# taz.de -- „Fidelio“ auf den Salzburger Festspielen: Er stirbt womöglich | |
> Beethovens „Fidelio“ ist ein harter Brocken Musiktheater. Die | |
> Inszenierung von Claus Guth hilft dem Verständnis nicht. Nur die Musik | |
> reißt es raus. | |
Bild: „Fidelio“ im klassizistischen Minimalismus. | |
Der erste Ton entscheidet alles: Aus dem Stand muss Florestan mit einem | |
hohen „g“ im Piano einsetzen und dann das fatale Wort „Gott!“ langsam z… | |
Schrei aufblühen lassen. So will es Beethovens Partitur. Eine stimmliche | |
Zumutung und ein Ereignis, nach dem das Publikum giert. Selten war man so | |
gespannt auf diesen nackten ersten Ton wie nun bei der Salzburger | |
Neuproduktion von „Fidelio“, die in Sachen PR ganz auf Tenor-Superstar | |
Jonas Kaufmann zugeschnitten ist. | |
Doch wenn dann endlich der zweite Aufzug beginnt – denn Florestan ist ja | |
mitnichten die Hauptrolle im „Fidelio“, sondern jene Leonore, die sich als | |
Fidelio ausgibt –, sieht man während des langen Vorspiels nur Christian | |
Schmidts öden schwarzen Kubus auf der leeren Bühne des klassizistischen | |
weißen Salons, den Regisseur Claus Guth sich von seinen Bühnenbildnern in | |
Varianten immer wieder bauen lässt. Kein Florestan in Sicht. | |
Dann aber quält sich langsam das „g“ hinter dem Kubus hervor. Es klingt | |
diffus und flackernd, bevor es in einem stahlharten Forte aufgeht. Den | |
Helden des gaumig-engen „g“ sieht man erst etliche Takte später, wenn er | |
sich zögernd am Kubus entlang nach vorn tastet. Kneift Jonas Kaufmann vor | |
dem berühmten Einstieg durch Reinschleichen? | |
Wahrscheinlicher ist, dass in dieser mutlosen Szene Kaufmanns bestenfalls | |
achtbare Stimm-Leistung und Claus Guths Regie-Minimalismus auf markante | |
Weise zusammentreffen. Ein Schlüsselmoment dieses durchwachsenen Abends, | |
bei dem durchweg eine tiefe Kluft zwischen Bühne und Orchestergraben gähnt: | |
Unten entfesseln die Wiener Philharmoniker in Bestform unter Franz | |
Welser-Mösts emphatischem Dirigat den ganzen idealistischen Furor von | |
Beethovens Befreiungsoper, während auf der Bühne überwiegend Stillstand, | |
konzeptionelle Ratlosigkeit und – mit Ausnahme von Hans-Peter Königs | |
imposantem Rocco und weiteren Nebenrollen – gesangliches Mittelmaß | |
herrschen. | |
„Fidelio“ ist allerdings ein harter Brocken: Beethovens einziges | |
Musiktheaterwerk ist eine dramaturgisch ungleich ausbalancierte Mischung | |
aus Singspiel und großer Oper und schleppt schwer an seiner humanistischen | |
Botschaft. Als zentrales Problem erweisen sich die gesprochenen Dialoge, | |
die altbacken wirken und aus Sängermund meist ungelenk klingen. | |
## Klarer Fall von Betriebsblindheit | |
Claus Guth entledigt sich dieses Problems, indem er sämtliche Dialoge | |
ersatzlos streicht und selbst dem Melodram im 2. Akt den Text amputiert. Es | |
würde ohnehin alles gesungen, was geschehe, behauptet der Regisseur. Ein | |
klarer Fall von Betriebsblindheit, denn die Vorgänge der holperigen | |
Handlung erklären sich keineswegs aus den Gesangsnummern. Guth ersetzt nun | |
die Dialoge durch elektronisch erzeugte Sounds aus dem Off: Mal dröhnt es | |
dumpf, dann hört man schweren Atem, später saust ein ferner Sturm. | |
Der typisch Guth’sche Großbürger-Salon ohne Türen will laut Programmheft | |
ein „Salon des Unbewussten“ sein, der Regisseur raunt ferner von einem | |
„Mosaik der Einsamkeiten“ und von Kafka. Von all dieser Bedeutungshuberei | |
kommt auf der Bühne wenig an, es dominiert vielmehr das Rampensingen mit | |
abgezirkelten Minimal-Bewegungen. | |
Leonore (Adrianne Pieczonka mit flirrendem, übersteuertem Sopran und | |
unsauberen Höhen) wird ein Gebärdensprachen-Double zugesellt, was wohl | |
eine, reichlich banale, Anspielung auf Beethovens Taubheit sein soll. Auch | |
Bösewicht Pizarro (Tomasz Konieczny mit bellendem Bariton) hat ein stummes | |
Nosferatu-Double, später werden es mehr als zehn. | |
Und Florestan? Der bleibt, wie der Rest des Personals, ohne Double und ist | |
offenbar psychisch krank. Auch als er befreit wird, weicht die Pein nicht. | |
Die Diagnose lautet „posttraumatische Belastungsstörung“, denn Florestan | |
bleibt beziehungsunfähig, das hohe Paar findet sich am Ende nicht, dafür | |
geht Florestan zu Boden und stirbt womöglich. Oder auch nicht. | |
## Prima la Musica! | |
Die Musik reißt es raus an diesem Premierenabend. Dirigent Franz | |
Welser-Möst hatte vorab bereits zu Protokoll gegeben, „Fidelio“ sei ja gar | |
keine Oper, sondern „Musik mit einer Handlung“, und genau das zieht er dann | |
auch triumphal durch. Welser-Möst denkt „Fidelio“ symphonisch, das | |
grandiose Orchester dominiert den Abend, das Drama findet in der Musik | |
statt. | |
Exemplarisch kurz vor Schluss, nach dem Duett „O namenlose Freude!“: Da | |
fällt tatsächlich noch einmal der Vorhang, und dann erklingt die 3. | |
Leonoren-Ouvertüre. So furios, dass im großen Festspielhaus ein | |
Beifallssturm losbricht, der den Schlussapplaus bei weitem übertrifft. Der | |
alte Opernstreit ist zumindest an diesem Abend eindeutig entschieden: Prima | |
la Musica! | |
5 Aug 2015 | |
## AUTOREN | |
Regine Müller | |
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