag: „Wie die kleine Meerjungfrau“ | |
> Autor Jochen Schmidt ist fünf Mal den Berlin-Marathon gelaufen. Er | |
> erinnert sich an die Krämpfe, die Probleme mit der Verdauung und den Spaß | |
> mitten auf der Straße. | |
Bild: Es geht wieder um Rekorde: Marathon-Läufer in einer Pfütze. | |
taz: Herr Schmidt, Sie sind Schriftsteller und Autor – eignet sich so ein | |
Marathon als Thema für Literatur und Fiktion? | |
Jochen Schmidt: Ich habe schon auch über das Marathonlaufen geschrieben, | |
aber nicht fiktiv. Es ist allein dadurch spannend, dass man es beschreibt – | |
es ist ja etwas, das nicht jeder erlebt. Die ganzen Details lernt man erst | |
kennen, wenn man mitmacht. | |
Welche Details? | |
Zum Beispiel, wie lange es dauert, überhaupt an den Start zu kommen, | |
nachdem man die Klamotten abgegeben hat. Es dauert ewig, bis man in seinem | |
Startblock ist, wegen der vielen Leute. Während des Rennens bekommt man | |
dann so glitischige Bananen gereicht. | |
Erinnern Sie sich an Ihren ersten Marathon? | |
Es gab schon vorher Probleme: Meine damalige Freundin hatte eine Erkältung. | |
Und ich hatte Angst, mich anzustecken. So hatte ich Hemmungen, sie zu | |
küssen. Die war stinksauer. Für mich stand ein halbes Jahr Training auf dem | |
Spiel. | |
Haben sich Kussverzicht und Training ausgezahlt? | |
Na ja, ich habe es zumindest geschafft. Aber beim ersten Mal musste ich | |
mich auf der ganzen Strecke durchschlängeln. Ich bin in einem der hinteren | |
Startblöcke gestartet, wo sich die langsamsten Läufer einfinden – wenn man | |
schneller unterwegs ist als die Läufer dieses Niveaus, dann überholt man | |
die ganze Zeit nur und läuft Slalom, bis ins Ziel. | |
Aber im Ziel waren Sie dann glücklich? | |
Ja, irgendwie schon. Allerdings konnte ich mich beim Umziehen nicht mehr | |
bücken, weil ich davon Krämpfe bekam. Ich musste es aber irgendwie | |
schaffen, meine Schuhe auszuziehen. Also hab ich mich auf den Bauch gelegt | |
und versucht, hinten die Schnürsenkel zu greifen. Das ging dann. | |
Wie würden Sie die Schmerzen beim Lauf beschreiben? | |
Es fühlte sich an wie bei der kleinen Meerjungfrau, wenn sie versucht an | |
Land zu gehen: Jeder Schritt tat weh, als habe man Messer in den Beinen. Es | |
hat mir wirklich geholfen, dass da immer so Trommelgruppen standen und | |
einem zugejubelt haben. | |
Gab es auch mal echte Pannen und Probleme? | |
Beim Laufen muss man nach etwa zehn Minuten aufs Klo, weil man vorher viel | |
getrunken hat – man soll ja viel trinken vorher. Ich habe aber eine | |
schüchterne Blase und kann nicht gut pinkeln, wenn 40.000 Leute an mir | |
vorbeilaufen. Auf diese Weise habe ich mal 4 Minuten verloren. | |
Wie haben Sie sich auf den Marathon vorbereitet? | |
Die Vorbereitung war fast anstrengender als der Lauf. Man muss ständig | |
planen, wann man laufen kann – oft läuft man ja dann zwei bis drei Stunden. | |
Wollten Sie oft aufgeben? | |
Ich bin sowieso kein Genussläufer. Ich laufe vielleicht so 30, 40 Kilometer | |
die Woche, aber ich denke bei jedem Schritt ans Stehenbleiben. (lacht) | |
Sie machen’s nur für die Endorphine? | |
Oder auch einfach zum Sightseeing, um rumzukommen. | |
Sie laufen viel auf Reisen? | |
Ja. Das ist die beste Form von Spazierengehen für mich. Der Vorteil: Man | |
sieht mehr von den Städten und Gegenden. | |
Haben Sie vor den Marathonläufen besondere Sportlernahrung zu sich | |
genommen? | |
Einmal habe ich am Abend vor dem Marathon eine Packung Backpflaumen | |
gegessen, weil ich sonst wegen des frühen Aufstehens am Morgen nie aufs Klo | |
konnte und mit Ballast laufen musste. Da hatte ich dann die halbe Nacht | |
Bauchschmerzen. Dazu kam, dass ich eine Woche lang täglich eine Packung | |
Nudeln gegessen hatte, was sicher auch nicht gut war. | |
Gab es Glücksbringer oder hatten Sie irgendwelche Ticks? | |
Nee. Ich hatte auch keine Freunde, die mitkamen und mich angefeuert haben. | |
Da standen immer so Schilder: „Go, Papi, go“ oder „Quäl dich, du Sau“.… | |
habe mir immer vorgestellt, dass ich gemeint bin. | |
Was hat die Erfahrung Marathon bei Ihnen bewirkt? | |
Angeblich soll so ein Marathon ja den Willen schulen. Deshalb schreiben | |
Manager sich das ja auch in den Lebenslauf. Für mich gilt das überhaupt | |
nicht. Ich kann diese dreieinhalb Stunden unter wahnsinnigen Schmerzen | |
durchhalten, aber ich schaff’s nicht, meine Blumen regelmäßig zu gießen. | |
Was sind Marathonläufer und -läuferinnen generell so für Typen? | |
Die meisten waren etwas älter als ich, eher so ein bisschen ausgemergelt. | |
Es ist kein Sport, der schöner macht. | |
Was treibt diese Leute dazu, 42,195 Kilometer zu laufen? | |
Gesund ist es jedenfalls nicht und auch nicht nötig, um fit zu bleiben – da | |
reicht ein Halbmarathon völlig. Als ich beim Berlin-Marathon lief, wurde am | |
Start der neueste Hit von Dieter Bohlen zum Aufputschen gespielt – | |
vielleicht machen die Leute es ja wegen des Fun-Faktors … | |
Warum ist der Berlin-Marathon trotz Dieter Bohlen besonders? | |
Die Strecke ist sehr schnell, weil’s eben sehr flach ist. Wenn man nicht | |
aus Berlin kommt, ist es bestimmt spannend, durch die Stadt zu joggen. | |
Außerdem macht es Spaß, mal mitten auf der Straße zu laufen. | |
26 Sep 2015 | |
## AUTOREN | |
Jens Uthoff | |
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