# taz.de -- Kolumne Darum: Jetzt geht’s rund | |
> Im Sommerurlaub wurden meine Kinder nationalistisch „gedisst“. Das ist | |
> ärgerlich. Aber ein Klacks im Vergleich zur Rückkehr nach Deutschland. | |
Bild: Metallnetz einer Tischtennisplatte im Freien. | |
Nun beginnt Nationalismus also schon an der Tischtennisplatte. Wir sind im | |
Sommerurlaub auf einem Campingplatz nahe des Lago Maggiore. Italien, die | |
Sonne scheint, ein Fluss rauscht beständig, Entspannung, nichts stört. | |
Nur mein Sohn ist wütend. Seit Tagen geht er am frühen Abend zu einer | |
Tischtennisplatte, die zum Campingplatz gehört. Dort wird Rundlauf gespielt | |
und er hat seinen Spaß daran gefunden. | |
Nun nicht mehr. Viele Leute sind abgereist, neue sind gekommen, darunter | |
auch Kinder und Jugendliche, die ebenfalls Rundlauf spielen wollen. Ein | |
paar niederländische Jungen sind dabei, die meinen Sohn ärgern. „Dissen“, | |
sagt er, „die dissen mich.“ | |
Vor allem ein Junge habe es auf ihn abgesehen. Er fordere von den Spielern, | |
die in der Rundlaufschlange vor meinem Sohn stehen, extra hochzuspielen, | |
damit andere ihn rausschmettern können. Das passiere oft und dann lachten | |
alle laut. | |
Wir fragen, ob er denn etwas getan habe, das eine solche Unsportlichkeit | |
provoziert habe? Vor zwei Jahren gab es im Sardinien-Urlaub mal einen | |
kleinen unfreiwilligen [1][Eklat um die deutsche Nationalhymne.] „Nein“, | |
sagt er, die Niederländer spielten halt nicht gern mit Deutschen. „Was?“, | |
fragt meine Tochter empört und bietet an, mitzugehen. | |
## Nationalistisch gedisst | |
Beide kehren bald zurück und erzählen, dass es tatsächlich so sei. Sie | |
verstünden zwar nicht alles, aber „Schmeißt die Deutschen raus!“ sei zuer… | |
auf niederländisch und dann, damit die Deutschen es auch verstehen, auf | |
Englisch gerufen worden. Nun sind beide Kinder wütend. Sie verstehen es | |
nicht. Sie sind zwar schon öfter „gedisst“ worden und haben selbst schon | |
andere „gedisst“, aber das nationalistische „Dissen“ ist ihnen neu. | |
Wir reden darüber, lange und so ruhig wie möglich. Wir sprechen über die | |
Schmähgesänge, mit denen sich deutsche und niederländische Fußballfans seit | |
Jahrzehnten gegenseitig überziehen; über Vorurteile, Ressentiments, | |
Ausschlüsse, sogar über die deutsche Besatzung der Niederlande im | |
Nationalsozialismus. Es ist alles viel zu viel und viel zu hoch und doch | |
merken wir, dass die Empörung der Kinder nachlässt. | |
Am nächsten Tag gehen sie wieder zur Tischtennisplatte, erneut sind die | |
Schmähungen da. Ein niederländischer Junge entschuldigt sich zuerst bei | |
meinem Sohn, um unmittelbar danach seine Mitspieler aufzufordern, ihn | |
rauszuschmeißen. Der Satz mit den Deutschen fehlt diesmal, es ist jetzt | |
rein persönlich gemeint. Meine Kinder lachen darüber und spielen einfach | |
weiter. | |
## Rückkehr nach Deutschland | |
Die Urlaubszeit geht zu Ende, wir fahren zurück. Am Bodensee empfangen wir | |
die ersten deutschsprachigen Radiosender. Wir hören die Nachrichten. Wir | |
vernehmen, dass es fast täglich zu neuen Übergriffen auf Unterkünfte von | |
Flüchtlingen in Deutschland komme, zu Brandanschlägen, Straßenblockaden vor | |
Asylbewerberheimen, Demonstrationen, auf denen der Hitlergruß gezeigt wird, | |
Anwohnerprotesten, die vor Nationalismus und Rassismus nur so triefen. | |
Wir sind zurück in einem Land, in dem die Niedertracht wieder um sich | |
greift und in dem die Niederträchtigen auch noch sagen, sie täten das alles | |
nur zum Schutz ihrer Kinder. Sollte ich beim Tischtennis-Rundlauf je auf so | |
eine Gestalt treffen, ich forderte meine Mitspieler auf, extra | |
hochzuspielen. | |
23 Aug 2015 | |
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## AUTOREN | |
Maik Söhler | |
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