| # taz.de -- CDU-Spitzenkandidatin in Rheinland-Pfalz: Merkels Ziehtochter | |
| > Julia Klöckner gilt als politischer Spross von Angela Merkel. Bei | |
| > Flüchtlingen schlägt die CDU-Aufsteigerin eigene Töne an – schärfere. | |
| Bild: Ist das noch Nähe oder schon Distanz? Julia Klöckner und Angela Merkel … | |
| Mainz taz | Es dauert keine zehn Minuten, da steht sie schon hier im Raum: | |
| die Burkafrau. Julia Klöckner hat sie herbeigeredet. Mit leicht kratziger | |
| Stimme ruft die CDU-Politikerin in den Saal: „Ich kämpfe für das Verbot der | |
| Vollverschleierung.“ Bei der Religionsfreiheit dürfe es in Deutschland | |
| keinen kulturellen oder religiösen Rabatt geben. Julia Klöckner legt jetzt | |
| eine kleine Pause ein. | |
| Hundertfünfzig Frauen applaudieren. Genau: Vollverschleierung! Ein | |
| Riesenproblem! | |
| Im Hofgut Laubenheimer Höhe in Mainz hat Julia Klöckner zum Ladie’s Lunch | |
| geladen. Die Atmosphäre ist rustikal nobel, auf weißen Hussenstühlen sitzen | |
| Frauen an porzellangedeckten Tischen. Die Damen haben sich für das Treffen | |
| schick gemacht: teure Handtaschen, getuffte Frisuren, alter Schmuck. Auf | |
| dem Parkplatz warten geräumige Limousinen. Es gibt Poularde oder Ravioli, | |
| dazu Wasser und Apfelsaft. Julia Klöckner hat sich dieses Format der | |
| Wählerinnenpflege ausgedacht. Gutes Essen, kurzer Vortrag über ihre Ziele, | |
| anschließend Fragen. „Frauen denken Neues, denken anders und vernetzen | |
| sich. Und das macht Spaß“, steht in der Einladung. | |
| Seit Deutschland von einer CDU-Frau regiert wird, ist auch dem Letzten | |
| klar: Ohne Frauen sind keine Wahlen mehr zu gewinnen. Julia Klöckner hat | |
| diese Nachhilfe nie gebraucht. Sie ist Anfang vierzig, ausgestattet mit | |
| erheblicher Machtfülle und der grundsätzlich positiven Erfahrung, in einer | |
| sich wandelnden CDU als Frau alles werden zu können. Die stets gut gelaunte | |
| Politologin bildet die gefühlte Schnittmenge aus alter Bundesrepublik und | |
| 21. Jahrhundert. | |
| ## Schwule, Kirche, Elterngeld | |
| Klöckner ist Mitglied im Zentralkomitee deutscher Katholiken und setzt sich | |
| für die Rechte Homosexueller ein. Während ihrer Zeit als | |
| Bundestagsabgeordnete leitete sie die Kommission „Bewahrung der Schöpfung“, | |
| und in der hitzig geführten Debatte über das Elterngeld vertrat sie die | |
| Position der berufstätigen Mütter und Väter. Seit fünf Jahren ist Klöckner | |
| Mitglied des CDU-Präsidiums in Berlin, vor drei Jahren hat der | |
| Bundesparteitag sie zur stellvertretenden Parteivorsitzenden gewählt. Beide | |
| Male mit Traumergebnissen von über neunzig Prozent. | |
| Jetzt will sie ihre Landes-CDU an die Regierung bringen. Vor fünf Jahren | |
| hat sie den Vorsitz übernommen. Sie wollte damals in Mainz | |
| Ministerpräsidentin werden, verlor aber gegen den ewigen SPD-König Kurt | |
| Beck – knapp. Im Frühling will sie es erneut versuchen. Diesmal heißt ihre | |
| Gegnerin Malu Dreyer. | |
| Es wäre wichtig, dass es diesmal klappt: Denn Julia Klöckner ist schon weit | |
| mehr als ein politisches Talent. Der 42-Jährigen werden sowohl die | |
| Fähigkeit als auch der Biss nachgesagt, das Zeug zur Kanzlerin zu haben. | |
| Ihr fehlt aber noch der Nachweis, es auf Landesebene geschafft zu haben, | |
| also das operative Geschäft zu beherrschen. 2021, bei der übernächsten | |
| Bundestagswahl, wäre Klöckner im besten Kanzlerinnenalter. | |
| ## Kanzlerinnendämmerung? | |
| Aber vielleicht wird sie schon eher gebraucht. Wegen Merkels | |
| Flüchtlingspolitik orakelt die bürgerliche Presse gerade ganz elektrisiert | |
| vom „Anfang vom Ende“ der Kanzlerin. Und in Bayern betreibt ein | |
| ausgeflippter CSU-Ministerpräsident Fundamentalopposition am rechten Rand. | |
| Wo steht in all der Erregtheit Julia Klöckner? | |
| Es ist ja kein Geheimnis, dass sie Merkels politische Ziehtochter ist. Die | |
| Kanzlerin schätzt die kluge und wortgewandte Klöckner. Doch zur dunklen | |
| Seite des Geschäfts gehört bekanntlich, dass der Zögling sich beizeiten von | |
| seinem Förderer emanzipieren muss. Nur so kann das Versprechen einer | |
| Erneuerung glaubhaft vermittelt werden. Angela Merkel selbst hat das mit | |
| ihrem Ziehvater Helmut Kohl nicht anders gehalten, als sie sich während der | |
| CDU-Spendenaffäre 1999 von ihm abwandte. Auch die Aufsteigerin Julia | |
| Klöckner steht gerade vor der Frage, ob sie ihrer Parteivorsitzenden noch | |
| folgt. Oder ob sie sich von ihr absetzt. Ob sie ihren Wählern nach dem Mund | |
| redet oder ob sie loyal zur Politik der Kanzlerin steht. | |
| Momentan macht sie beides. Auf der Laubenheimer Höhe, vor den | |
| hundertfünfzig Frauen, erwähnt sie ein ums andere Mal die Kanzlerin. Ob bei | |
| Bildung, Wirtschaft oder Familie – stets flicht Klöckner ein, wie eng sie | |
| sich da mit Angela Merkel abstimmt. Doch beim Flüchtlingsthema holt sie | |
| ihre Zuhörerinnen bei deren Vorbehalten ab. „Barmherzig, aber konsequent“ | |
| müsse die deutsche Mehrheitsgesellschaft den Flüchtlingen gegenüber | |
| auftreten, sagt sie mit ernstem Gesicht. Asylrecht dürfe nicht mit | |
| Einwanderung gleichgesetzt werden. | |
| ## „Frau Glöggner, isch find Se ganz doll“ | |
| Auf die besorgte Frage einer Zuhörerin nach dem Verlust der christlichen | |
| Werte in dieser gottlosen Zeit verweist sie generös auf den areligiösen | |
| Osten – so weit sei es ja hier in Rheinland-Pfalz gottlob noch nicht. | |
| Leider aber liefere Glaube auch die Grundlage für Fundamentalismus. | |
| Deshalb, na klar, kämpfe sie für das Burkaverbot. „Frau Glöggner, isch find | |
| Se ganz doll“, sagt daraufhin eine der Damen. | |
| Die Burkanummer zieht immer. In diesem Bild gerinnen sämtliche diffusen | |
| Ängste nicht nur von CDU-Wählern: Eine gesichtslose, bis zum Boden | |
| verschleierte Frau, von ihrem Ehemann vor den Blicken der Öffentlichkeit | |
| versteckt. Höchst selten sieht man tatsächlich mal eine in deutschen | |
| Innenstädten, eigentlich so gut wie nie. Statt dessen zeigen die Medien in | |
| diesem Herbst erschöpfte Mütter mit bedenklich dünnen Kindern in deutschen | |
| Turnhallen, denen es gerade egal sein muss, ob ihr Kopftuch richtig sitzt. | |
| Aber Politiker wie Julia Klöckner oder Jens Spahn, eine andere Hoffnung aus | |
| dem CDU-Präsidium, sprechen lieber über Vollverschleierung und Werte, auf | |
| die die deutsche Gesellschaft „keinen Rabatt“ geben dürfe. | |
| Das klingt nach der unseligen „Leitkultur“-Debatte der Nullerjahre, die | |
| sich als Gegenentwurf zur „multikulturellen Gesellschaft“ verstand und eine | |
| Offerte an die politische Rechte war. Auch damals ging es um eine Art | |
| Forderungskatalog, an den Einwanderer sich zu halten hätten. Von ihnen | |
| forderte die damalige CDU-Vorsitzende „ein sehr klares Bekenntnis zur | |
| Nation, zu unserem Vaterland, zu weltoffenem Patriotismus, zu Toleranz und | |
| Zivilcourage“. Ihr Name: Angela Merkel. | |
| ## Merkels Vorarbeit | |
| Fünf Jahre später wurde sie Kanzlerin und wuchtete fortan das Land brachial | |
| in die politische Mitte. Wo diese Mitte, also die Mehrheit, ist, da ist | |
| auch Merkel. In der Flüchtlingsfrage aber ist gerade fraglich, ob Merkels | |
| CDU mit ihrer Vorsitzenden mitgeht. Ob sie ihre Partei diesmal überfordert. | |
| Die Reflexe der Leitkulturdebatte ähneln denen von heute. Die fröhliche | |
| Julia Klöckner kann sehr unlustig werden, wenn es um ihre Ansprüche an das | |
| künftige Zusammenleben mit den Flüchtlingen geht. Erst kürzlich war sie in | |
| einer Flüchtlingsunterkunft in Idar-Oberstein. Als es dort zu einem | |
| „spontanen Zusammentreffen“ mit einem Imam kommen sollte, ließ der | |
| ausrichten, er werde ihr aber aus religiösen Gründen nicht die Hand geben. | |
| Frau Klöckner kommentierte dies mit dem Satz: „Dann ist er wohl im falschen | |
| Land.“ | |
| Seither legt sie kräftig nach. Via Bild erklärte sie, nicht das liberale | |
| Deutschland müsse sich ändern, sondern „manche Zuwanderer“. Sie fordert | |
| mittlerweile Leistungskürzungen für Asylbewerber, die „Regeln nicht | |
| einhalten“. Und natürlich, sie setzt sich gegen die Vollverschleierung ein. | |
| ## Futter für Fremdenfeinde | |
| Sie hetzt nicht, nein. Aber sie stellt diffuse Forderungen auf, die das | |
| Weltbild von Fremdenfeinden bequem unterfüttern. Sehr deutsche Forderungen | |
| sind das: die Flüchtlinge sollen „Integrationsverträge“ abschließen. Jul… | |
| Klöckner spricht von „Spielregeln“, meint aber das verbriefte deutsche | |
| Misstrauen gegenüber dem Unbekannten. Es passt halt gerade gut, sie ist | |
| schon im Wahlkampfmodus. | |
| Am Abend jenes Tages, der mit dem Ladie’s Lunch so aufgeräumt begonnen | |
| hatte, hat Klöckner noch einen anderen Termin. „Treffpunkt Julia Klöckner“ | |
| heißt das Format in der Alten Lokhalle von Mainz. Hier ist alles etwas | |
| rustikaler: An Biertischen sitzen achtzig Besucher. Klöckner steht in der | |
| Mitte und hält ihren Vortrag: Bildung, Wirtschaft, Infrastruktur, die | |
| Burkafrau – im März bitte CDU wählen. Anschließend kann gefragt werden. | |
| ## „Wie wird das weitergehen, Frau Klöckner?“ | |
| Es melden sich ausschließlich Männer, von Spaß wie bei den Ladies ist eher | |
| wenig zu spüren. „Wie wird das weitergehen mit dem ganzen Asyl, Frau | |
| Klöckner?“, fragt einer. „In fünfzig Jahren werden wir Deutsche in der | |
| Minderheit sein, es wird die Scharia herrschen.“ Ein anderer erzählt eine | |
| jener Legenden, laut der anlässlich seines Schwimmbadbesuchs eine arabische | |
| Großfamilie in voller Alltagskleidung ins Becken gesprungen sei und der | |
| Bademeister nicht eingeschritten sei – „weil man nichts mehr sagen darf“. | |
| Der Herr habe das Bad daraufhin verlassen. „Das war mir dann zu schmutzig.“ | |
| Julia Klöckner antwortet: Ohne Migranten wüsste sie schon mal nicht, wer | |
| „uns alle“ später einmal pflegen werde. „Aber ich verstehe, was Sie mein… | |
| Wir müssen konsequent sein, wo sich jemand übers Grundgesetz stellt.“ Sie | |
| nimmt einen Schluck Wasser. „Ich bin jetzt emotional“, fährt sie fort, | |
| „aber wir Christen müssen uns fragen, ob wir für unseren Glauben einstehen. | |
| Haben Sie keine Angst! Die Bibel ist eine einzige Geschichte von | |
| Fluchterfahrungen.“ Das also ist es, was eine CDU-Spitzenpolitikerin ihren | |
| Wählern mitgibt. Fester glauben! Nach politischer Mitte wie bei Angela | |
| Merkel klingt das weiß Gott nicht. | |
| 1 Oct 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Anja Maier | |
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