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# taz.de -- Rechte Szene in Berlin: Neonazis werden stärker
> Das Thema Flüchtlinge mobilisiert Neonazis: Die Zahl rechtsextremer
> Demonstrationen hat explosionsartig zugenommen. Der Anfang einer
> gefährlichen Entwicklung?
Bild: Darauf stehen Rechte: blöde T-Shirts mit Naziaufdrucken.
Die Bilder aus Freital oder Heidenau erschrecken. Ein wütender Mob, der
sich auf den Straßen zusammenrottet. Darunter der organisierte,
gewalttätige Neonazi genauso wie die rassistische Anwohnerin, vereint im
Hass auf alles, was anders ist, was fremd erscheint, was die Ruhe stören
könnte. Gröhlende junge Männer, applaudierende Familien, immer wieder
Gewaltausbrüche. Die Rechtsextremen, so scheint es, haben diese Orte fest
im Griff.
Von Berlin aus betrachtet, gerade aus Kreuzberg, Mitte oder Neukölln
heraus, erscheinen diese Bilder wie von einem fremden Planeten. Man
betrachtet sie mit einer Mischung aus Ekel und Faszination. Ein solcher Mob
auf den Straßen des weltoffenen, liberalen, migrantisch geprägten Berlins
scheint vielen unvorstellbar.
Das ist auch berechtigt. „Eine starke Zivilgesellschaft mit einer
gefestigten Debattenkultur“ nannte der Jenaer Soziologe Matthias Quent
kürzlich in einem Interview das wichtigste Mittel gegen die Eroberung des
öffentlichen Raums durch Rechtsextreme – und die gibt es in Berlin viel
eher als in ostdeutschen Provinzstädtchen. Ein Klima, in dem alle, die
nicht deutsch aussehen, um Leib und Leben fürchten müssen, kann sich der
neue Tourismus-Hotspot Berlin schon aus wirtschaftlichen Gründen nicht
leisten. Und nicht zuletzt gab und gibt es in Berlin eine starke linke
Szene, die mit Aktionen von der massenhaften Blockade bis zum Outing
einzelner Neonazis dafür sorgt, dass Rechtsextreme hier möglichst wenig Fuß
fassen können.
## Hinter zugezogenen Spitzengardinen
Aber: Die Entwicklung, die viele Teile Deutschlands momentan erfasst hat,
sie betrifft auch Berlin. Dabei, so sind sich viele Soziologen,
Politikwissenschaftler und Rechtextremismusexperten einig, geht es vor
allem um eine Verschiebung des Sagbaren: Der Rassismus, der jetzt an immer
mehr Orten zutage tritt, ist ja kein neues Phänomen – doch es macht einen
Unterschied, ob er hinter zugezogenen Spitzengardinen auf der heimischen
Couch geäußert wird oder auf einer öffentlichkeitswirksamen Demonstration.
„Die Grenzen des Sagbaren nach rechts zu verschieben, bis eine kulturelle
Hegemonie erreicht ist“, laute das Hauptanliegen vieler rechter Gruppen,
stellten die drei Autoren des Standardwerks „Strategien der extremen
Rechten“ 2009 fest. Diese Verschiebung funktioniert auch in der Hauptstadt:
Die Anzahl rechtsextremer Demonstrationen hat explosionsartig zugenommen,
in einigen Bezirken haben Rechtsextreme es monatelang geschafft, die
Diskussion um neue Flüchtlingsunterkünfte entscheidend mitzuprägen.
## Zivilgesellschaft zunehmend überfordert
Ist diese Grenze erst einmal verschoben, schafft das wiederum ein Klima für
rechte Gewalt – potenzielle Gewalttäter fühlen sich ermutigt und können
sich gewiss sein, dass ihre Taten auf positive Resonanz stoßen. Auch das
gilt in Berlin: Der Anschlag, der im August auf die neue
Flüchtlingsunterkunft in Marzahn verübt wurde, steht genau so im
Zusammenhang mit den anhaltenden rassistischen Mobilisierungen vor Ort wie
frühere Anschläge in Buch, Köpenick oder Lichtenberg.
Von Heidenauer Verhältnissen ist man in Berlin noch weit entfernt. Auch im
Ostteil der Stadt, auch in den Randbezirken. Doch Experten warnen seit
Monaten: Die Prozesse und Entwicklungen, die einer solchen Situation
vorausgehen – von der virtuellen Hetze bis zum Erstarken lange geschwächter
Nazi-Strukturen –, gibt es auch hier. Gleichzeitig scheint die
Zivilgesellschaft zunehmend überfordert, verschwinden rechte Umtriebe
gerade in den Randbezirken immer schneller aus der öffentlichen
Wahrnehmung.
Das aber ist brandgefährlich: Denn genau dort, wo niemand mehr hinschaut,
können sich gefestigte rechtsextreme Strukturen und der dazugehörige
rassistische Resonanzraum entwickeln – das zeigen nicht zuletzt die Bilder
aus Freital und Heidenau.
Dieser Text ist Teil des aktuellen Schwerpunkts in der taz.Berlin. Darin
außerdem: Eine detaillierte Analyse der rechten Szene jenseits von NPD und
AfD. In Ihrem Briefkasten und am Kiosk.
5 Sep 2015
## AUTOREN
Malene Gürgen
## TAGS
Schwerpunkt Neonazis
Berlin
Schwerpunkt Flucht
Berlin-Neukölln
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Flüchtlinge in Niedersachsen
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