# taz.de -- Oper „Rheingold“ bei der Ruhrtriennale: Puppen für den geilen … | |
> Johan Simons inszeniert Wagners „Rheingold“ bei der Ruhrtriennale. Der | |
> sichtbare Maschinenraum der Überwältigung ist das Orchester. | |
Bild: Der Rhein ist in Johan Simons‘ „Rheingold“-Inszenierung bloß eine … | |
Als Richard Wagners kühnste Tat wird gemeinhin der „Tristan“-Akkord | |
gefeiert, von dem es heißt, er markiere den Anfang vom Ende der Tonalität. | |
Dabei ist eine andere Technik Wagners wohl noch viel nahtloser | |
anschlussfähig an die Gegenwart, nämlich jene Nibelheim-Passage in | |
„Rheingold“, die mit ihren hämmernden Repetitionen die Techniken der | |
Geräuschmusik des 20. und 21. Jahrhunderts erstmals kühn vorwegnimmt. | |
Eine sich anbietende Einlassstelle für eine heutige Fortschreibung? Ja und | |
nein. Der finnische Klangkünstler Mika Vainio versucht sich bei Johan | |
Simons’ Inszenierung von „Rheingold“ in der Jahrhunderthalle daran, aber … | |
tut es arg ehrfürchtig. | |
Dabei umfangen den Besucher schon beim Eintritt ins Foyer leise wummernde | |
Schwebeklänge, und von der Webseite der Ruhrtriennale kann man sich eine | |
MP3-Datei der Sounds „für den Weg“ herunterladen. Das Ereignis „Rheingol… | |
soll also eingebettet sein in Vainios eng an Wagners Material angelehnte | |
Sounds. | |
Die Original-Partitur unterbricht Vainios Eingriff aber hörbar nur an zwei | |
Stellen: Nach Alberichs Ring-Fluch explodieren wuchtig gleißende | |
Klangkaskaden. Und das harsche Hämmern der Nibelungen in der | |
Nibelheim-Szene wird noch eine Weile durch in die Weiten der Halle | |
ausschwärmende Musiker in einem martialischen Loop fortgesetzt. Beides | |
verfehlt seine Wirkung nicht, überbietet Wagner aber keineswegs. | |
## Wagner als radikaler Kapitalismuskritiker | |
Gleiches gilt für den Jelinek-Texteinschub, der in bekannter Weise den | |
Kapitalismus geißelt und von dem Schauspieler Stefan Hunstein | |
herausgeschrien wird: virtuos, aber nicht zwingend nötig. Wagner ist | |
deutlich genug. Zumal Johan Simons mit Teodor Currentzis am Pult des | |
MusicAeterna-Wunderorchesters aus dem Ural an einem Strang zieht und den | |
frühen Wagner als radikalen Kapitalismuskritiker begreift und „Rheingold“ | |
nicht von der „Parsifal“-Religion aus rückwärts denkt. | |
Scherzhaft hatte Simons vorab zu Protokoll gegeben, dass „Rheingold“ für | |
das Ruhrgebiet geschrieben und das Gold in der Tiefe des Rheins mit dem | |
schwarzen Gold der Kohle gleichzusetzen sei. Von den unterirdischen Höhlen | |
Nibelheims ist der Schritt zur Untertagearbeit in der Tat klein und eine | |
Industriekathedrale wie die Jahrhunderthalle ist ein für dieses Konzept | |
idealer Spielort – in dem es freilich akustische Schwächen auszugleichen | |
gilt. | |
In der Riesenhalle hätten selbst die vorzüglichen Sänger dieser Produktion | |
(allen voran Mika Kares’ famoser Wotan) ohne Verstärkung keine Chance, | |
zumal Simons das Orchester, das sonst als „wissende“ Klangmacht des | |
Unbewussten unsichtbar in den Graben verbannt ist, prominent auf erhöhter | |
Bühne platziert und die Darsteller dahinter, davor und in den Gängen | |
zwischen den Orchesterfraktionen agieren lässt. | |
## Ursuppe des Seins | |
Hinter der Orchesterbühne führen Treppenaufgänge zu einer weißen, | |
klassizistischen Wand, die Walhall andeutet; davor, unmittelbar an der | |
Zuschauertribüne, tun sich drei Wasserbecken auf. Während des 136-taktigen, | |
endlos die Ursuppe des Seins beschwörenden Vorspiels liegen dort drei | |
Puppen bäuchlings im Geröll, die den Rheintöchtern später als Lockmittel | |
für den geilen Nachtalb Alberich dienen. Der Grund des Rheins aber ist | |
seicht, drei Pfützen, die durch eine zerbrochene Stuckdecke hochdrücken. | |
Diese vordere Spielfläche in intimer Nähe zum Publikum bietet Gelegenheit | |
zum Kriechen, Robben und Wasserspucken für Alberich und Mime und sogar | |
einen Ruheplatz für die erschöpfte Erda. Von Gold ist lediglich der kleine | |
Ring, der Alberich (grandios: Leigh Melrose) auf den Finger passt, | |
ansonsten wird mit groben Steinen, vermutlich Kohle, hantiert. | |
Simons umschifft die szenisch heiklen, nahezu unlösbaren Klippen der | |
Handlung geschickt: Alberichs Verwandlung in einen Riesenwurm etwa zeigt | |
er, indem sein Bruder Mime einem unsichtbaren Monster ausweicht, das | |
Alberich scheinbar mit dem Finger durch die Pfützen steuert. | |
## Epizentrum des Abends | |
Simons führt sein Personal souverän, erzählt die komplizierte Geschichte | |
flüssig und hält das Geschehen mit parallel auflaufenden Episoden am | |
Laufen, ohne in Aktionismus abzurutschen. Das Epizentrum des Abends, der | |
sichtbare Maschinenraum von Wagners Überwältigungsdampfhammer, aber ist das | |
Orchester MusicAterna, das Teodor Currentzis mit seinen überlangen Armen | |
ohne Taktstock steuert. | |
Currentzis überrascht mit extremen Ausdünnungen, dann wieder baut er | |
Terrassen ein, wie man sie zuvor nie hörte, scheut sich aber auch nicht vor | |
brachialem Lärmen. Mitunter wird es sogar grob, wobei schwer zu entscheiden | |
ist, wie viel davon auf das Konto des Mischpults geht. Großer Jubel in der | |
Halle, der schnell in donnerndes Getrampel übergeht. | |
13 Sep 2015 | |
## AUTOREN | |
Regine Müller | |
## TAGS | |
Ruhrtriennale | |
Tanz | |
Johan Simons | |
Salzburger Festspiele | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Eröffnung der Ruhrtriennale: Ein rätselhafter Start | |
An starken Bildern fehlt es nicht in der Oper „Alceste“ und dem Tanzstück | |
„In Medias Res“ auf der Ruhrtriennale. Dennoch bleibt vieles im Vagen. | |
Verdi am Opernhaus Zürich: Nihilistischer geht es nimmer | |
In Zürich tauchen der Regisseur Barrie Kosky und der Dirigent Teodor | |
Currentzis Verdis „Macbeth“ in Schwärze und Spannung. | |
Susanne Paesler im Kunstmuseum Bonn: Komplexes Kalkül | |
Radikale künstlerische Entscheidungen führten immer wieder zu Brüchen im | |
Werk von Susanne Paesler. Eine Retrospektive. | |
Ruhrtriennale in Dinslaken: Staub schmecken | |
Johan Simons eröffnet die Ruhrtriennale mit „Accattone“ an einem | |
großartigen Ort: In der Kohlenmischhalle der Zeche Lohberg/Dinslaken. | |
Start der Ruhrtriennale in Dinslaken: Accatone – Lost in Lohberg | |
Johan Simons eröffnet die Ruhrtriennale am Freitag mit der Inszenierung von | |
„Accatone“, ausgerechnet im Dinslakener Problemstadtteil Lohberg. | |
„Fidelio“ auf den Salzburger Festspielen: Er stirbt womöglich | |
Beethovens „Fidelio“ ist ein harter Brocken Musiktheater. Die Inszenierung | |
von Claus Guth hilft dem Verständnis nicht. Nur die Musik reißt es raus. |