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# taz.de -- Kolumne Wir retten die Welt: „Mach die Spur frei, Rattenkopf!“
> Die Psycho-Analyse zur IAA-Eröffnung: Das automatisierte Auto birgt hohe
> Risiken für die Triebabfuhr von Millionen Fahrern.
Bild: Brandneu: der Porsche Mission E, Männer ohne Triebabfuhr und die Kanzler…
Die Internationale Automobilausstellung öffnet wieder ihre Schalter und
widmet sich diesmal völlig überraschend – der Zukunft. Wir erkennen zwei
Megatrends: die Automatisierung des Fahrens und die Computerisierung des
Pkw. Diese Entwicklungen unterziehen wir nun einer Tiefenanalyse.
Dabei eröffnet das total vernetzte Auto oder „Tablet auf Rädern“
tatsächlich neue Perspektiven. Autos sollen künftig nicht nur untereinander
kommunizieren, sondern auch mit der intelligenten Straße reden.
Turbo-Porsche an Kamener Kreuz: Bei dir alles gut? Kamener Kreuz an
Turbo-Porsche: Leichtes Aquaplaning, zwei Öko-Schleichkatzen mit Tempo 100
und der betrunkene holländische Lkw-Tulpentransporteur Harry Cruiff (41)
aus Alkmaar, Bahnhofstraat 12, 4. Stock, auf gefährlichem Schlingerkurs.
Natürlich können die Fahrer direkt Kontakt aufnehmen. Vogelzeigen,
Stinkefinger und „Du Wichser!“ sind Relikte aus der automobilen Steinzeit.
Du schickst dem Vordermann jetzt ganz zivilisiert eine SMS. „Mach die Spur
frei, Rattenkopf!“ Und was passiert im Stau? Die Bordelektronik
halluziniert dir eine leere achtspurige Straße auf die Frontscheibe –
inklusive sattem Motorsound und artenreichem Straßenbegleitgrün.
Jetzt zur Automatisierung. Dabei „vergrößert das Auto sein Potenzial zum
mobilen Lebensraum“, sagt das IAA-Marketing. Von Lasern, Ultraschall, 100
Sensoren und Kameras gesteuert, fährt der Tiefergelegte ganz allein und
ganz entspannt in den Stau. Der Autofahrer liest Zeitung, Ehefrau Elfriede
lackiert sich die Fingernägel und die Kinder liegen im Beißkrampf auf dem
Rücksitz. Zugegeben: Das könnten sie auch im Zugabteil oder zu Hause, aber
ein eigenes Auto ist halt doch was Wunderschönes, denn die „Liebe geht
durch den Wagen“, sagt die IAA-Vorberichterstattung. Und mal ehrlich:
Parkmanöverassistent, Spurhalteüberwachungssystem, Abstandsregeltempomat –
das hat kein einziger ICE auf der Festplatte.
Großer Nachteil der neuen Herrschaft am Steuer: Die Triebabfuhr des
amputierten Fahrers gerät in Gefahr. Rasen, schneiden, drängeln, hupen,
ausbremsen, der Todeskampf um die Parklücke, die Poleposition an der Ampel
– alles perdu? Dabei wissen wir doch, dass Autofahren nicht der
Fortbewegung dient. Autofahren heißt Regression des Ichs, Infantilisierung,
rollender Uterus und rechtsfreier Raum, Aggression, Thrill, Gefühle der
Größe und Grenzenlosigkeit, Geschwindigkeitsrausch, King of the road – und
nicht zu vergessen: die Erziehung anderer Verkehrsteilnehmer, die alle
stulle sind. Dazu die gewaltige Penetration des Raums durch kleinste
Fußbewegungen am Gaspedal, die fantasierte Rallye gegen entpersonifizierte
Opel, Audi, VW. Vorbei! Alles automatisiert! Wohin jetzt mit den
Instinkten?
Wenn schon Fahren ohne Fahrer, dann bitte auch konsequent. Während ich zu
Hause gemütlich im Sessel einen Rosé zwitschere, kämpft mein
vollautomatisches Auto im Alleingang im Stau bei Castrop-Rauxel um jeden
Meter Boden. Sobald es wieder rollt, schickt mir die Bordkamera
Echtzeitbilder auf die Playstation und dokumentiert vorbeifliegende
Landschaften, flatternde Zugvögel und das schneidige Manöver, wenn meine
kleine Dreizylinderkarre einem fetten BMW die Rücklichter zeigt.
Das Überholen ist besonders reizvoll, wie Peter Sloterdijk im Spiegel
erklärte: Überholen sei „ein Aufprotzen, bei dem der andere, der
Langsamere, fast wie beim Stuhlgang, zum ausgestoßenen Exkrement gemacht
wird“.
Schön, jetzt nur noch eines. Egal, was man vom automatisierten Fahren hält,
aber das Spurhalteüberwachungssystem macht wirklich Sinn – vor allem bei
bayerischen Spitzenpolitikern. Die liegen in der Promille-Bestenliste
unangefochten vorn. Jetzt, zur Wiesn, ist ihre Spur breiter als die des
Amazonas.
18 Sep 2015
## AUTOREN
Manfred Kriener
## TAGS
IAAF
Elektromobilität
Wir retten die Welt
Dieselskandal
Diesel
E-Autos
Schwerpunkt Angela Merkel
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